Streik bei Le Monde

Auf verlorenen Posten

Beim französischen Traditionsblatt Le Monde wird gestreikt. Dabei geht es um Arbeitsplätze und die publizistische Unabhängigkeit der Redaktion.

Beobachter sprechen von einem »his­torischen Streik«. Anfang vergangener Woche legten Journalisten und Verlagsmitarbeiter bei der Pariser Abendzeitung Le Monde ihre Arbeit nieder und verhinderten das Erscheinen der Dienstagsausgabe, die normalerweise am Montagnachmittag in den Pariser Kios­ken und Briefkästen hätte sein müssen. Auch die Online-Ausgabe wurde erfolgreich bestreikt.Auch die Freitagsausgabe konnte, aufgrund eines erneuten 24stündigen Arbeitskampfs, am Donnerstag Nachmittag nicht erscheinen.
Es handelte sich um eine Premiere, denn noch nie hat in der Geschichte der 1944 von Hubert Beuve-Méry gegründeten Zeitung ein Arbeitskampf wegen eines Konflikts zwischen den Beschäftigten und der Direktion stattgefunden. Zwar hat es schon einmal einen Streik gegeben, das war im Jahr 1976. Aber damals handelte es sich lediglich um einen Streik aus Solidarität mit den Kollegen der Tageszeitung France Soir, die gegen einen drohenden Aufkauf durch das damalige Presseimperium von Robert Hersant protestierten. Hersant war ein schwerreicher ehemaliger Kollaborateur während der deutschen Besatzungszeit, der vor zwölf Jahren starb und dem u.a. der seinerzeit noch erzkonservative Figaro gehörte.
Diesmal aber bekommt der Aufsichtsrat der liberalen Abendzeitung Le Monde die geballte Unzufriedenheit der eigenen Leute zu spüren. Und damit nicht genug, denn seit dem vorigen Donnerstag traten auch die Beschäftigten der Filialen des gleichnamigen Pressekonzerns (Groupe Le Monde) in den Streik – darunter die bei Linksliberalen sehr beliebte Fernseh- und Kulturzeitschrift Télérama sowie Le Courrier international und andere Presseerzeugnisse, darunter zwölf Jugendmagazine.
Den Unzufriedenen geht es darum, gegen den geplanten massiven Abbau von Arbeitsplätzen zu protestieren. Denn die Leitung plant, bei der Traditionszeitung von jetzt insgesamt 600 Stellen 130, darunter 90 Journalistenstellen, zu streichen. Nimmt man die Filialen noch hinzu, dann kommt man auf rund 300 bedrohte Arbeitsplätze. Die streikenden Mitarbeiter fordern, dass es keine Zwangskündigungen geben darf, lediglich Stellenstreichungen. Die Beschäftigten der dem Konzern gehörenden Magazine nahmen in einer Vollversammlung am 10. April eine Resolution an, in der von einem »Plan von beispielloser Brutalität« die Rede ist. Sie fordert ferner, dass die Gehälter und sonstigen Vergünstigungen der Angehörigen der Direktion offengelegt werden.
Ganz neue Töne für eine Mediengruppe, deren Flaggschiff für seinen betont sachlichen Stil bekannt ist. Dabei gibt es sehr unterschiedliche politische Standpunkte bei Le Monde. Die Positionen reichen von denen des thatcheristischen Wirtschaftsredakteurs Eric Le Boucher bis zu denen des radikal linken, der LCR nahe stehenden Gewerkschaftsspezialisten Rémi Barroux. In Leitartikeln wird allerdings von der Chefredak­tion eine bürgerlich-linksliberale Linie vorgegeben. Diese Mischung funktioniert, weil offene Konflikte vermieden werden. Zumindest in den Artikeln im Blattinneren sind vorwiegend nur überprüfte Informationen zu finden, man hält sich aber in der Regel mit Kommentierungen und deutlichen Sympathien oder Antipathien – außer in Leitartikeln und ausgewiesenen Kommentaren – eher zurück. Selten wagte sich die Zeitung in der Vergangenheit offen mit identifizierbaren Positionen in die Politik vor. Allerdings unterstützte ihre Leitung im Vorjahr erkennbar die Präsidentschaftskandidatur der rechtssozialdemokratischen Bewerberin Ségolène Royal.
Dass es bei größeren Zeitungen zu Entlassungen kommt, ist in jüngster Zeit nichts Ungewöhn­liches. Der französische Zeitungsmarkt befindet sich in einer Krise, die aus dem Bedeutungsgewinn des Internet, der zunehmenden Präsenz von Gratistageszeitungen sowie der schwindenden Zahl von Kiosken resultiert. Erst im Februar gab die konservative Tageszeitung Le Figaro, die sich bester Kontakte zur Wirtschaft und einer viel gelesenen Wirtschaftsbeilage erfreut, die Kündigung von 60 Mitarbeitern »aufgrund von Einsparerfordernissen wegen roter Zahlen« bekannt. Im vorigen Jahr hatte die sozialdemokratische Tageszeitung Libération 120 Mitarbeiter entlassen. Allerdings hatte der Le-Monde-Konzern im März dieses Jahres eine Atempause für alle wichtigen Zeitungen verkündet, da die Auflagen im Jahr 2007 – anlässlich der Polarisierung durch die Präsidentschaftswahl – zumindest vorübergehend wieder gestiegen seien.
Nun hat es auch Le Monde erwischt: Am 14. März stellte der neue Vorstandsvorsitzende des gleichnamigen Pressekonzerns, Eric Fottorino, im Aufsichtsrat einen »Aktionsplan 2008 bis 2010« vor. Aus diesem resultieren die geplanten Entlassungen. Am selben Tag wurden Umbesetzungen im Vorstand bekannt. Dort hält Guil­laume Sarkozy, Bruder des Präsidenten, Einzug. Im Aufsichtsrat des Medienunternehmers wird er die Aktionäre aus der Privatwirtschaft repräsentieren, neben dem ebenfalls neu benannten Vorständler Pierre Leroy – einem Führungsmitglied des Medien- und Rüstungskonzerns Lagardère, das dort den bislang persönlich im Vorstand sitzenden Chef seines Konzerns, Arnaud Lagardère, einen Duzfreund von Nicolas Sarkozy, ablöst.
Mehrere Ablösungen und Umbesetzungen haben seit einem Jahr in den Chefetagen der Zeitung stattgefunden. Zudem haben sich in jüngster Zeit zwei Angehörige der Führung geweigert, ihre Posten zu räumen, obwohl sie zuvor klare Abstimmungsniederlagen erlitten hatten. Im Sommer 2007 weigerte sich zunächst der damalige Vorstandsvorsitzende Jean-Marie Colombani wochenlang, zu gehen und zuzugeben, dass er verloren hatte. Dann hatte im Januar und Februar dieses Jahres der damalige Chef des Aufsichtsrats, der wirtschaftsliberale Intellektuelle und frühere Regierungsberater Alain Minc, Autor des Bestsellers »Capitalisme.com«, erhebliche Schwie­rigkeiten, seine Niederlage zu akzeptieren.
Beider Argumentation ähnelte sich bis in den Wortlaut hinein: Zwar habe die Société des Rédac­teurs – die Mitarbeitergesellschaft, die nach dem Statut als gewichtigste Aktionärin firmiert, auch wenn ihr nicht die Mehrheit der Kapitalanteile gehört – gegen sie votiert. Gleich­zeitig hätten sie jedoch die Unterstützung der Aktionäre aus der Privatwirtschaft. Dieses Votum (zu seinen Ungunsten) sei, so Minc, ähnlich wie vor ihm schon Colombani, im Kern unvernünftig und nicht gut für die Zukunft. Auf diese Weise werde das Unternehmen kein neues Geld akquirieren.
Bislang noch garantiert die ziemlich einmalige juristische Konstruktion der Zeitung ihre redaktionelle Unabhängigkeit. Die Beschäftigten sind in mehreren Mitarbeitergesellschaften organisiert, die bestimmte Stimmenblöcke im Aufsichtsrat halten müssen. An vorderster Front stehen dabei die Redakteure. Doch dieses Modell ist unter Druck geraten, seitdem Colombani das Presseunternehmen ab 2003 tief in die roten Zahlen gebracht hat. Just im Namen der »Verteidigung unserer journalistischen Unabhängigkeit gegenüber dem Zugriff mächtiger Wirtschaftsinteressen« hatte er den ehemaligen Kleinbetrieb Le Monde zum Konzern ausgebaut. Nach dem Motto »Friss, um nicht gefressen zu werden« kaufte er mehrere Regionalzeitungen und kleinere Presseverlage zusammen. Dabei hatte er jedoch die wirtschaftliche Kraft des Unternehmens überschätzt und Schulden in dreistelliger Millionenhöhe aufgehäuft. Nun erfolgte doch noch der Ruf nach dem Eintritt von Großkonzernen als Aktionäre in das Eigenkapital von Le Monde, um das Unternehmen wirtschaftlich zu retten. Mit der viel beschworenen »journalistischen Unabhängigkeit als oberster Leitlinie« dürfte es aber in naher Zukunft vorbei sein.
Colombani dürfte der letzte »echte Journalist« in leitender Position gewesen sein. Sein Nachfolger an der Spitze des Vorstands, Eric Fottorino, gilt zwar ebenfalls als Journalist. Doch ursprünglich, vor 20 Jahren, trat er als »Spezialist für Rohstoffe und für Afrika« in die Redaktion ein, also als Experte für wirtschaftliche Interessen, und dies hinsichtlich des Kontinents, auf dem Frankreichs Ökonomie besonders skrupellos waltet. Inzwischen hat Fottorino mit seiner Kurz­rubrik auf der letzten Seite zwar auch echtes journalistisches Talent bewiesen. Doch dies wird nicht die wichtigste Qualität sein, die er in seinem neuen Amt unter Beweis stellen dürfte. Im Aufsichtsrat wiederum trat am 11. Februar der frühere Renault-Chef Louis Schweitzer an die Stelle des nun endlich doch noch geschassten Alain Minc. Schweitzer ist offenkundig ein langjähriger Vertreter der Privatwirtschaft, gilt jedoch auch gegenüber Politik und »Zivilgesellschaft« als relativ »konsensfähig«, da er seit 2004 eine französische Antidiskriminierungsbehörde leitete.
»Die Ära der Journalisten geht bei Le Monde zu Ende, und jene der Manager beginnt«, schätzt der Publizist Jacques Bertoin die Lage treffend ein. »Warten auf Lagardère« umschreibt die medienkritische Initiative Acrimed die neue Situation kurz und knapp. Der Medien- und Rüstungskonzern Lagardère, derzeit der größte Zeitschriftenverleger im Lande, hält im Augenblick 17 Prozent der Kapitalanteile an Le Monde. Mittels eines Geflechts von strategischen Allianzen arbeitet der Konzern jedoch daran, zusammen mit der spanischen Mediengruppe Prisa – ebenfalls einer der Hauptaktionäre von Le Monde – die Kontrolle über das Presseunternehmen zu übernehmen.
Das Ganze spielt sich im Kontext einer fortschreitenden Konzentration im Pressesektor ab: Drei Mischkonzernen gehören heute über zwei Drittel des französischen Pressemarkts. Das wären neben Lagardère auch der Flugzeug- und Rüstungskonzern Dassault (welcher u.a. Le Figaro herausgibt, nachdem er 2003 das frühere Hersant-Imperium Socpresse übernommen hat, von dem er Teile inzwischen weiter veräußerte) sowie die Bolloré-Gruppe, die einen Gutteil des französischen neokolonialen Afrika-Handels kontrolliert und etwa Eigentümerin wichtiger Häfen in Westafrika ist. Lagardère selbst hält sogar einen Minderheitsanteil an der kommunistischen Tageszeitung L’Humanité, die seit 2001 ihr Eigenkapital Aktionären aus der Privatwirtschaft öffnen musste, um nicht bankrott zu gehen.
Vor diesem Hintergrund konnte es aus Sicht der Wirtschaftsbosse nicht angehen, dass ausgerechnet Le Monde ein weißer Fleck auf der Land­karte der Großkonzerne bleibt. Denn einerseits ist die linksliberale Qualitätszeitung, die sich mit dem konservativen Figaro um den Platz des auflagenstärksten Blatts – wenn man die Sportzeitungen ausnimmt – streitet, auf nationaler und internationaler Ebene das Flaggschiff der französischen Presse. Ihren Informationen wird Glauben geschenkt, ihre Themensetzung am frühen Nachmittag – wenn die Abendzeitung in der Hauptstadt erscheint – entscheidet oft über die Gewichtung der Schlagzeilen in den Abendnachrichten des französischen Fernsehens. Ihre Redaktion kann also auch für andere Medien Agenda-setting betreiben. Zudem ist Le Monde andererseits, obwohl selbst eine Zeitung, die Geld kostet, auch auf dem expandierenden Markt der Gratiszeitungen präsent. Dort unterhält die Abendzeitung zusammen mit dem Bolloré-Konzern eine eigene Filiale in Gestalt der am frühen Morgen erscheinenden kostenlosen Zeitung Direct Matin, die die qualitativ beste unter den Gratiszeitungen ist. Auf den ersten Blick erscheint es zwar absurd, dass eine kostenpflichtige Zeitung selbst eine Gratiszeitung aushält. Aber Le Monde ging es darum, potenzielle Konkurrenten von diesem Markt zu verdrängen und das Geld aus den anfallenden Werbeannoncen lieber selbst einzustecken.