Die Privatisierung der Deutschen Bahn AG

Mit Mehdorn nach Moskau

Kann die Privatisierung der Deutschen Bahn AG noch verhindert werden? Kaufen die Russischen Eisenbahnen Anteile des Unternehmens? Möglich ist alles. Sicher ist, dass Mehdorn das Unternehmen längst führt wie eine Aktiengesellschaft.

Privatisierung geht zuweilen nicht so schnell. Seit dem Jahr 1994 versucht die Bundesregierung, den letzten großen deutschen Staatsbetrieb an die Börse zu bringen. Doch immer wieder gelingt es einem der vielen Streithähne, die jeweils ak­tuellen Pläne über den Haufen zu werfen. Mal sind die Pläne den Verkehrspolitikern aus der CDU und der FDP nicht marktradikal genug, mal gehen sie einem Bündnis aus Basisinitiativen, Sozial­demokraten und einzelnen Gewerkschaften viel zu weit. So wird wahrscheinlich auch der jüngst vom SPD-Vorsitzenden Kurt Beck stolz verkündete und am vergangenen Montag vom Parteirat der SPD angenommene, neue Plan nicht lange Bestand haben.

Danach soll die Deutsche Bahn AG in eine Holding umgewandelt werden. Die Infrastruktur, also Schienen, Bahnhöfe und Immobilien, die Bereiche Energie und Dienstleistungen blieben im Besitz des Bundes. Aber der Nah- und Fernverkehr, der Gütertransport und das bahneigene Logistikunternehmen Schenker würden zu 24,9 Prozent an der Börse gehandelt. Dieser von Beck als »Kom­promiss« bezeichnete Vorschlag verstößt klar gegen den auf dem SPD-Parteitag im Herbst 2007 mit deutlicher Mehrheit verabschiedeten Beschluss, allenfalls so genannte Volksaktien zuzulassen. Auf diese Weise wollen die Genossen verhindern, dass Finanzinvestoren Einfluss auf die Geschäftspolitik der Deutschen Bahn AG bekommen.
Während aus den Reihen der CDU eine vorsichtige Zustimmung zu Becks Vorschlag zu hören ist, weil man darin wenigstens einen Einstieg in die Privatisierung sieht, geben sich die Kommentatoren auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen fassungslos. Wer wird schon in ein Unternehmen investieren, wenn er nicht einmal mit einem Vier­tel der Aktien eine Sperrminorität bekommt?
Attraktiv waren für Finanzinvestoren vor allem billige Immobilien, die die ersten Privatisierungs­pläne enthielten. Danach hätte man für rund 13 Milliarden Euro in das Unternehmen einsteigen können und dafür ausgediente Bahnanlagen in bester Lage in den Innenstädten bekommen, deren Wert auf 183 Milliarden Euro geschätzt wurde. Ein so schlechtes Geschäft lehnte selbst der ansonsten als absoluter Befürworter der Privatisierung bekannte Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) ab. Diese Umwandlung von öffent­lichem Eigentum in Privatbesitz scheint nicht mehr im Gespräch zu sein.

Um auch die gegenwärtigen Privatisierungspläne zu verhindern, ruft das Bündnis »Bahn für alle« die Mitglieder der SPD auf, einen Sonderparteitag zu fordern. An dem Bündnis beteiligen sich neben Attac und vielen Umweltschutz- und Verkehrs­verbänden auch die Basisgewerkschaft »Bahn von unten«, die IG Metall und Verdi, nicht aber die größte Bahngewerkschaft Transnet. »Bahn für alle« sieht »in dem von Kurt Beck verkündeten Holding-Modell einen Durchmarsch der Privatisierer um Steinbrück, Steinmeier, Tiefensee und Struck«. Die SPD-Landesverbände in Berlin und Bayern haben bereits außerordentliche Vorstands­sitzungen zum Thema Bahn angesetzt. Stefan Diefenbach-Trommer, der Sprecher des Bündnisses »Bahn für alle«, berichtet, »dass viele Ortsverbände stinksauer sind, weil der Parteitagsbeschluss ignoriert wird«.
Nach einer repräsentativen Umfrage von Emnid im März im Auftrag von »Bahn für alle« sind nicht nur 73 Prozent der SPD-Anhänger gegen jede Privatisierung der Bahn, sondern auch 70 Pro­zent der gesamten Bevölkerung. Deshalb versucht die Große Koalition verzweifelt, noch in die­sem Frühjahr zu einer Entscheidung zu kommen. Nur allzu gern wollen die Politiker vermeiden, dass das Thema im Bundestagswahlkampf 2009 eine Rolle spielen wird. Kurt Beck versucht es bereits mit Schröderschen Mitteln: Entweder die Partei tut, was er sagt, oder er ist als Kanzlerkandidat ruiniert. Das wiederum sähen möglicherweise sowohl Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf der einen Seite als auch der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit auf der anderen Seite als Erlösung.
Insbesondere Klaus Wowereit brachte sich in den vergangenen Wochen mit ungewohnt deutlichen Aussagen indirekt als Kanzlerkandidat ins Gespräch. In einem Interview mit der Zeit kritisier­te er den Vorstandsvorsitzenden der Bahn, Hartmut Mehdorn: »Die Bahn hat gerade einen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro ausgewiesen. Diese Summe plus die knappe Milliarde, die für den Transrapid in München vorgesehen war, wäre min­destens so viel Geld, wie die Privatisierungsbefür­worter der Bahn in Aussicht stellen.«

Kein Wunder, dass sich mit dem Unternehmen Profit machen lässt. Seit Jahren führt Mehdorn die Deutsche Bahn AG geradezu wie eine Aktiengesellschaft – unrentable Strecken werden stillgelegt und das Unternehmen wird gleichzeitig zu einem international tätigen Logistikkonzern ausgebaut. Das bezeichnet Mehdorn als »Fitmachen für den europäischen Wettbewerb«. Sein jüngster Coup war die Probefahrt eines Containerzugs von Peking über die Gleise der Transsibirischen Eisenbahn nach Deutschland vor wenigen Monaten. Der Zug brauchte nur halb so viel Zeit wie ein Schiff.
Die Probefahrt lässt auch erahnen, wer in die Deutsche Bahn AG investieren will. Diefenbach-Trommer von »Bahn für alle« vermutet, dass, selbst wenn die Große Koalition die Privatisierung beschließen sollte, die Aktien nicht wirklich frei erhältlich wären: »Es gibt Investoren, die kaufen wollen, und diese sind Beck und Mehdorn bekannt.« Die Russischen Eisenbahnen (RZD) haben sogar schon offiziell ein Angebot eingereicht, »und immer wieder ist als Gerücht mit Gazprom ein weiterer russischer Staatskonzern im Gespräch«, sagt Diefenbach-Trommer. Möglich wäre nach seinen Informationen auch ein Aktientausch. Die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen ist jedenfalls gut. Bereits im Jahr 2006 entschieden sich die RZD für den deutschen ICE und kauf­ten acht Züge für die Strecke von Petersburg nach Moskau. Gleichzeitig ist eine Strecke von Berlin über Warschau und Minsk nach Moskau in Planung.
Diese teuren und aufwändigen Pläne stehen im völligen Gegensatz zu den eher schlichten Vorschlägen des Bündnisses »Bahn für alle«, dem es um eine »Harmonisierung, Vereinfachung und Reduktion der Bahntarife« geht sowie um »die Ent­wicklung einer Unternehmenskultur, bei der der Mensch sowohl als Kunde als auch als Beschäf­tigter im Mittelpunkt steht«. Wie die meisten Bun­desländer befürchtet »Bahn für alle« eine weitere Einschränkung des Nah- und Fernverkehrs und eine Erhöhung der Preise.
Deshalb ist selbst nach der Zustimmung des Par­teirats der SPD zu Becks Vorschlag weiterhin alles offen. Viele Ortsvereine der SPD drohen schon mit einem Mitgliederbegehren zur Einberufung eines Sonderparteitags. Und abgesehen davon: Am kommenden Montag berät der Koalitionsausschuss von Union und SPD das Thema.Sollte das »russische Gerücht« stimmen, werden bestimmt andere Kapitalfraktionen mittels der CDU versuchen, die Privatisierung zu verhindern. Dann könnte das Thema für die nächsten zwei Jahre zurückgestellt werden. Zur Wiedervorlage nach der Bundestagswahl im Herbst 2009.