Teeren, federn, Beine brechen

Zu Unrecht vergessene Musik, Teil acht: jürgen kiontke besichtigt mit Fad Gadget die Baustellen der Popmusik

Wir haben die achtziger Jahre – Bernhard und ich sitzen in seinem Zimmer auf dem Boden, um uns rum das Equipment unserer Band: Plattenhüllen, Lötkolben, Synthesizer, Gitarren, Schraubenzieher. Sogar während des Auftritts lötet Bernhard noch!

Zu unserem Setting auf dem Teppichboden hat er gerade die richtige Platte gefunden. »Hör dir das mal an«, sagt er, »der Typ macht Musik mit der Bohrmaschine.« Frank Tovey, der Typ mit der Bohrmaschine, ist eine Ein-Mann-Band namens Fad Gadget. Unsere Verbindung mit ihm besteht sofort, Frank ist auch Heimwerker und hat den gesunden Intellekt eines 13jährigen! Unten bollert – umpf, umpf – seine selbst gelötete Rhythmus-Maschine. Oben piepst sein selbst gebauter Synthie. Mittendrin röhrt Frank: »Scratched his head, then pulled his ear / Reached out for a glas of beer / Ricky’s hand.«

In dem Lied geht es nur um das, was der Titel »Ricky’s Hand« ankündigt: die Hand des Proleten Ricky, die ihren Dienst leistet. Sie hilft, in der Kneipe das Bierglas zu stemmen, muss sich an dunklen Orten zurechtfinden, setzt sich mit ihm betrunken ins Auto und ist sogar noch bei ihm, als der Kopf schon einen bösen Unfall hat. Ja, eine Hand sollte zu einem halten.

Zwischen den Strophen schmeißt Fad Gadget den Bohrer an. Es ist zu vermuten, dass Ricky tagsüber einer Arbeit auf dem Bau nachgeht. Fad Gadgets Musik wird alsbald dem Industrial zugerechnet. Den Zusammenhang zwischen Bauelektrik und Musik hat Fad Gadget mit »Ricky’s Hand« zur Kunstform gemacht. Und was ist Pop­musik schon anderes als elektrische Arbeit? »Wenn der das mit der Bohrmaschine hinkriegt«, sagt Bernhard, »dann schaffen wir das auch mit Gitarren und Synthesizer.«

Nicht nur für uns kleine Deppen, auch für die ganz Großen ist Fad Gadget richtungsweisend. Mit Depeche Mode teilt er sich das Plattenlabel Mute Records und die Vorliebe, mit we­nig mehr als einigen Tasten zum Konzert zu erscheinen. Human League und Cabaret Vol­taire gefällt die Idee mit dem Haushaltsgerät. Auch andere Musiker dürften sich wie Tovey auf der Bühne einmal beide Beine gebrochen haben. Aber niemandem ist es wie ihm in geteertem und gefedertem Zustand passiert. Für so etwas braucht man: Humor. Und die Musik von Fad Gadget, die ist: Humor.

Tovey schafft es in die TV-Shows. Bis 1984 erscheinen vier Alben der Band. Seine Musik wird von Kritikerseite immer wieder gelobt – aber wie man so sagt: Der kommerzielle Erfolg bleibt aus. Nach der LP »Gag« zieht er Fad Gadget aus dem Verkehr und tritt nun als Frank Tovey auf. Dass Tovey alles nutzen kann, was auf dem Boden in seinem Zimmer herumliegt, beweist er 1989: Er nimmt ein Country-Album auf. Auch das ist Minimal Music. Bis 2001 wurde Tovey kaum mehr in größerem Umfang rezipiert. Dann kamen die Kollegen von Depeche Mode, die ihn einluden, auf ihrer Europa-Tour im Vorprogramm zu spielen. Zu Beginn ihrer Karriere war es umgekehrt.

Fad Gadget gehört zu den Bands, die die meisten Leute nicht kennen, die aber sehr einflussreich sind. Anders als beim Sänger von Joy Division ist nach dem Tod von Frank Tovey – er verstarb 2002 in seinem Londoner Zuhause an einem Herzschlag – bisher noch niemand auf die Idee gekommen, einen Film über ihn zu drehen.

Das muss auch nicht sein. Aber vielleicht sollte man häufiger an Fad Gadget denken, wenn man seine Körperteile einsetzt, ohne zu überlegen. Oder wenn man, wie Bernhard und Jürgen, auf dem Boden des Zimmers sitzt und grübelt, wie man einen wahrhaft bohrenden Sound entwickeln kann.

Natürlich gibt es viele Videos von Fad Gadget auf Youtube, und auch zu Tovey hat jemand den passenden Kommentar hinterlassen: »Most musicians are only followers. And very rarely, you see unique innovators like Fad Gadget.« Und mit dem typischen Humor, den wahrhaft in­spirierende Musik hervorbringt, antwortet ein anderer: »Cool, it’s kinda funny, my name is ­Ricky Hand.

www.fadgadget.co.uk