Unsere Jobs werden revolutioniert

Der Berliner Verlag führt zurzeit ein pädagogisch wertvolles Lehrstück in Sachen Kapitalismus auf. Der Eintritt ist für die Öffentlichkei frei. Von Burkhard Schröder

Aktueller Stand: Die Redaktion der Berliner Zeitung möchte Josef Depen­brock loswerden. Der ist Chefredak­teur und Geschäftsführer in einer Person. Das widerspreche dem Redaktionsstatut und gefährde die journalistische Unabhängigkeit, argumentiert die Redaktion – und klagt.

Depenbrock wurde im Mai 2006 von seinem Vorgänger Peter Skulimma berufen – gegen den Willen der Redaktion, die nach dem Redaktionsstatut ein Vetorecht gegen die Entscheidung gehabt hätte und sich übergangen sah.

Depenbrock gehört seitdem der Geschäftsführung der BV Deutsche Zeitungsholding an, ist dort für die redaktionellen Belange der Gruppe zuständig und hält selbst Anteile an der Holding. Mit dieser Doppelfunktion als Redaktions- und Verlagsmanager kennt er sich aus: Genauso waren seine Jobs beim Anlegermagazin Cash und bei TV-Today beschaffen. Eigentümer des Berliner Verlags und der BV Deutsche Zeitungsholding ist der ehemalige Geschäftsführer der britischen Mirror-Zeitungsgruppe David Montgomery mit seiner Beteiligungsfirma Mecom und dem Kapital der Investmentfirma Veronis Suhler Stevenson (VSS).

Vordergründig geht es in dem Konflikt um Journalismus, in Wahrheit aber um das, worum sich die Ökonomie des Kapitalismus ausschließlich dreht – um den größtmöglichen Profit und darum, wie der am besten zu erzielen sei. Montgomery gibt sich in Interviews als Visionär und Prophet. »Euch wird es genauso gehen wie allen Journalisten auf der Welt: Eure Jobs werden revolutioniert«, sagte er im Interview mit Cicero. Montgomery hat natürlich Recht. Er setzt auf das Internet und will seinen Zeitungen in Deutsch­land ein neues Redaktionssystem verpassen.

Das haben die Berliner Zeitung, der Berliner Kurier und das Stadtmagazin Tip auch dringend nötig. Der Berliner Verlag hat in der Vergangenheit im Online-Bereich fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann: Die Websites seiner Druckerzeugnisse sind wenig ansprechend, technisch auf dem Stand von vorgestern. Montgomery will Online und Print stärker vernetzen. Dass das zurzeit gar nicht realisierbar ist, ist nicht die Schuld der Redaktionen, denen die entsprechende Technik fehlt. Allerdings gibt es auch Widerstand gegen geplante Neuerungen. Befürchtet wird, dass das Konzept eines »Newsroom« vor allem dazu führt, dass Stellen wegfallen. Auch das ist wahr: Im 21. Jahrhundert sollten Journalisten sich daran gewöhnt haben, ihre Artikel auch für’s Internet zu schreiben. Die Trennung zwischen Offline- und Online-Redakteur hat ohnehin keine Zukunft.

Ob sein Konzept zu einem journalistischen Qualitätsverlust führt, ist Montgomery völlig gleichgültig, obwohl er aus Gründen der »corporate identity« das Gegenteil behaupten muss. Das publizistische Profil gilt dem Kapital lediglich als »weicher Faktor«.

Beim Berliner Verlag ist das Eigenkapital so hoch wie das Fremdkapital, eine Investition auf Pump also, mit hohen Risiken für die Anleger – und eine Spekulationsblase. Jedes Jahr müssen rund 12 Millionen Euro Schulden abbezahlt werden; dazu kommen die Gewinnerwartungen der Aktionäre. Montgomery hat 20 Prozent Rendite versprochen, nicht aus »überzogenem Gewinnstreben«, wie die Gewerkschaften naiv kritisieren, sondern aus ökonomischen Zwängen: Liefert er weniger ab, geht alles den Bach hinunter.

Im Kapitalismus gibt es kein »überzogenes Gewinnstreben«, genauso wenig wie einen »gerechten Lohn« (über den schon Friedrich Engels lachte) oder einen »fairen Handel«. Was zählt, sind nur harte Fakten – der Profit. Das Finanzkapital investiert nur dort, wo kurzfristig Rendite erwartet wird. Beim Berliner Verlag stand von Beginn an buy-and-build im Vordergrund: Ein Unternehmen mit Sparpotenzial wird »aufgerüstet« und mit höherem Gewinn weiterverkauft.

Sparen konnte man aber bei der Berliner Zeitung, dem Kurier oder auch dem Tip kaum noch. Nur durch die Verzahnung von Online- und Printbereich war Rendite zu erwarten, auch wenn das zu Lasten der festen Jobs geht. Aber das ist im Kapitalismus seit 200 Jahren keine große Überraschung.

Das Geheimnis Montgomerys ist das Prinzip Hoffnung – der so genannte Leverage-Effekt, englisch für »Hebelwirkung«. Das bedeutet: Der Investor bekommt Kredit zu günstigeren Bedingungen, als die Investition an Rendite erzielt. Die Verzinsung des Eigenkapitals ist höher als die Kosten, die dafür aufgewendet werden müssen, um das Fremdkapital zu finanzieren. Montgomerys Problem ist: Das Verhältnis kann sich auch umkehren. Die »Heuschrecken« müssen hoffen, dass alles so bleibt wie zu dem Zeitpunkt, als sie das Objekt ihrer finanziellen Begierde erwarben.

Bis jetzt läuft alles so wie geplant. Mecom hat gerade stolz die neuesten Zahlen veröffentlicht. Der Konzern hat insgesamt einen Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Euro und den Profit gesteigert. In Deutschland ist die Renditemarge von 11,8 auf 13,8 Prozent gestiegen. Das Unternehmen ist an der Londoner Börse noch am »Alternative Investment Market« notiert, einem Segment der Börse, das nicht vom Markt reguliert wird, sondern nur als »Sprungbrett« dient. Im April will der Konzern auf den »Main Market« und sich für neue Investoren weltweit interessant machen. Man darf vermuten, dass der Zukauf deutscher Zeitungen letztlich vor allem diesem Zweck diente: An der Börse gilt die Ankündigung kurzfristiger Gewinnausschüttungen als attraktiv und erhöht den Wert des Unternehmens. Ob das später wieder zerlegt und in Einzelteilen teurer verkauft wird, ist unerheblich.

Auch der ökonomische Trend bei deutschen Zeitungen spricht vorerst für Montgomerys Strategie: Die höchste Reichweite erzielen die Tageszeitungen bei den 40- bis 69jährigen Lesern. Im vorigen Jahr sind zwar die Auflagen leicht gesunken, das Anzeigenaufkommen ist jedoch leicht gestiegen. Die Zielgruppe der traditionellen Leser ist aber ausgereizt.

In Berlin, einem der härtesten Medienmärkte in Europa, ist ohnehin nichts mehr zu verteilen. Die Medien müssen also die jüngere Generation an sich binden, neue Zielgruppen erreichen. Das geht nur über das Internet.

Angesichts der ökonomischen Zwänge ist der Streit bei der Berliner Zeitung um Depenbrock das eigentliche Problem. Falls Montgomery als rational denkender Kapitalist sein vollmundig angekündigtes Vorhaben wahrmacht, hat er anschließend ein Problem: Der Profit lässt sich nicht beliebig lang auf einem Niveau halten. Kon­tinuierlicher Gewinn setzt Expansion voraus. Und da ist der Markt in Deutschland eher un­interessant.

Mecom hat also nur zwei ökonomische Alternativen, die beide mit hohen Risiken behaftet sind. Entweder man macht es so wie Haim Saban, der mit einer vergleichbaren Strategie – der Übernahme von Anteilen der Kirch-Media-Gruppe – in nur drei Jahren einen Millionengewinn erzielte. Oder man expandiert von Deutschland aus nach Osteuropa. Aber auch dort ist der Markt schon aufgeteilt – vor allem unter deutschen Medienkonzernen.