Sei dies, sei das, sei irgendwas!

Berlin versucht, mit einer neuen ­Kam­pagne sein Image aufzubessern. von heiko werning

Was denn noch alles? Telefonrechnung, Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung, Spenden für Kinder in Not, Sofortkredit – der Briefkasten hält mal wieder eine umfangreiche Aufgabenliste bereit. Und dann schreibt mir auch noch mein Bürgermeister. Was will der denn? »sei berlin«, will er von mir. Auch das noch. Erst sollte ich Deutschland sein, jetzt auch noch Berlin. Man wird ja völlig schizophren allmählich. Reicht es denn nicht, dass ich hier schon ganz schön lange wohne? Muss ich auch noch unbedingt Berlin sein? Och Mensch, dafür habe ich gerade wirk­lich keine Zeit.

»sei berlin«. Beziehungsweise: »be berlin«. Im zugehörigen Werbefilmchen, das man sich im Netz angucken kann, klingt das aus Wowereits Mund nach einem chinesischen Comic-Nagetier: »Biber Lin«. Hört sich überhaupt ziemlich unbeholfen an, wie die Kampagnenträger die beiden Worte aufsagen. Dazu müssen sie sich alle eine rote Sprechblase um den Kopf halten. Was, mit Verlaub, insgesamt einen etwas fragwürdigen Eindruck von den Gebräuchen in Berlin hinterlässt. Auch zwei asiatische Touristinnen werden gestellt, und weil Asiaten höfliche Menschen sind, machen sie mit. Allerdings müssen sie ein halbes Dutzend Mal nachfragen: »Bi Be Li?«, »Bi Bi Li?«, »Bi Bi Bi?« Das Filmchen zeigt die unwürdige Prozedur in voller Länge, das soll wohl witzig oder menschlich oder beides sein. Wirkt aber eher unbeabsichtigt ehrlich: vollkommen verstörte Touristen, die fassungslos »be Berlin« in die Kamera holpern und keinen blassen Schimmer haben, was das alles überhaupt soll. Viel bes­ser könnte man es eigentlich auch nicht arrangieren, wenn man die Beklopptheit von Aktion und Motto schön visualisieren wollte. Fast schon sympathisch eigentlich.

Dazu passen bei näherer Betrachtung auch die weiteren Slogans und Plakatmotive. Sie zeigen allerlei Berliner jedweden migratorischen, geschlechtlichen und beruflichen Hintergrunds, die irgendwas zu sich und Berlin sagen, dazu im Duktus der Kampagne gehaltene Formeln der Art »sei straße, sei laufsteg, sei berlin«. Das sagen Rütli-Schüler, die dazu so gucken, als würden sie dem Fotografen nach dem Shooting erst mal ordentlich Respekt einprügeln und anschließend seine Mutter ficken wollen. Adlon-Chefkoch Tim Raue hat den Slogan »sei unikat, sei delikat, sei berlin« abbekommen, was eher nach Kannibalen-Forum als nach Meisterküche klingt, zutreffend dagegen die Parole von Gerätebau Dr. Herbert Knauer GmbH: »sei überraschend, sei erfolgreich, sei berlin«. Und so ist es ja auch: Wenn in dieser Stadt etwas wirklich erfolgreich wäre, zum Beispiel eine neue Imagekampagne, das wäre wirklich eine Überraschung. So viel ostentative Ehrlichkeit schmeichelt dann ja doch sogar etwas – Berlin bleibt eben doch Berlin.

Und jetzt soll auch ich Berlin sein. Tja, nun. Ein kurzer Blick in den Spiegel: Ist ein bisschen spät geworden gestern. Ich sah auch schon mal besser aus. Bin unrasiert, müsste dringend was für mich tun, so körperlich, und mal wieder duschen. Die Haare! Dazu noch diese elende Erkältung. »Abgewrackt« wäre ein hartes Wort, aber nicht ganz unpassend. Außerdem bin ich ziemlich pleite gerade. Und nach dem ganzen »be berlin«-Quatsch einschließlich dieser bescheuerten Kursivsetzungen auch reichlich verstimmt. Noch einmal betrachte ich erst Wowereits Brief – »sei berlin«! –, dann wieder den Spiegel: ohne Frage, schon erledigt. Keine schöne Erkenntnis, aber man muss der Wahrheit ins Gesicht sehen. Ich bin Berlin. Verdammt. Auch das noch. Übellaunig gehe ich zur Kiste mit dem Altpapier.