Kakerlaken in der Suppe

Die Serben sind sie los. Aber die leeren Suppenschüsseln der Kosovaren werden durch die Unabhängigkeit ihres Staats über Nacht nicht voll werden. kommentar von doris akrap

Niemand hat die Absicht, einen Präzedenzfall zu schaffen, wiederholten in den vergangenen Tagen vor allem die europäische Unterstützer der Unabhängigkeit des Kosovos. Das genaue Gegenteil befürchten all jene Staaten, in denen sich Teile der Bevölkerung als unterdrückte ethnische Minderheit definieren und ihr Wohngebiet gerne als unabhängigen Staat ausrufen würden.

Wurde der Kosovo-Krieg mit der schon fragwürdigen Legitimation begründet, die albanische Minderheit vor einem Völkermord zu schützen, gibt es derzeit überhaupt keinen Grund für die so genannte internationale Staatengemeinschaft, die nach wie vor bestehende UN-Resolution 1244 zu missachten, in der von einer »politischen Lösung«, aber nicht von Sezession die Rede ist. Wenn es heute im Kosovo Minderheiten gibt, um deren Sicherheit man sich sorgen könnte, dann sind es Serben, Juden oder Roma. Anders als 1999 wird die Unterstützung der Kosovo-Albaner folge­richtig auch nicht mit dem Schutz der Menschen begründet, sondern mit der naiven Hoffnung, die Staatswerdung des Kosovo beende endlich das leidige Kapitel des »Jugoslawien-Konflikts«.

Doch ein kurzer Rückblick auf die Geschichte der Ethnisierung des Sozialen im Kosovo zeigt, dass Zugeständnisse an ethnische Befindlichkeiten noch lange keinen Frieden schaffen. Im Gegenteil. 1974 erhielt das Kosovo durch eine Verfassungsänderung den Status einer autonomen Region. Albanisch wurde zur Amtssprache, in Schulen und Universitäten des Kosovo wurde auf Albanisch unterrichtet. Man hoffte, mit diesen Konzessionen eine radikalere Ethnisierung zu verhindern. Doch gegen die ökonomischen Probleme wurden nichts unternommen; die Kosovaren blieben die Binnengastarbeiter der sozialistischen Föderation. So kam es 1981 zum ersten nationalistischen Aufstand der Kosovaren. Der Legende nach war es eine Kakerlake in der Suppe eines Studenten in der Universität von Pristina, die den Aufruhr auslöste. Doch auf den Demonstrationen wurden nicht einfach nur bessere Suppen oder mehr Geld gefordert. Für die schlechte Versorgung und die fehlenden Jobs wurden die Serben verantwortlich gemacht.

Seit Sonntag glauben die Kosovaren einen Schritt weiter zu sein. Doch eine Garantie, dass sich der Frust über leere oder mit Kakerlaken gefüllte Suppenschüsseln nicht wieder an den verbliebenen Serben entlädt, gibt es nicht.

Auch die serbische Regierung spielt mit denselben Karten. Auf der Versammlung des Weltsicherheitsrats am Montag sprach der serbische Präsident Boris Tadic erneut davon, dass Serbien mit der Unabhängigkeit des Kosovo »ein Teil seiner Identität, Tradition und Geschichte weggenommen wird«. Diese Position dürfte sowohl die Serben in Mitrovica, Belgrad und Banja Luka, als auch die Albaner in Mazedonien, Bulgarien und Rumänien ermutigen, weiter auf die ethnische Karte zu setzen. So lange diese Spielregeln in Kraft sind, wird man noch lange nicht vom Ende des »Jugoslawien-Konflikts« sprechen können.