Punch statt Prostitution

Im Berlinale-Film »Victoire Terminus« geht es um das Boxen als ein Mittel für kongolesische Frauen, um im Überlebenskampf fit zu bleiben.

Die heruntergekommenen Straßen Kinshasas, durch die eine kongolesische Amateurboxerin in der Eröffnungsszene von »Victoire Terminus«, einem Forums-Beitrag der diesjährigen Berlinale, läuft, sind dem aufmerksamen Kinozuschauer durchaus bekannt: Michael Manns Film »Ali« begann mit Aufnahmen von Muhammad Ali auf denselben Straßen.

Ali war im Jahr 1974 in den Kongo, der damals noch Zaire hieß, gereist, um den weltweit ersten Profikampf im Schwergewicht auf afrikanischem Boden auszutragen. Der unter dem Titel »Rumble in the Jungle« bekannt gewordene Fight gegen George Foreman war die erste große Veranstaltung unter der Regie des noch heute als Boxpromoter aktiven Don King, über den Kampf entstanden zahlreiche Bücher, Filme und sogar Songs, wie der Siebziger-Jahre-Hit von Johnny Wakelin, »In Zaire«, während der Ort, an dem Ali Foreman schlug, langsam in Vergessenheit geriet.

Die französischen Filmemacher Renaud Barret und Florent de La Tullaye reisten im Jahr 2004 zum ersten Mal nach Kinshasa, um einen Dokumentarfilm über Straßenmusiker zu drehen. Zwei Jahre lang lebten sie im Ghetto der Stadt und erlebten die Probleme des Landes haut­nah mit. Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter erhalten beispielsweise schon seit Jahren keine Gehälter mehr und haben mafiöse Strukturen errichtet, um die Bevölkerung zu erpressen, wie Barret erzählt. »Das ganze Land lebt damit, und so muss man das dann eben akzeptieren und auch damit leben – oder den Kongo gleich verlassen.« Gleichzeitig stellten die beiden Franzosen immer wieder fest, dass der legendäre Boxkampf bei den Kongolesen immer noch unvergessen ist und dass sie immer noch sehr stolz auf dieses Ereignis sind. »Es handelte sich wohl um den einzigen Zeitpunkt, an dem etwas Positives in dem Land geschah«, erklärt Renaud Barret, »ansonsten sprechen die Menschen über Krieg, Armut, Korruption und Tod. Der Fight und das Stadion sind dagegen so etwas wie das einzige afrikanische Monument mit einem guten Image.«

Das Stade 20 Mai, in dem Ali von den einheimischen Zuschauern mit dem Schlachtruf »Ali bomaye!« (Ali, bring ihn um) angefeuert wurde, existiert noch, wenn es auch mittlerweile ziemlich marode ist.

In den Katakomben des heute Stade Tata Raphaël heißenden Stadions befindet sich ein Box-Gym, in dem Coach Judex Tshibanda Wata den Ton angibt. Nachdem er den Kampf Alis gegen Foreman live im Stadion verfolgt hatte, habe für ihn festgestanden, dass er auch Boxer werden wolle, erzählt Wata. Nun gibt er sein Wissen an die jüngere Generation weiter und trainiert eine kleine Gruppe boxbegeisterter Frauen.

Unter widrigen Umständen: Schon für männliche Boxer ist es so gut wie unmöglich, ihren Sport geregelt auszuüben, denn es gibt keinerlei Infrastruktur. Der Verband existiert schon seit Jahren nicht mehr, entsprechend fehlen Ligen, Meisterschaften und Preisgeld. Kämpfe werden von den Trainern angesetzt, die mit allen möglichen Mitteln versuchen, den Boxern wenigstens ein paar Dollar Antrittsprämie zu verschaffen.

Wata macht da keine Ausnahme: Er bestiehlt Marktfrauen, um Kämpfe ansetzen zu können, und überredet den örtlichen Milchmann, die Fights zu sponsern.

Für die Boxerinnen bleibt von den zusammengekommenen 250 Dollar allerdings jeweils gerade ein Dollar übrig, denn Schiedsrichter bekommen aus unerfindlichen Gründen für ihren Einsatz mehr als das Zehnfache als die Kämpfer, deren Aktionen sie zu bewerten haben.

Leben können die porträtierten Boxerinnen von ihrem Sport dementsprechend nicht, gleichwohl finden die meisten, dass Boxen eine echte Alternative zur Prostitution sei. »Ich boxe, weil ich nicht wie die anderen Frauen rumhuren mag«, sagt eine von ihnen. Fitsein für den Überlebenskampf ist das Hauptmotiv für das harte Training, das sich die Boxerinnen neben der täglichen Arbeit antun. Wer gut in Form ist, hat nicht nur im Ring gute Chancen, sondern erträgt auch das Aufstehen früh um 5 Uhr und die folgenden langen Stunden Arbeit auf dem schmutzigen Wochenmarkt besser. Die zwischen 18 und 24 Jahre alten Boxerinnen arbeiten hart, um ihre Familien durchzubringen – viele sind schon im Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal schwanger geworden und müssen vier oder mehr Kinder ernähren. Ihre Männer sitzen dagegen meist zu Hause und tun nichts.

Die im Training erworbene Fähigkeit zum harten Punch dafür einzusetzen, diese häusliche Misere zu verbessern oder sich gar gegen ihre prügelnden Männer oder Lebensgefährten zu wehren, kommt den Boxerinnen dabei jedoch nicht in den Sinn. »Wir dachten erst, dass wir einen feministischen Film machen würden, denn das ist ja das, was man gemeinhin von einem Film über boxende Frauen erwartet«, sagte Barret nach der Aufführung von »Victoire Terminus« auf der Berlinale. »Aber genau das ist es nicht geworden, und so zeigen wir diese Frauen auch einfach nur so, wie sie sind.«

Die Bantu-Gesellschaft sei bis zum heutigen Tag von Männern dominiert, Gleichberechtigung für die Masse der Frauen kein Thema. Sich zu wehren, sei für sie nur dann legitim, wenn eine Vergewaltigung drohe, »wenn sie dagegen von ihren Männern verprügelt werden, sagen sie nichts oder entschuldigen sie sogar damit, dass dies nur daran liege, dass sie keine Arbeit haben«.

Hoffnungen darauf, dass sich ihre elende Lage durch politische Änderungen verbessert, haben weder die Boxerinnen noch ihr Trainer. Während der Dreharbeiten im Jahr 2006 wurde im Kongo gewählt, im Film sind Wahlkampfveranstaltungen und Kundgebungen dokumentiert. Nicht nur die Bilder von Leichen zeigen, wie verbissen der Wahlkampf zwischen den Kandidaten Kabila und Bemba geführt wurde. Die Lieder, die von ihren jeweiligen Unterstützern regelmäßig angestimmt werden, sind ebenfalls eindeutig: »Schlagt die Fremden tot«, heißt beispielsweise eines.

Die meisten der Wahlberechtigten, die im Film zu Wort kommen, haben allerdings schon vor der Stimmabgabe resigniert. Sie glaubten nicht an faire und freie Wahlen, sagen sie. Diese Szenen sind die schwächsten des gesamten Films, denn Zusammenhänge werden dem Zuschauer kaum erklärt. Warum solle sie wählen gehen, sagt auch eine der Boxerinnen, wer gewinne, sei doch vollkommen unerheblich: »Ein Verbrecher ersetzt den anderen.« Dies bleibt eines der wenigen politischen Statements der Protagonistinnen, die Filmemacher entschieden noch während der Dreharbeiten, die Frauen nicht in Gefahr zu bringen. »Sie reden eigentlich dauernd über Politik, aber wir haben entschieden, diese Szenen nicht im Film zu verwenden, und entsprechend viel geschnitten. Wir fühlten uns einfach in der Verantwortung« erklärten sie später.

Während draußen der Wahlkampf tobt, den am Ende Kabila gewinnen wird, bereiten sich die Frauen in den Katakomben des Stadions auf ihren großen Kampfabend vor. Von dem Geld, das die Siegerinnen bekommen werden, werden sie nicht einmal Medikamente für ihre kranken Kinder kaufen können.

Renaud Barrets Fazit fällt entsprechend drastisch aus: »Das Frauenboxen in Kinshasa hat einfach keine Zukunft.«