Regionalrassismus in französischen Fußballstadien

Regionalrassismus mit Folgen

Ein Transparent im Fußballstadion hat in Frankreich zu heftigen Reaktionen geführt, denn ein ganzer Landstrich wurde beleidigt.

Dass einzelne Fußballspieler von Fans in rassistischer Weise beleidigt werden, ist auch in Frankreich nicht ungewöhnlich und sorgt daher selten für öffentliche Empörung. Ein Vorfall, der sich am 29. März in Paris ereignete, hat nun jedoch für anhaltende Debatten gesorgt. Im Stade de France fand an diesem Tag das Finale der Coupe de la Ligue statt. In dem Match, vergleichbar mit dem Finale des DFB-Pokals, standen sich der hauptstädtische Verein PSG (Paris Saint-Germain) und der nordfranzösische Racing Club Lens gegenüber. In der 52. Spielminute entrollten Fans des PSG ein riesiges, 25 bis 30 Meter messendes Transparent, das vom Rasen und einem Gutteil des Stadions aus gut zu erkennen war. Darauf stand: »Kinderschänder, Arbeitslose, Inzestkinder – Willkommen bei den Ch’tis!«
Ch’tis oder Ch’timis ist ein Spitzname für die Einwohner des äußersten Nordens Frankreichs, nahe der belgischen Grenze, die zum Teil flämischer Abstammung sind und einen eigenen Dia­lekt sprechen. Die Formulierung »Willkommen bei den Ch’tis« ist eine Anspielung auf den Titel eines Kinofilms, der in den letzten anderthalb Monaten zum Kassenschlager in Frankreich geworden ist. Mit bislang 17,4 Millionen Besuchern ist er der zweiterfolgreichste Film in der Ge­schich­te des französischen Kinos. »Bien­venue chez les Ch’tis« erzählt die Geschichte von Südfranzosen, die in den vermeintlich eiskalten Norden versetzt werden, und zeigt dessen Bewohner von ihrer liebenswürdig-chaotischen Seite.
Die früher von Kohleförderung und Stahlindus­trie geprägte Gegend Nord-Pas de Calais ist eine strukturschwache Region und ähnelt, als ökonomische Krisenzone, Ostdeutschland – mit dem bedeutenden Unterschied, dass das ehemalige französische Bergbaurevier multikulturell geprägt ist. Das »weiße« Proletariat oder Subproletariat teilt – wesentlich mehr als anderswo – seine Lebensbedingungen mit den Unterklassen mit Migrationshintergrund, beide haben sich durchmischt.
Das schlägt sich auch im Sport nieder: Der Ch’ti Franck Ribéry, der jetzt bei Bayern München spielt, ist vor einigen Jahren Moslem geworden. Nicht aus fundamentalistischem Furor wie manche Konvertiten, sondern um die Tochter maghrebinischer Nachbarn heiraten zu können.
Die Multikultiregion ist bei Rechten entsprechend verhasst, als »Arbeitslose« beschimpften die Transparentmaler vom Stade de France ihre Einwohner. »Kinderschänder« und »Inzestkinder« wiederum sind Anspielungen auf einen Justizskandal, der sich 2001 im Nord-Pas de Calais abspielte, die so genannte »Outreau-Affäre«. 18 Personen waren damals der Pädophilie verdächtigt und drei Jahre lang in Untersuchungshaft genommen worden. Alle wurden später vor Gericht freigesprochen. Ein übereifriger Untersuchungsrichter und eine hysterische Öffentlichkeit hatten die Angeklagten, deren Namen – entgegen allen Persönlichkeitsrechten – längst bekannt waren, vorverurteilt.
Rassismus in Fußballstadien ist in Frankreich ein seit 30 Jahren bekanntes Phänomen. Lange Zeit verschloss man vor ihm die Augen. Erst in jüngster Zeit, und als vor anderthalb Jahren ein schwarzer Polizist und ein jüdischer Fan beinahe von PSG-Hooligans gelyncht wurden (Jungle World 48/06 und 7/07), wird ihm Aufmerksamkeit gewidmet. Zuletzt kam es zu einem landesweiten Skandal, als am 16. Februar während eines Auswärtsspiels des nordfranzösischen Clubs Valenciennes in Metz dessen marokkanischstämmiger Spieler Abdeslam Ouaddou in der Halbzeit die Geduld verlor und in die Zuschauerränge hinaufstieg. Zuvor hatte ein Zuschauer den Fußballer die ganze erste Halbzeit hindurch als »dreckigen Neger« und »Kanaken« beschimpft, bis es Ouaddou zu dumm wurde.
Die Empörung ist diesmal aber besonders groß, weil eine ganze französische Region beleidigt wurde und nicht nur die schwarzen Spieler einer Mannschaft beschimpft wurden. Präsident Nicolas Sarkozy, der beim Spiel anwesend war, forderte eiligste Aufklärung, über deren Fortschritte er persönlich unterrichtet werden will. Der Abgeordnete und Bürgermeister von Lens, Guy Delcourt, erstattete nicht nur Strafanzeige, sondern forderte zudem eine Untersuchung durch den Inlandsgeheimdienst, da er »subversive Netzwerke« am Werk sah. Anders, so seine Auffassung, hätte ein Transparent von solchen Dimensionen »nicht ins Stadion geschmuggelt werden können«.
Drei Fanclubs kamen Auflösungsanordnungen des Innenministeriums zuvor und boten eilfertig die Selbstauflösung an. Es handelte sich um die ältesten Fanclubs des PSG, bei denen seit langem auch Hooligans und Rechtsradikale aktiv sind: die »Boulogne Boys«, die »Rangers« und die »Gavroches«. Letztere waren auch in die Lynchaffäre vor anderthalb Jahren verwickelt. Innenministerin Michèle Alliot-Marie hat bei der zwölfköpfigen »Nationalen Beratungskommission für die Vorbeugung von Gewalt bei Sport­ereignissen« ein Auflösungsverfahren gegen alle Fangruppen eingeleitet, die in Zusammenhang mit dem Transparent gebracht werden können. Die Kommission ist im Dezember 2006 nach der Lynchaffäre eingerichtet worden.
Tatsächlich wird es nun für bestimmte Fangruppen brenzlig. Denn einer der drei Männer, die am vorletzten Freitag festgenommen wurden, gehört dem Vorstand der »Boulogne Boys« an. Deren Clublokal wurde von der Polizei durchsucht, die Farbspuren fand, die mit der Herstellung des Transparents im Zusammenhang stehen. Am vorigen Donnerstag wurden dann drei weitere Personen verhaftet, die am Transparentmalen beteiligt gewesen sein sollen. Ihnen allen droht eine Geldstrafe bis 15 000 Euro und/oder ein Jahr Haft sowie drei Jahre Stadionverbot. »Aufstachelung zu Hass oder Gewalt anlässlich von Sportereignissen« ist in Frankreich mittlerweile ein Straftatbestand.
Auch dem Fußballverein PSG droht nun Ärger. Der Vorstand wurde am vorigen Donnerstag von der Disziplinarkommission der LFP, dem französischen Verband für Berufsfußball, angehört. Die LFP hat ein Verfahren gegen den Club eingeleitet, es drohen wahlweise eine Geldstrafe, Punkteabzug oder gar ein Teilnahmeverbot an der Liga im kommenden Jahr. Der Verein beruft sich darauf, er sei doch »das erste Opfer dieser Vorkommnisse« und habe selbst Strafanzeige gegen die Verantwortlichen gestellt.
In der Politik hat die Affäre ebenfalls ihre Fortsetzung gefunden. Die Antirassismusbewegung MRAP hat angekündigt zu prüfen, ob Strafanzeige wegen »Aufstachelung zum rassistischen Hass« – dem französischen Pendant zum deutschen Volksverhetzungsparagraphen – gestellt werden könne. In einem Kommuniqué sprach sie von einem »xenophoben« Transparent. Darauf antwortete der rechtsextreme Front National in einer Presseerklärung: Diese Kritik sei empörend, da Xenophobie Fremdenfeindlichkeit bedeute – die Einwohner des Nord-Pas de Calais seien aber gar »keine Ausländer, sondern französische Patrioten«.
Eine gewitzte Intervention kam vom »Komitee der Sans Papiers vom Nord-Pas de Calais«. Die Organisation der illegalisierten Einwanderer verkündete, sie sei gegen jede Form von Rassismus und deshalb auch solidarisch »mit den eingeborenen Ch’tis« gegen das »ethnisierende, regionalistische und rassistische Transparent vom Stade de France«. Eine differenzierte Beurteilung seines Inhalts – aber zweifellos zu viele Fremdwörter, um vom durchschnittlichen PSG-Fan verstanden zu werden.