VW will das serbische Zastava-Werk übernehmen

Auf dem Silbertablett präsentiert

Erst bombardieren und dann die Trümmer aufkaufen: Der deutsche Automobilkonzern Volkswagen prüft die Übernahme des serbischen Zastava-Werks.

Die Leitung der Volkswagen AG denkt daran, das einst größte jugoslawische Automobilwerk zu übernehmen. Es wurde vor neun Jahren von der Nato bombardiert und weitgehend zerstört. Wie das Handelsblatt berichtete, besuchte eine VW-Delegation kurz vor Ostern das Zastava-Montage­werk, das die serbische Regierung privatisieren will, in Kragujevac, etwa 130 Kilometer südöstlich von Belgrad. Ein VW-Sprecher sagte, eine Über­nahme werde jetzt geprüft.
Eine Woche zuvor hatte auch eine Delegation des chinesischen Autoherstellers FAW die Zas­tava-Werke besichtigt. Weitere Interessenten sind Fiat, der indische Automobilkonzern Tata, Toyota und andere japanische Autofirmen. Der US-Konzern General Motors schließt einen Aufkauf aus, obwohl Zastava ab September das Modell Opel As­tra für den serbischen Markt fertigen soll. Zastava gehört zu 99,9 Prozent dem serbischen Staat. Dieser will sich nun von 98,8 Prozent der Anteile trennen. Da die Produktionsanlagen als veraltet gelten, soll der Kaufpreis nur wenige hundert Mil­lionen Euro betragen. Außerdem hat das Unternehmen noch Schulden in Höhe von 360 Millionen Euro zu begleichen.
Bereits im Oktober 2007 organisierte die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kragujevac eine Konferenz mit Delegierten der serbischen Metallarbeiter­gewerk­schaft, der Industrie- und Handelskammer der Stadt und dem Betriebsrat von Zastava. Dabei wurden die Arbeitnehmervertreter darauf ein­geschworen, dass es zur Privatisierung der Autofirma keine Alternative gebe. Die serbische Regierung kündigte derweil an, die Privatisierung ­aller Staatsbetriebe bis Ende 2008 abschließen zu wollen.

Mit der Herstellung von Autoteilen war in dem Werk im Jahr 1904 begonnen worden. Die ersten Fahrzeuge, die Ende der dreißiger Jahre bis zur deutschen Besatzung 1941 gefertigt wurden, waren Ford-Lastwagen, die ausschließlich für den jugoslawischen Markt bestimmt waren. Nach dem Krieg lief der Betrieb unter dem Namen »Zavod Crvena Zastava« (Fabrik Rote Fahne) weiter. Ab 1956 wurden dann alle Fiat-Typen der fünfziger und sechziger Jahre von dem Betrieb nachgebaut und unter dem Namen »Zastava« vertrieben. Auch der Export in über 70 Länder boomte. Der Yugo, ein selbst entwickelter Kleinwagen, schaffte es sogar bis auf den US-amerikanischen Markt.
Der Zastava 750 wurde in Serbien bis 1989 produziert, in der Türkei wurde er bis 1995 gefertigt, und in Ägypten werden die Yugo-Autotypen noch heute montiert. Auf dem Höhepunkt des Erfolges, Ende der achtziger Jahre, liefen jährlich 200 000 Fahrzeuge vom Band, 53 000 Mitarbeiter waren 1989 in dem Werk beschäftigt.
Doch mit Beginn des Bosnien-Kriegs sah sich das Unternehmen ab 1992 mit Wirtschaftssanktio­nen, schwierigen Produktionsbedingungen und der drastisch gesunkenen Kaufkraft der jugoslawischen Bevölkerung konfrontiert. Die Produk­tion sank auf wenige tausend Autos pro Jahr. Doch der entscheidende Einbruch erfolgte 1999. Während des Kosovo-Kriegs bombardierten Nato-Kampf­flugzeuge das Werk in Kragujevac. Sie zerstörten 160 000 Quadratmeter Produktionsfläche, der materielle Schaden belief sich auf 850 Mil­lionen US-Dollar. Über 100 Werksangehörige wur­den bei den elf Angriffen verletzt. Kragujevac wurde durch die Nato-Angriffe auf Zastava zur Stadt der Arbeitslosen. Von den 200 000 Einwoh­nern verloren 37 000 Beschäftigte infolge der Bom­bardierungen ihren Arbeitsplatz. Hinzu kamen die Mitarbeiter von Zulieferbetrieben, für deren Produkte es keine Abnehmer mehr gab.

Knapp 60 Jahre zuvor hatte die deutsche Wehrmacht in Kragujevac das größte Massaker in Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs verübt. Am 21. Oktober 1941 erschossen deutsche Sol­daten dort mehrere tausend Menschen, darunter 300 Schüler des örtlichen Gymnasiums zusam­men mit ihren 18 Lehrern. Partisanen hatten sich in den Tagen zuvor auf einer Straße bei Kragujevac heftige Kämpfe mit einem deutschen Bataillon geliefert, bei dem zehn deutsche Soldaten getötet und 26 verwundet wurden. Gemäß einer Direktive des Wehrmachtsgenerals Franz Böhme, nach der für jeden getöteten Deutschen 100 serbische Gefangene und für jeden verwundeten Deutschen 50 Gefangene erschossen werden sollten, erschoss die Wehrmacht kurz nach den Kämpfen 542 männliche Juden, Roma und Kommunisten aus den umliegenden Dörfern.
Die Befehlshaber hielten diese Zahl jedoch nicht für ausreichend und beschlossen, die Erschießun­gen in Kragujevac fortzusetzen. Die Stadt wurde blockiert und Menschen wurden aus Häusern, Geschäften, Fabriken und Schulen getrieben. Die 2 300 »Geiseln« wurden in Baracken am Stadtrand festgehalten, bis sie am Morgen des 21. Oktober 1941 in Gruppen auf angrenzende Wiesen geführt und erschossen wurden. Es soll in der Stadt, die damals 42 000 Einwohner hatte, keine Familie gegeben haben, in der keine Toten zu beklagen waren.
1999 trafen die Nato-Bomben auf Kragujevac auch die Gedenkstätte, die an das Wehrmachtsmassaker erinnert. Entschädigungen hat die Bevölkerung von Kragujevac bis heute weder für das Wehrmachtsmassaker von 1941 noch für die Bombardierungen von 1999 erhalten.
Von den Folgen der Wirtschaftssanktionen und der Bombenangriffe haben sich die Zastava-Werke bis heute nicht erholt. Die Fabrik wurde zwar wieder aufgebaut, doch von ihrem 1989 erreichten Produktionsniveau ist sie weit entfernt. Im Jahr 2002 wurden etwa 10 300 Fahrzeuge her­gestellt, das waren nicht einmal fünf Prozent des Produktionsstandes von 1989. Von den 6 000 für den Export vorgesehenen Fahrzeugen konnte das Unternehmen nur 900 tatsächlich absetzen. Wegen der hohen Kosten, die bei der Beheizung der Produktionshallen anfallen, wird die Produktion im Winter bisweilen eingestellt.
In den vergangenen Monaten gab es für die Be­völkerung von Kragujevac nur einen Grund zum Feiern. Eine Tochter der Stadt, die Sängerin Marija Serifovic, siegte mit ihrem Lied »Molitva« (Gebet) beim Grand Prix d’Eurovision in Helsinki. Doch der Erfolg zahlte sich für sie nur in Serbien, der Ukraine und anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks aus. In Westeuropa interessierte sich niemand für den Song.
Ähnlich ergeht es zurzeit dem Autoexport von Zastava. gegenwärtig produzieren die verblie­benen 4 000 Werksangehörigen in den noch existen­ten Werkshallen den Fiat Punto, der als Zastava 10 u. a. nach Russland exportiert wird. Im Jahr 2007 wurden 25 000 Autos gefertigt.

Der Export nach Russland könnte auch für VW der Grund für einen Kauf des Zastava-Werks sein. Denn »der serbische Markt kann mit 7,5 Millionen Einwohnern und jährlichen Verkäufen um die 50 000 Autos niemanden wirklich zu höheren Investitionen reizen«, sagt der Direktor des Center of Automotive Research in Gelsenkirchen, Ferdinand Dudenhöfer. Den einzigen Wert misst er dem Zugang Serbiens zum boomenden russischen Markt bei. »Wenn es den Serben gelingt, den russischen Markt ohne Zölle zu beliefern, ha­ben sie einen Wettbewerbsvorteil, den keiner im EU-27-Raum erzielen kann«, erläutert Dudenhöfer. Dazu müsste der serbische Staat sein Freihandels­abkommen mit Russland auf Automobile ausdehnen. Bereits jetzt umfasst das Freihandelsabkommen 90 Prozent aller Waren. Autos sind noch nicht darunter.
Die serbische Regierung träumt derweil von einer Wiederbelebung der Autoproduktion von Zastava und ist dafür gegenüber jedem potenziellen Käufer zu Unterwerfungsgesten bereit. So erklärte der serbische Minister für Wirtschaft und regionale Entwicklung, Mladan Dinkic, am 19. März, Kragujevac solle zum Zentrum für die Entwicklung der serbischen Autoindustrie werden. Er bot dem potenziellen »strategischen Part­ner« eine Freihandelszone in der Stadt an, was u. a. bedeuten würde, dass Volkswagen alle Produktionsmittel zollfrei ein- und ausführen könnte und auch sonst kaum Steuern an den serbischen Staat zahlen müsste. So bekommen Deutsche 1945 verlorenes Terrain quasi auf dem Silbertablett präsentiert.