Die Rolle des Internet im US-Wahlkampf

Die Jagd nach Hits

Im US-amerikanischen Wahlkampf spielen die Blogs eine immer größere Rolle. In einigen Fällen profilieren sich Polit-Blogs sogar als Alternative zu den Mainstream-Medien. Doch wie repräsentativ ist das Netz wirklich?

Beim Experimentieren mit neuen Methoden, Reklame zu machen, haben die Wahlkampfteams von Barack Obama und Hillary Clinton im Vorwahlkampf für die Präsidentschaftskandidatur ein eigentlich nicht mehr ganz neues Medium entdeckt: das Web 2.0.
Einen handfesten Vorteil hat das Internet im US-amerikanischen Wahlkampf bereits bewiesen: Es hat sich als ideales Mittel entpuppt, um Spenden einzutreiben. Zwar finden die abendlichen Bälle, bei denen wohlhabende Unterstützer ihre bevorzugten Kandidaten mit großen Geld­summen beschenken, weiterhin statt. Da die Mehr­­zahl der Sympathisanten aber wohl nicht einmal die diesen Anlässen angemessene Kleidung bezahlen kann, blieben diese Veranstaltungen für die Kampagnenfinanzierung bislang weniger bedeutend. Wer früher bereit war, kleinere Summen zu spenden, musste sich die Mühe machen, einen Scheck an das Wahlkampfbüro seines Favoriten per Post zu schicken oder ergriff anderweitig die Initiative. Trägheit stellt nun kein Hindernis mehr dar: Eine Kreditkarte und ein Internetanschluss genügen, und mit wenigen Mausklicks tragen auch weniger wohlhabende Sympathisanten zu der Finanzierung der Kampagnen bei.
Der am Anfang der Vorwahlen relativ unbekannte Präsidentschaftskandidat Barack Obama hat etwa 60 Prozent von über 230 Millionen US-Dollar (ca. 146 Millionen Euro) Spendengeld im Internet eingenommen. Nachdem er mit vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln begonnen hatte, hat er seine Konkurrentin Hillary Clinton trotz ihrer Prominenz als ehemalige First Lady schon vor Monaten abgehängt. Maßgeblich sind die zahlreichen relativ kleinen Spendenbeiträge: 90 Prozent der Internetspendensumme setzt sich aus Beträgen von 100 Dollar oder weniger zusammen. Viele von Obamas 1,3 Millionen Spendern hätten ohne den Komfort einer Online-Überweisung ihr Geld wohl behalten.

Mit Social-Networking-Seiten bietet das Web 2.0 vor allem neue Möglichkeiten, Anhänger massenhaft als Wahlkampfhelfer einzuspannen. Auch hier hat Obama mittlerweile alle Konkurrenten hinter sich gelassen. Auf dem in den USA populären Online-Dienst Facebook zählt er inzwischen mehr als 750 000 Unterstützer, seine Kontrahentin Hillary Clinton muss sich mit weniger als 150 000 zufrieden geben. John McCain, der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, kann nur rund 100 000 Facebook-Unterstützer aufweisen.
Auf Myspace zeigt sich das gleiche Bild: Mit beinahe 350 000 hat Obama fast doppelt so viele Freunde wie Clinton auf seine Seite gezogen. Ähnlich sieht die Statistik auf der Video-Plattform Youtube aus, wo sowohl Obama als auch Clinton eigene Channels zur Veröffent­lichung von Reden und Werbevideos betreiben. Obamas Youtube-Kanal besuchen täglich etwa 37 Millionen Zuschauer, Clinton bleibt mit 11 Millionen weit zurück.
Wie keine andere bietet Obamas Web-Präsenz Möglichkeiten zur Beteiligung, und sein Wahlslogan fordert explizit auf, an die eigene Fähigkeit zu glauben, »in Washington wirklich etwas zu ändern«. Anhänger finden fertige Logos, Icons, Spendenaufrufe, Videos und andere Elemente, um sie mit wenig Aufwand auf ihren Homepages einzubauen. Jede größere Zielgruppe wird dabei berücksichtigt: Umweltschützer erhalten ebenso ein auf sie zugeschnittenes Logo wie Afro­ameri­kaner, Latinos, Studenten, Kriegsveteranen und Frauen. Um die Wirkung über das Internet hinaus auszudehnen, können Anhänger von Obama und Clinton auch telefonisch Bürger zur Wahl aufrufen. Dazu erhalten sie Namen und Telefonnummern potenzieller Wähler, die sie anhand eines vorgefertigten Skripts zu überzeugen versuchen können.
Viel mehr als die Social-Networking-Seiten ist es aber die Blogosphäre, die seit Beginn des Wahl­kampfes eine immer größere Rolle spielt. Die Online-Community hat sich in einigen Fällen als Alternative zu den Mainstream-Medien in der Berichterstattung über den Wahlkampf profiliert.
Auf Platz eins der Liste der US-amerikanischen Polit-Blogs findet man derzeit die demokratische »Huffington Post«, die vom Time Magazine als einer der »25 besten Blogs der Welt« bezeichnet wurde. Die »HuffPo« wurde 2005 von der Kolumnistin Arianna Huffington ins Leben gerufen, seitdem ist die Plattform politisch immer einflussreicher geworden. Sie präsentiert sich als eine Mischung aus Nachrichten, Kommentaren und Polit-Klatsch, auf der Seite kann man Beiträge von Hollywood-Stars wie Alec Bald­win oder Tim Robbins lesen, aber auch die Kandidaten selbst nutzen die Plattform, um an Debatten teilzunehmen. Ein Beispiel lieferte vor einigen Wochen Barack Obama, der zu den umstrittenen Aussagen des mit ihm befreundeten Pastors Jeremiah Wright über den 11. September Stellung nehmen wollte und dies mit einem Essay auf der »­HuffPo« tat, nicht mit einer Pressekonferenz oder einem Beitrag in einem Mainstream-Medium.
Die Internetpräsenz der Kandidaten und ihrer Themen wird immer stärker und trotzdem bleibt es schwierig zu prognostizieren, inwiefern die Online-Community die Primaries und die Präsidentschaftswahlen tatsächlich beeinflussen wird.

Denn die Aussagekraft des Internets wird durch mehrere Faktoren relativiert. Menschen auf der ganzen Welt fühlen sich von der Präsidentschaftswahl in den USA betroffen. Im Internet haben sie die Möglichkeit, ihre Meinung kundzutun und ihren Favoriten ideologisch zu unterstützen, selbst wenn ihre Meinung für die Wahl irrelevant bleiben wird, weil sie keine US-amerikanischen Bürger sind. Auch lässt sich nicht nachvollziehen, ob mehrere Online-Identitäten möglicherweise nur einer realen Person entsprechen. So entsteht eine große Zahl möglicherweise nicht wahlberechtigter oder gar nicht real existenter Meinungsmacher – die Obama als Beleg für seine breite Basis dienen sollen.
Die Welt der Blogger gilt zudem als besonders unberechenbar. Auf der Jagd nach Hits entsteht ein großer Druck zum schnellen und häufigen Veröffentlichen. Dabei entscheiden nicht selten Tagesstimmung oder Sensationslust statt konsis­tenter politischer Ansichten. Viele Blogger verstehen sich als ohnehin parteiische Kommentatoren und erheben gar keinen Anspruch auf Objektivität. Die Unterstützung für einen Politiker wird häufig emotional begründet und die Gunst springt so schnell zwischen den verschiedenen Kandidaten und Parteien hin und her, dass die Blogger-Community für Wahlkämpfer schwer greifbar ist.
Abgesehen von der Schwierigkeit, aus Blogs und Web-Statistiken ein realistisches Meinungsbild der Internetklientel zu gewinnen, bildet diese ohnehin keine repräsentative Zielgruppe. Zwar verfügt statistisch gesehen jeder zweite US-Amerikaner über einen Hochgeschwindigkeitsanschluss, allerdings beteiligen sich an Blogs und Community-Seiten vorwiegend männliche Amerikaner unter 30 Jahren. Laut einer Studie des Pew Institute informieren sich zwar 42 Prozent der Wahlberechtigten in dieser Altersgruppe im Internet über die Präsidentschaftswahlen – dies trifft jedoch nur für ein Viertel aller Bürger zu. Weniger als vier Prozent der über 30jährigen verwenden Social-Networking-Seiten wie Facebook und MySpace als politische Informationsquellen.
Der Fall Ron Paul, der gerne Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei geworden wäre, bestätigt die Skepsis gegenüber der realen Wirkung einer erfolgreichen Internetkampagne. Er war bis zu seinem Rückzug der absolute Shooting-Star in der Blogger-Szene. Von seinen insgesamt 36 Millionen Dollar Spenden sammelte er 32 Millionen mit Hilfe des Internets und damit mehr als Howard Dean, der Rekordhalter von 2004.
Bei den Vorwahlen brachte Paul in den meisten Bundesstaaten aber nur drei bis acht Prozent der Wähler hinter sich. Seinen größten Erfolg feierte er im Staat Iowa, wo er mit zehn Prozent den zweiten Platz belegte.
Der Wirkungskreis des Internet nimmt derzeit rapide zu, und es wird in einigen Jahren wohl eine immer wichtigere Rolle spielen. Für Wahlstrategen ist das durchaus ambivalent. In der Erweiterung des öffentlichen Raumes durch die Online-Community sehen viele US-amerikanische Medienwissenschaftler eine Ausweitung der traditionellen repräsentativen Demokratie. Auf der anderen Seite bleibt die Frage, in welche Richtung die von Sympathisanten reihenweise auf Youtube lancierten Videos, die schwärmende Anhängerinnen in körperbetonter Kleidung zeigen, das Ergebnis der Wahl beeinflussen können.