Raúl sucht göttlichen Beistand

Der kubanische Präsident Raúl Castro kündigt Wirtschaftsreformen an und sucht neue Verbündete, auch im Vatikan. von anita baron, havanna

Leise und mit sonorer Stimme sprach Kardinal Tarciso Bertone den Segen in die laue Nacht. Die Menge vor der Kathedrale in der Altstadt von Havanna murmelte mit, selbst die zahlreichen Sicherheitsleute blickten scheinbar andächtig zum Altar. Nach dem offiziellen Rücktritt Fidel Castros von allen Regierungsämtern hätte man vieles erwartet, nur keine katholische Messe mitten in der Hauptstadt.

Fast fünf Jahrzehnte hatte der »Maximo Lider« die Insel regiert. Nun stellte ausgerechnet der Besuch eines Staatssekretärs des Vatikan alles andere in den Schatten. Selbst der gerade von der Nationalversammlung zum Präsidenten und damit zum Nachfolger seines Bruders Fidel gewählte Raúl Castro traf bei seiner ersten öffentlichen Amtshandlung nicht etwa seinen venezolanischen Kollegen Hugo Chávez, sondern Kardinal Bertone.

Der Besuch sei nur zufällig in die historische Woche gefallen, hieß es später aus Regierungskreisen. Doch da Fidel Castro seinen Rückzug wohl kaum spontan verkündet hatte, war das spektakuläre Treffen des neuen Präsidenten mit dem Kardinal wohl durchaus kalkuliert. Bereits eine Woche zuvor hatte die kubanische Regierung vier Oppositionelle, die seit mehreren Jahren in Haft saßen, ins spanische Exil ausreisen lassen. Und kurz nachdem die päpstliche Delegation wieder abgereist war, unterzeichnete der kubanische Außenminister Felipe Perez Roque Ende Februar in New York eine UN-Menschenrechtskonvention, die Fidel Castro nie akzeptieren wollte.

Das Parteiorgan Granma jubelte währenddessen über die päpstliche Kritik am US-Handelsembargo und entdeckte zahlreiche »gemeinsame Interessen« mit dem Vatikan. Auch im Ausland wurde der Besuch wohlwollend kommentiert. Vor allem spanische Zeitungen sahen darin Anzeichen einer vorsichtigen Öffnung zum Westen: Der Papst sei ein geeigneter Vermittler in Verhandlungen mit der EU, hieß es dort in Kommentaren, und vielleicht sogar mit den USA.

Göttlichen Beistand hat Raúl Castro angesichts der ökonomischen Lage auf der Insel auch dringend nötig. Der »Periodo especial« liegt nun zwar schon einige Zeit zurück. Damals, in den neunziger Jahren, kollabierte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fast die gesamte kubanische Wirtschaft. Auf dem Höhepunkt der Krise erlaubte die Regierung einige Reformen: In einem bescheidenen Umfang durften private Restaurants und Pensionen öffnen, der Agrarmarkt wurde vorsichtig liberalisiert. Vor allem aber führte Francisco Soberón, Chef der Zentralbank, den Peso Convertible ein. Seitdem wird auf der Insel statt des Dollar nur noch der konvertible Peso akzeptiert.

Damit schuf man allerdings neue Probleme, die nun die Legitimation des Staats zu untergraben drohen. Denn offiziell erhalten Kubaner ihren Lohn in der »Moneda Nacional«, dem kubanischen Peso, was zu sichtbaren sozialen Unterschieden führt. Die enorm unterschiedliche Kaufkraft der beiden zirkulierenden Währungen führt zu bizarren Verhältnissen. So entspricht etwa eine einzige Übernachtung in einem der teueren Touristenhotels einem ganzen Jahresgehalt, ein paar Turnschuhe immerhin noch einigen Monatslöhnen, und ein Wochenlohn reicht in einer Devisen-Bar gerade für einen Mojito.

Diese Probleme bewogen Raúl Castro bereits im Juli des vergangenenen Jahres zu einem spektakulären Schritt. Er rief zu einer schonungslosen Kritik an den Missständen auf, die auch nicht lange auf sich warten ließ. Weit über eine Million Änderungsvorschläge sind seitdem bei den Behörden eingegangen. Bei zahlreichen öffentlichen Diskussionen in Universitäten und Betrieben mussten sich Regierungsangehörige unangenehmen Fragen stellen. Warum, so fragen Studenten, können sie nicht ins Ausland reisen und keine Mail-Accounts einrichten? Warum gibt es zwei Währungen, von denen eine faktisch nichts wert ist? Warum muss das Land für 1,7 Milliarden Dollar Lebensmittel importieren, obwohl seit Jahren die Agrarproduktion gesteigert werden soll? Selbst die staatliche Zeitung Juventud Rebelde veröffentlichte Beiträge über die Korruption. Auch die Abhängigkeit von venezolanischen Importen wird kritischer gesehen. Was geschieht, wenn Chávez die Macht verlieren sollte?

Die Energiekrise ist durch die billigen Öllieferungen zwar vorerst behoben. Auch Grundnahrungsmittel und Gesundheitsversorgung sind nach wie vor für alle erhältlich. Was aber darüber hinausgeht, ist ohne Peso Convertible fast unerschwinglich. Vor allem hochqualifizierte Kubaner träumen daher von gut dotierten Stellen im Ausland. Auch auf der Insel gibt es immer mehr, die Zugang zu den begehrten Convertibles besitzen, etwa durch Jobs in der Tourismusbranche, mit Hilfe der zahlreichen privaten Lokale oder durch den Kunstmarkt, der vor allem bei der gut zahlenden US-Kundschaft beliebt ist.

So erwähnte Präsident Raúl Castro bei seiner Antrittsrede vor der Nationalversammlung das »sensible Problem« und kündigte an, dass es langfristig wieder nur eine Währung geben soll. Am Tag nach seiner Rede bildeten sich prompt lange Schlangen vor den Banken – viele Kubaner wollten ihre Devisen-Pesos umtauschen, weil sie eine Aufwertung der nationalen Währung erwarteten.

Eine schnelle Angleichung würde jedoch dazu führen, dass die Preise stark steigen. Tatsächlich hat die kubanische Regierung ein Problem. Die reale Kaufkraft des nationalen Peso ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, und die Bereitschaft, für einen Lohn, der fast nichts wert ist, viel zu arbeiten, hält sich sehr in Grenzen. Entsprechend wolkig blieben Castros Ankündigungen. Er versprach zwar in naher Zukunft »strukturellen Wandel« und »große Entscheidungen«, erklärte aber auch, dass »wir gut planen müssen und nicht mehr ausgeben können, als wir haben«.

Ohne Investitionen wird der »Wandel« kaum möglich ein. International konkurrenzfähige Branchen – wie beispielsweise die biotechnologische und pharmazeutische Forschung – gibt es zwar durchaus. Doch Umsatz und Vermarktung sind bislang bescheiden, da der lukrative US-Markt unzugänglich bleibt.

Dabei wird auch im politischen Establishment in Washington das anachronistische Embargo kritisiert, zumal die US-Politik widersprüchlich ist. Während die US-Regierung das politische System auf der Insel unentwegt kritisiert, werden jene, die davor flüchten, von der Küstenwache zurückgeschickt. Den wirtschaftlichen Zusammenbruch Kubas und einen unkontrollierbaren Flüchtlingsstrom will man gerne vermeiden. Nach den US-Präsidentschaftswahlen im November könnten die Beziehungen wieder in Bewegung geraten. Dabei könnte ein geistlicher Beistand wichtig sein: Kardinal Bertone steht als Vermittler sicher gern bereit.