Endlager für Kohlendioxid

Wer wird denn gleich in die Luft gehen?

Ein Endlager für Atommüll gibt es noch nicht, jetzt werden auch noch Endlager für das Treibhausgas Kohlendioxid gesucht. Zum Beispiel in Schleswig-Holstein. Die Frage, ob sich der Auspuff in den Untergrund wirtschaftlich lohnt, ist allerdings noch offen, ebenso wie die nach den Risiken des Verfahrens.

Wenn es ums Geld geht, wird die Industrie bekanntlich sehr erfinderisch. Und da Verdrängen schon immer eine ihrer besten Übungen war, möchte sie eine ihrer derzeit größten Bürden einfach aus dem Weg räumen. Oder besser gesagt: absaugen. Es geht um das klimaschädliche Gas Kohlendioxid (CO2). Da in der Zukunft mit steigendem Druck der Politik und mit höheren Kosten für die Klimaverpestung zu rechnen ist, soll das CO2 in den Erdboden gepresst werden, anstatt es in die Atmosphäre entweichen zu lassen, was teuer werden kann. Dass es den Unternehmen da­mit ernst ist, führt der Essener Energiekonzern RWE derzeit in Schleswig-Holstein vor.
Ein Tochterunternehmen der RWE, Dea, hat Mitte März beantragt, in drei Regionen des norddeutschen Bundeslandes nach geeigneten Flächen suchen zu dürfen, wo das Treibhausgas unterirdisch gelagert werden könnte. Neben dem Osten Schleswig-Holsteins geht es auch um Gebiete an der Küste Nordfrieslands und der Nordsee. RWE hofft schon Ende des Jahres, die ersten seismischen Untersuchungen durchführen zu können. Anfang 2010 soll dann gebohrt werden.

Gesucht wird nach porösen Gesteinsschichten im Erdboden, auch unterhalb des Meeres, die das CO2 langfristig binden sollen – so hoffen die Planer zumindest. Denn genau abschätzen lässt sich weder, ob solche Versuche langfristig dem Klima­schutz dienen, noch ob sie sich für die Unternehmen rechnen.
Dementsprechend vorsichtig formuliert der Sprecher von Schleswig-Holsteins Umweltminister Christian von Boetticher (CDU) dessen politische Zustimmung zu dem Projekt: »Ob das die Zu­­­kunft ist, da haben wir nach wie vor Bedenken. Doch wenn wir die Klimadebatte ernsthaft führen, müssen wir auch solche Technologien be­rück­­sich­ti­gen.« Von Boettichers Parteikollege, La­n­des­wissenschaftsminister Dietrich Austermann, hatte bei der Verkündung der RWE-Pläne schon deutlichere Worte parat: »Kohlendioxid unter der Erde ist besser als Kohlendioxid über der Erde – und moderne Kohlekraftwerke sind besser als alte Anlagen.«
Fakt ist: Die geologischen CO2-Tanks wären unnötig, würden die Stromerzeuger derzeit nicht die Kritik von Umweltverbänden in den Wind schlagen und den überwiegenden Teil ihres Geldes in neue fossil betriebene Kraftwerke stecken anstatt in erneuerbare Energien. Nach einer Übersicht des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) sind derzeit 23 Kohlekraftwerke in Planung oder in Bau, drei davon im nördlichsten Bundesland.
Doch die neuen Kraftwerke werden sich wohl langfristig nur auszahlen, wenn sie nicht nur effizienter arbeiten als ihre Vorgänger, sondern auch das CO2 abgeschieden wird, so das Kalkül. Durch den in diesem Jahr verschärften europäischen Emiss­ionshandel müssen die großen Strom­­an­bie­ter nach eigenen Angaben massiv CO2-Zertifikate hinzukaufen. Ab 2013 könnten die Klimaschutzzertifikate, die zum Ausstoß einer bestimmten Menge des Treibhausgases berechtigen, so die Diskussionen, erstmals komplett an die Unternehmen verkauft werden.
Dass die Kohlendioxid-Abscheidung im Prinzip funktioniert, zeigen diverse Testanlagen, etwa die des Norwegischen Ölkonzerns Statoil. Der presst seit 1996 jährlich rund eine Million Tonnen CO2, das bei der Förderung von Naturgas frei wird, unter den Meeresboden. In diesen Tagen wird die erste deutsche Testanlage im brandenburgischen Ketzin in Betrieb gehen, wo das Gas aus einer Raffinerie testweise in über 600 Meter tiefe Sandsteinschichten gepumpt werden soll.

Der komplizierteste Schritt des Verfahrens dürfte jedoch die Abscheidung im Kraftwerk selbst sein. Derzeit werden dafür, zum großen Teil fi­nan­­ziert mit öffentlichen Geldern, drei unterschiedliche Technologien erprobt. Das Bun­des­wirt­­schafts­­­ministerium und die Industrie geben in diesem Jahr jeweils rund 30 Millionen Euro dafür aus. Die optimistischsten Schätzungen gehen davon aus, dass die Abtrennung an ersten konventionellen Kraftwerken bis zum Jahr 2020 erreicht werden kann. Zahlreiche Wissenschaftler, die etwa an Hoch­schulen in Aachen und Hamburg an den Methoden arbeiten, fragen nicht mehr nach dem Ob, sondern höchstens noch nach dem Wie und Wann der CO2-Abscheidung.
Im Kraftwerk soll das CO2 etwa durch moderne Membranen, Waschlösungen oder neue Verbrennungsverfahren abgetrennt werden, um es danach zu verflüssigen und in den Untergrund zu leiten. Allerdings wird allein für diesen Prozess wieder neue Energie benötigt, und damit wird weiteres CO2 erzeugt. In einer vom Bundesumweltministerium finanzierten Studie wurde Ende vergangenen Jahres errechnet, dass je nach Technologie 15 bis 35 Prozent mehr Brennstoff eingesetzt werden müsste und die Abscheidung zu­sätz­­liche Kosten von 120 Prozent verursachen würde.
Dass die Abscheidung des Kohlendioxids tatsächlich zum Verlustgeschäft für die Konzerne werden könnte, darauf deuten verschiedene Re­ak­tionen aus dem Ausland hin. In Norwegen etwa haben die Unternehmen Shell und Statoil im vergangenen Juni ernüchternde Ergebnisse eines gemeinsamen CO2-Lagerprojekts veröffent­licht. Dabei ging es um die Abscheidung des klimaschädlichen Stoffes von einem Gaskraftwerk. Das CO2 sollte in ein Ölfeld gepumpt werden, um es zu speichern und zudem den Öldruck und damit die Produktionsraten zu erhöhen. Das Verfahren funktioniert zwar grundsätzlich, die Verpressung im Ölfeld wäre aber »kommerziell nicht zu rechtfertigen«, und auch ein Gaskraftwerk mit CO2-Abscheidung wäre derzeit »nicht gewinnbringend«. Laut Presseberichten von Ende Januar hat sich das US-Energieministerium aus der Finanzierung eines Pilotprojekts für ein »CO2-freies« Kohlekraftwerk im Bundesstaat Illinois herausgezogen – aus Kostengründen.
So mancher ökologisch engagierte Mensch fragt sich angesichts solcher Zahlen, was in den Köpfen der Energiekonzernchefs vorgeht – auch die drei größten deutschen Energieunternehmen arbeiten schließ­lich an verschiedenen Verfahren zur CO2-Abtrennung: »Das sind letzte Rettungsver­suche für Kohlekraftwerke, die scheitern werden«, prophezeit Lutz Oschmann, Referent für Energiewirtschaft der Landtagsfraktion der Grünen in Schleswig-Holstein. Die Unternehmen könnten sich von den eingefahrenen und gewinnbringenden Strukturen schlecht trennen. »Stattdessen sollten sie direkt alles Geld in erneuerbare Energien investieren.«
Ohne die Ehre der Energieunternehmen retten zu wollen – ein Angebot aus regenerativen Energien ist machbar, aber nicht von heute auf morgen. Für einen sehr schnellen Umstieg auf überwiegend erneuerbare Energie wird nach Ansicht von Experten noch zu wenig politischer Druck ge­macht und vor allem zu viel Energie verbraucht. Hinzu kommt, dass die heimische Braunkohle und die importierte Steinkohle in den nächsten Jahrzehnten noch günstig zu haben sein werden.
Nach einer Untersuchung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt aus dem Jahr 2007 können erneuerbare Energien bis 2050 schon 77 Prozent des Stromangebots ausmachen. Was bis dahin realistischerweise aus der Kohle werden könnte, bezeichnet die genannte Studie in Auftrag des Umweltministeriums als »pragmatische Strategie«. Die CO2-Abscheidung, auch CCS (carbon capture and storage) abgekürzt, dient dabei der Überbrückung. Da bis zum Jahr 2020 erwartungsgemäß die erneuerbaren Energien schon günstiger sein werden als der fossile Strom mit CCS, könnte die vorübergehende Abtrennung des Rauchgases die Zeit schaffen, um massenhaft effiziente Windräder, Biomassekraftwerke und Solarkollektoren aufzustellen und trotzdem die Klimaschutzziele der Bundesregierung (40 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis 2020) zu erreichen. Daher können sich selbst der Umweltverband Greenpeace und der WWF unter bestimm­ten Bedingungen den Einsatz von CCS vorstellen.
Die Probleme, die das Verfahren noch mit sich bringen wird, sind allerdings kaum zu überblicken. Möglicherweise könnte das Gas das Meer versauern und an Land Menschen gefährden, wenn es massenhaft wieder austritt. Zudem liegen die fossilen Kraftwerke meistens nicht über einem geeigneten CO2-Speicher. Das Kohlendioxid müsste also mit viel Aufwand in entfernte Speicher geleitet werden.

Schleswig-Holstein erteilt dem CO2-Import jedoch schon jetzt eine Absage: »Wir würden ungern Kohlendioxid aus anderen Ländern, zum Beispiel aus Nordrhein-Westfalen, lagern«, sagt der Sprecher des Umweltministers. Es gehe bei den geplanten Tests in erster Linie um die eigene langfristige Energieversorgung, die Kapazitäten seien überdies begrenzt. Das zeigt auch ein Blick auf ganz Deutschland: Wird das heimisch produzierte Treibhausgas nicht kostspielig ins Ausland exportiert, wo die Speichermöglichkeiten als noch besser eingeschätzt werden, dann reichen die hiesigen Kapazitäten laut verschiedenen Experten nur für höchstens rund 100 Jahre.
Und abgesehen von den sonstigen Kosten könnten die Stromkonzerne zusätzlich zur Kasse gebeten werden, wenn sie ihr Gas in den Untergrund pressen wollen: »Wir können uns vorstellen, eine Art von Schürfrechten zu verkaufen, damit das CO2 gelagert werden darf«, heißt es im schleswig-holsteinischen Umweltministerium. Der Auspuff in den Untergrund könnte die letzte Chance für die Konzerne sein, auch weiterhin an ihrer schmutzigen Kohle festhalten zu können. So wie es aussieht, werden sie aber erstmals richtig draufzahlen müssen, wenn sie die Umwelt verschmutzen oder den Strom wieder mal verteuern.