Die Debatte um das NPD-Verbot

Die Kameraden von der ersten Bank

Die Innenministerkonferenz hat das Vorhaben abgelehnt, ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD anzustrengen. Mit der NPD wäre das Problem ohnehin nicht aus der Welt: Einer Studie des Innenminis­teriums zufolge ist ein Großteil der deutschen Jugendlichen rassistisch.

Die Regierenden haben es nicht leicht: Die Logik der Politik verlangt, dass sie auf jedes Problem eine Antwort haben müssen, die sie den Wählern präsentieren können – stets muss es so aussehen, als hätten sie alles im Griff. Immer, wenn et­was nicht passt, müssen Politiker so tun, als bräuchte es nur einen bestimmten Beschluss, ein neues Gesetz, eine Steuererhöhung oder eine Steuersenkung, um alles wieder ins Lot zu bringen. Das gilt auch für solche Probleme, die sich dem Zugriff des Staates weitgehend entziehen, und dazu gehören auch rassistisches und anti­semitisches Denken in weiten Teilen der Bevölkerung.
Es ist ein Grundmuster von kapitalistischen Gesellschaften und Nationalstaaten, dass sie derartige Ressentiments aus sich selbst heraus hervorbringen, und eine solche Gesellschaft ist ohne Rassisten und Antisemiten schlechterdings nicht vorstellbar – eine zudem postnazistische wie die deutsche erst recht nicht. Das aber kann sich die staatstragende Ideologie nicht eingestehen, weil ihr die bestehende als beste aller möglichen Welten gilt. Deshalb müssen Rassismus und Anti­semitismus als Betriebsunfälle abgetan werden, als Phänome, die der Gesellschaft im Prinzip fremd und äußerlich sind, jedenfalls nicht unmittelbar zu ihr gehören.
Als »Rechtsextremismus« werden diese ureigenen Bestandteile zu Randerscheinungen erklärt, die sich vermeintlich aus der Welt drängen lassen. Mit Erziehung zu demokratischen Werten und Toleranz auf der einen Seite, mit Repression gegen bekennende Neonazis auf der anderen soll ein demokratischer Idealzustand hergestellt werden, in dem es Ressentiments und den Hass auf Minderheiten nicht mehr gibt – ein Idealzustand, den es freilich nie gegeben hat und den es im Kapitalismus auch niemals geben wird.

Wie erbärmlich der in Sonntagsreden immer wie­der beschworene »Kampf gegen Rechts« in der Realität aussieht, das hat einmal mehr die Innen­ministerkonferenz gezeigt, die in der vergangenen Woche im brandenburgischen Bad Saarow stattfand. Zum wiederholten Mal brachten die Innenminister dort die Tragikomödie »NPD-Verbot, zweiter Anlauf« zur Aufführung; und zum wiederholten Mal konnten sie sich weder darauf einigen, es erneut mit einem Verbotsverfahren gegen die Partei zu versuchen, noch darauf, auf ein erneutes Verfahren endgültig zu verzichten. Die Auseinandersetzung des Staates mit der NPD nimmt derweil die Züge einer unendlichen Geschichte an.
Seit Gerhard Schröder im Sommer 2000 nach einem Bombenanschlag auf jüdische Kontigentflüchtlinge in Düsseldorf den »Aufstand der Anständigen« ausrief und die Bekämpfung rassistischer und antisemitischer Umtriebe zur Bürgerpflicht erklärte, versucht die Politik manchmal halbwegs ernsthaft, des Problems Herr zu werden. Der Einsatz ihrer Waffen – von Vereinsverbo­ten wie dem gegen die »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS) bis zum staatlich finanzierten Aus­steigerprogramm für Neonazis – hat sich bislang allerdings als wenig erfolgreich erwiesen: Ein sig­nifikanter Rückgang sowohl von Aktionen der rechten Szene als auch von entsprechenden Einstellungen in der Bevölkerung ist nicht festzustellen. Angesichts dieser Tatsachen sollte bereits das erste Verbotsverfahren gegen die NPD nicht nur ein Schlag gegen die größte politische Organisation der Neonaziszene sein, sondern vor allem auch die Tatkraft und Entschlossenheit des Staates demonstrieren. Das Vorhaben geriet bekannt­lich zur Lachnummer für den Staat, weil sich das Bundesverfassungsgericht (BVG) wegen der zahlreichen Spitzel in den NPD-Vorständen zu einem ordentlichen Verfahren nicht in der Lage sah.
Seit dem Pogrom von Mügeln, als eine aufgehetzte Meute während eines Volksfestes eine Grup­pe Inder durch die Stadt jagte und verprügelte, versuchen die SPD-Innenpolitiker, das NPD-Verbot erneut in die Diskussion zu bringen, obwohl die NPD mit Mügeln überhaupt nichts zu tun hatte. Als Wortführer derjenigen, die sich für ein Verbot aussprechen, tat sich in Bad Saarow der Berli­ner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hervor. »Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Material, das gegen die NPD vorliegt, den eindeutigen verfassungsfeindlichen Charakter und auch die kämpferisch-aggressive Haltung dieser Partei nachweist«, sagte er auf einer Pressekonfe­renz. Einer erneuten Ablehnung durch das BVG will die SPD dadurch entgehen, die Spitzel einfach aus der NPD abzuziehen. Der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Hövelmann, forderte im Interview mit Spiegel online, zunächst die Spitzel »abzuschalten«, dann neues Material gegen die Neonazis zu sammeln und schließlich erneut vor das Verfassungsgericht zu ziehen.

Gegen diese Strategie hatten sich die Unions­parteien von Anfang gewehrt: Es sei fahrlässig, auf Quellen innerhalb der NPD zu verzichten, argumentierten die Innenpolitiker von CDU und CSU. Lediglich Lorenz Caffier wollte sich von Seiten der CDU der Verbotsforderung anschließen. Caffier ist Innenminister in Mecklenburg-Vorpom­mern und somit tagtäglich mit der NPD und ihrer Politik konfrontiert.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zwei­felt ohnehin an dem möglichen Erfolg eines Antrags. Nach der Diskussion in Bad Saarow sagte er: »Verfassungsfeindlichkeit allein erfordert die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, reicht aber nicht für ein Verbotsverfahren.« Diese Sicht der Dinge konnte Hövelmann nicht nach­voll­zie­hen: »Ich halte es für widersprüchlich, dass wir uns einig sind, die NPD ist verfassungsfeindlich, und gleichzeitig soll es nicht möglich sein, sie zu verbieten.« Mit dieser Kritik konnte er sich jedoch nicht durchsetzen: Wegen der ablehnenden Haltung der Union wurde der Plan eines erneuten Verbotsverfahrens erst einmal wieder aufgegeben.

Ob es jemals zu einem NPD-Verbot kommen wird, ist nach der Innenministerkonferenz in Bad Saarow also weiterhin völlig unklar. Doch selbst wenn sich Bund und Länder irgendwann noch auf einen neuen Versuch einigen sollten, würde es noch Jahre dauern, bis etwas passierte. Und ob ein solches Verbot dann auch nur einen ein­zigen Angriff auf Juden oder Migranten verhin­dern könnte, ist ohnehin ungewiss. Während die Minister in Bad Saarow noch diskutierten, sorgte ausgerechnet Wolfgang Schäubles Bun­desinnenministerium für neue Belege, dass auch ein Verbot der NPD das Problem des Rassismus und Antisemitismus keineswegs lösen wird.
Die Neue Osnabrücker Zeitung veröffentlichte das Zwischenergebnis einer Studie, die das Ministe­rium derzeit gemeinsam mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durchführt, um rassistische Einstellungen unter Jugend­lichen zu ermitteln. Die Forscher befragten dazu insgesamt 50 000 Neuntklässler aller Schulformen aus 61 zufällig ausgewählten Städten und Gemeinden. Nach der Auswertung von 30 000 Fra­gebögen zeichnet sich ein erschreckendes Ergebnis ab. Ein Drittel der Teilnehmer stimmte der Aus­sage, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland, »voll und ganz« zu, ein weiteres Drittel hält sie »eher« für richtig. Fast acht Prozent der befragten Jugendlichen gaben zu, schon einmal eine Straftat mit rassistischem Hintergrund begangen, also etwa Hakenkreuze gesprüht oder den Besitz von Ausländern beschädigt zu haben.
Bei den wenigsten dieser Jugendlichen dürfte man indes das feststellen, was Soziologen ein »ge­schlossenes, rechtsextremistisches Weltbild« nennen, die wenigsten von ihnen dürften also Neonazis sein. Ein Verbot der NPD wäre den meis­ten der jungen Rassisten vermutlich völlig egal. Dieses Ergebnis belegt einmal mehr die Hilflosigkeit der Politik: Verböte der Staat die NPD, zerschlüge er so vielleicht den deutlichsten Ausdruck des Phänomens; dem Phänomen selbst rückte er damit nicht zu Leibe.