Unter der Burka

Die kritische afghanische Abgeordnete Ma­lalai Joya wurde aus dem Parlament ausgeschlossen und bedroht. Nun wurde ihre Arbeit mit dem Menschenrechtspreis der Initiative Cinema for Peace ausgezeichnet. von knut henkel

Malalai Joya hat die Frauen in Afghanistan früher ermuntert, die Burka abzulegen. Doch derzeit ist die Burka für sie ein Schutz vor den Häschern der Warlords. Die vom Parlament ausgeschlossene Abgeordnete gehört zu den schärfsten Kritikern der von Präsident Hamid Karzai geführten Regierung. Nur mit Glück konnte sie ihr Land ver­lassen und in der vergangenen Woche in Berlin den Menschenrechtspreis der Initiative Cinema for Peace entgegennehmen.

Bärte, nichts als Bärte. Das ist der erste Eindruck, wenn die Kamera über die mit Plakaten gepflasterte Hauswand mitten in Kabul fährt. Unzählige Wahlplakate sind dort angekleistert, und es sind fast ausschließlich Männer, die – oft recht grimmig dreinblickend – für einen Sitz im Parlament kandidieren. Umso stärker fällt das Antlitz der jungen Frau auf, die aufmunternd von der Hauswand lächelt. Diese Szene aus dem Film »Ene­mies of Happiness«, der gerade mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichneten Dokumentation über Malalai Joya, bleibt haften.

Nicht allein, weil die 29jährige damals, Ende 2005, als eine von 28 Frauen ins afghanische Parlament einzog, sondern weil sie unbändigen Optimismus ausstrahlt. Für viele Frauen in Afgha­nistan ist sie eine Symbolfigur. Für sie marschier­te eine alte Frau von 100 Jahren etliche Kilometer bis zu der kleinen Schule, in der sie ihre Stimme für ihre Kandidatin abgeben konnte. Malalai Joya gehörte zu den Kandidaten, die die meisten Stimmen erhielten.

Doch an den Parlamentssitzungen darf sie nicht mehr teilnehmen. Sie schätzt, dass 85 Prozent der Abgeordneten Warlords sind oder sie repräsentieren. Für drei Jahre wurde die streitbare Frau aus dem Parlament verbannt, weil sie immer wieder auf die kriminelle Vergangenheit von Abgeordneten, auf deren Verstrickung in Drogenhandel und Verbrechen im Bürgerkrieg hingewiesen hat. Das war im Mai 2007, und wenig später wurde ihr der Diplomatenpass entzogen, sodass es ihr kaum mehr möglich ist zu reisen. »Ich wurde buchstäblich vor die Tür des Parlaments gesetzt, und dagegen werde ich klagen«, sagt Joya. Nach langer Suche hat sie endlich einen Anwalt gefunden, der es wagt, sie zu vertreten. Keine Selbstverständlichkeit in Afghanistan, denn dort ist es alles andere als ungefähr­lich, die bestehenden Verhältnisse in Frage zu stellen.

Mindestens vier Mordanschläge hat es bisher auf Malalai Joya gegeben, kaum einen Schritt kann sie in Afghanistan ungefährdet tun. Entweder sind es Leibwächter, die sie begleiten, oder sie reist im Schutz der Anonymität, verborgen unter der Burka. Dieses Gewand, ein Symbol der Unterdrückung der Frauen in der afghanischen Gesellschaft, ist für sie zu einem Schutz geworden. Kaum einer der Fundamentalisten, ob Taliban oder Anhänger eines islamistischen Warlords auf Seiten der Regierung, würde es wagen, die Burka zu lüften, erklärt Joya.

Im Schutze der Burka fand auch die letzte Ausreise aus Afghanistan nach Pakistan statt. Über die grüne Grenze reiste die Tochter eines Mujahe­din nach Pakistan aus. Möglich war das nur, weil ein Grenzbeamter mit ihr sympathisierte. »Ich stehe auf einer schwarzen Liste, weil ich unbequem bin, denn ich sage die Wahrheit, kritisiere die Verhältnisse in meinem Land. Deshalb will man mir einen Maulkorb umhängen«, kri­tisiert sie die Regierung von Hamid Karzai. Wenn sie in Fahrt kommt, fängt sie an zu beben, die dunklen Augen weiten sich und werden noch grö­ßer, die Worte sprudeln nur so von ihren Lippen. In Englisch zwar etwas langsamer, aber nicht we­niger emotional.

Sie hat sich dem Kampf für die Rechte der Frau und eine demokratische Gesellschaft verschrieben. Dafür ist sie bereits 2003 in der Loya Jirga, der Versammlung, bei der über die Verfassung beraten wurde, vehement eingetreten. Dort hatte sie kritisiert, dass Warlords und Drogenhändler präsent seien, denen man eigentlich den Prozess machen müsse. Die Aufsehen erregende Rede wurde abrupt beendet – man stellte ihr einfach den Strom ab. »Diese Rede hat mein Leben verändert, fortan musste ich aus Sicherheitsgründen die Wohnung wechseln, denn ich habe an meiner Position festgehalten und auch im Parlament auf mafiöse Strukturen in meinem Land hingewiesen«, sagt Malalai Joya.

In den Flüchtlingslagern im Iran und in Pakistan hat sie die ersten Brocken Englisch gelernt. Dort verbrachte sie einen großen Teil ihrer Jugend, denn bereits 1982 flohen ihre Eltern vor der sowjetischen Besatzung. Damals hatte ihr Vater, ein ehemaliger Medizinstudent, zur Waffe gegriffen und als Mujahedin im Kampf einen Fuß verloren. In den Lagern ging Malalai Joya zur Schule, und als sie die achte Klasse erfolgreich absolviert hatte, gab sie Jüngeren und Älteren selbst Unterricht. »Das ist ein Grundrecht, das uns die Taliban vorenthalten wollten und das den Frauen und Mädchen in Afghanistan auch heute immer noch vorenthalten wird«, kritisiert sie.

Daran habe auch die vermeintliche Befreiung durch die US-Amerikaner mit der als »Enduring Freedom« bezeichneten Militäroperation nichts gändert. »Die Lebensumstände der Frauen haben sich nicht verbessert. Wie können unsere Frauen frei sein, wenn das Land in den Händen von fundamentalistischen Warlords ist, die sich kaum von den Taliban unterscheiden«, ärgert sich die kleingewachsene Frau und legt empört die Stirn in Falten. Eine Studie der Menschenrechtsorganisation Oxfam bestätigt ihre Aussagen. Demnach besucht nur eines von fünf Mädchen die Grundschule, wobei die Situation auf dem Land besonders schlimm ist.

In Farah, einer im Westen Afghanistans gelegenen Provinz, ist Malalai Joya zuhause. Hier hat sie eine Geburtsklinik und ein Gesundheitszen­trum aufgebaut, die durch Spenden finanziert werden, und irgendwo in der Provinz leben auch ihre Eltern. Deren Wohnort sollen möglichst weni­ge kennen, denn weder die Eltern noch ihr Mann sollen den Schergen der Warlords in die Hände fallen. Die geben, so Malalai Joya, in Afghanistan de facto den Ton an. »Solange die fundamentalistischen Warlords an der Macht sind, wird es keinen Frieden geben. Wir leben in einem besetzten Land, und die einzige Hoffnung ist eine demokratische Bewegung in Afghanistan«, klagt sie.

Diese Bewegung gibt es, betont sie und verweist auf die steigende Zahl von Demonstrationen in Afghanistan und auf Leute wie den kritischen Jour­nalisten Jakub Ibrahimi, dessen Bruder Sayed Perwiz Kambaksh im Januar wegen Blasphemie in erster Instanz zum Tode verurteilt wurde, weil er in der Universität einen Text über Frauenrechte im Islam verteilt hatte. »Ich denke, dass sie Kambaksh ins Gefängnis geworfen haben, weil sie sei­nen Bruder Ibrahimi einschüchtern wollen«, erklärt Malalai Joya mit bitterer Mine. »Unabhängiger kritischer Journalismus ist nicht erwünscht, und der jungen, gut qualifizierten Generation ohne blutige Vergangenheit wird der Weg nach oben versperrt.«

Für die Unterstützung dieser alternativen gesellschaftlichen Kräfte wirbt Malalai Joya bei ihrem Deutschland-Besuch anlässlich der Auszeichnung von »Enemies of Happiness« auf der Berlinale: »Wir brauchen eine echte Befreiung und Demokra­tie. Die bringt man nicht mit der Waffe in der Hand«. Mehr Truppen sind für sie folglich keine Lösung, wohl aber der Bruch mit den Warlords und die konsequente Verfolgung ihrer Verbrechen. Dafür arbeitet die international bekannteste Politikerin ihres Landes, und dafür will sie sich auch ihren Platz im Parlament wieder erkämpfen.