Die Fernsehserie »Seinfeld«

Die Stadtneurotiker

Serie über Serien. Sonja Eismann ist bekennender Fan von »Seinfeld«

Was war das denn? Als ich ­Mitte der Neunziger in den USA zum ersten Mal die Fernsehserie »Seinfeld« sah, schwank­te meine Reaktion zunächst zwischen Wider­willen und Langeweile: Wie unsympathisch! Und: Was soll das eigentlich? Aber im Gegensatz zu meinen Kumpels von der superliberalen Univer­sity of California Santa Cruz belegte ich damals auch nicht die hippen »Television Studies«, sondern etwas über »Lite­ra­ture« und »Mar­xism«. Sonst hätte ich zu dem Zeit­punkt vermutlich ­bereits geahnt, was sich nun, fast zehn Jahre nach der Ein­stellung der ­Serie, als quasi historischer Fakt heraus­kristallisiert hat: dass ­»Seinfeld« das Flaggschiff der ­post­modernen, selbst­referenziellen Fernseh­unterhaltung der Neunziger war.
»Seinfeld«, von 1989 bis 1998 in neun Staffeln ausgestrahlt und zu Hochzeiten wöchentlich in den USA von 30 Millionen Zuseherinnen und Zusehern verfolgt, wurde oft als »show about nothing« apostrophiert. Denn die vier hier auftretenden New Yorker Thirty-Somethings, die zum ersten Mal im Fernsehen ganz radikal die (später standardisierten) Identitäten der neuen unerwachsenen Erwachsenen ohne fixierte Bindungen oder Karrieren ausleben durften und dabei selbstsüchtig, neurotisch, kindisch und latent unsympathisch waren, wurden bei nichtigsten Alltagshandlungen gezeigt: in der Wohnung des besten Freundes rumhängen und den Kühlschrank leerfressen, im Diner Zeit runterreißen, in der Kinoschlange stehen, um so was ging’s hier. Es gab weder Moral noch charakterliche Entwicklungen bei den Protagonisten, angeblich folgten die Macherinnen und Macher der Serie dem Diktum: »no hugging, no learning.«
Das war nicht nur ungewöhnlich für Fernseh­unterhaltung Mitte der Neunziger, das war auch außerordentlich amüsant, denn die »Handlung« spielte sich wesentlich in beißenden Dialogen und hin- und hergeschobenen, infantilen Absurditäten ab. Dabei waren die ständigen Vertrauensbrüche untereinander stets von großer Wichtigkeit. So wurde die Hauptfigur Jerry, gespielt vom Comedian Jerry Seinfeld (aufgepasst: Vermischung der Ebenen!), beispielsweise einmal von einer Frau verlassen, als die über Cliquen-Umwege erfuhr, dass er die Größenangaben auf den Schildchen hinten auf seinen Jeans aus Eitelkeit herunterfälscht.
Das Phantastische an »Seinfeld« war jedoch vor allem, dass hier das Gefühl vermittelt wurde: Wir, lieber Zuschauer, kennen auch deinen persönlichen Wahnsinn und die Verrückten um dich herum. Wer hat denn schließlich keine Freundinnen und Freunde, die, so wie George, der neurotische und unattraktive beste Freund von Jerry, permanent in der Angst schweben, »to be cut out of the loop« – also aufgrund irgendwelcher »Vergehen« auf der Shitliste zu landen und aus dem internen, überlebenswichtigen Wissens- und Gossipfluss der Clique katapultiert zu werden?
Neben den vielen herrlichen Grotesken, die längst Eingang in den allgemeinen amerikanischen Sprachgebrauch gefunden haben (»Master of Your Domain«, »Yada-Yada«, »Sponge-Worthy«, »Soup Nazi« etc.), wurden, trotz der eigentlich antihumanistischen Haltung, immer wieder auch ganz nebenbei emanzipative Themen verhandelt. So konnte Elaine aufgrund ihrer Überzeugungen einen attraktiven Mann nicht mehr daten, nachdem sich herausgestellt hatte, dass er Abtreibungsgegner war. Oder es gab einen »Contest« darum, wer es am längsten aushielt, nicht zu masturbieren (ohne dass das Wort »Masturbation« überhaupt fallen musste).
Am schönsten war in dieser Hinsicht aber vielleicht die Folge »The Rye« aus der siebten Staffel, in der Elaine mit einem Saxophonspieler ausging, der im Bett »nicht alles machen« wollte. Am Ende der Episode kamen er und Elaine, sie ihn mit den Worten »You don’t have to try so hard!« beschwichtigend, direkt von einem Schäferstündchen zu einem wichtigen Vorspiel­termin. Auf der Bühne verzog der Musiker schmerzlich den Mund und konnte aus seinem Saxophon nur noch jämmerlich quäkende Töne kitzeln. So brüllend lustig und doch subtil ist im Fernsehen wohl niemals davor oder danach Cunnilingus verhandelt worden.