Ihr Leben war Arbeit

Lohn steht weder zur Leistung noch zum Bedürfnis in einem rationalen Verhältnis. Das macht ihn zu einer absurden Größe. kommentar von stefan ripplinger

Die Planwirtschaft war ein Lacher, aber es gibt nichts Verrückteres als die staatsmonopolkapita­listische Wirtschaftsweise. Es ist völlig verrückt, dass Klaus Zumwinkel gehen musste, weil er eine Million hinterzogen haben soll. Denn eine Mil­lion, bitte, was ist das schon für ihn? Er wird sie einfach vergessen haben wie wir einen Fünfer in der Hemdtasche.

Ist es auch verrückt, dass einer derart viel Geld verdient? Nein, aber dass er es für seine 80-Stunden-Profi-Woche kriegt. Jeder rechnet, was das in der Sekunde ist, und kommt auf eine phantas­tische Summe. Dabei kann der Mann gar nichts damit anfangen, nicht nur wegen der 80 Stunden Arbeit. Al Capone unterhielt mit seinen hinter­zogenen Millionen eine ganze Großfamilie, ein ganzes Stadtviertel. Wenn er auf die Straße trat, zogen die einen den Hut, die andern Leine, wenn er in einen Club kam, wurde ihm gleich der beste Tisch beigepfiffen. Aber wenn Zumwinkel jemals in einer Postfiliale einen Scheck hätte einlösen wollen, hätte er sich immer in der Schlange anstellen müssen.

Es reichte hinten und vorn nicht. Man hätte ihn in Juwelen aufwiegen können, er hätte dennoch in seinem Krähwinkel nach Mitternacht nicht halb so viel Spaß gehabt wie Capone schon vormittags in Chicago. Das ist das Verrückte daran. Sein Geld ist gar nichts wert. Ich glaube, er verachtet es. Er braucht 80 Stunden in der Woche, um sich von seinem nutzlosen Geld zu erholen. Die einen Häppchen herschaffen lassen, die andern in den Schlaf schwätzen, mit dem Finanzminister telefonieren, das ist die Erfüllung für die Zumwinkel. Sie dürfen es niemandem ver­raten, dass sie das auch umsonst machten. Denn das senkte ihr Prestige.

Geld ist nichts wert, Arbeit alles. So sieht es oben aus. Unten genau gleich. Gewerkschaft, Regierung und Bevölkerung sind sich darin einig, es gebe kein schlimmeres Schicksal als Arbeitslosigkeit. In Wahrheit gibt es kaum etwas Schöneres, deshalb müssen die Hartz-Sätze weiter und weiter gekürzt werden, damit niemand die Arbeitslosigkeit überlebt und von ihren Wonnen berichten kann.

Die Arbeit dagegen, an der alle so innig hängen, ist scheußlich wie selten was. Niemanden bedauere ich mehr als die Jungs aus der Fleischfabrik und die Kassiererinnen im Supermarkt. Tagaus, tagein dieselben toten Augen, tagaus, tag­ein dieselbe abgepackte Wurst. Aber was tun sie, wenn sie mal etwas auf der Tasche haben? Abgepackte Wurst kaufen wie alle andern auch. Hätten sie zehn Millionen mehr, würden sie sie vermutlich aus lauter Verlegenheit nach Liechtenstein abschieben.