Antisemitismus in der ungarischen Presse

Party mit Antisemiten

In der Budapester Tageszeitung Magyar Hírlap ist ein offen antisemitischer Artikel veröffentlicht worden. Der Autor erfreut sich großer Beliebtheit bei der rechtskonservativen Opposition, die den Antisemitismus salonfähig macht.

Vor drei Jahren kaufte der mit der rechten Fidesz-Partei sympathisierende ungarische Industrielle Gábor Széles die bis dahin liberale Budapester Tageszeitung Magyar Hírlap und warb auch den Journalisten Zsolt Bayer von der rechten Tageszeitung Magyar Nemzet ab. Unter dem Titel »Das Schwimmbecken und seine Umgebung« veröffentlichte Bayer am 18. März in Magyar Hírlap einen offen antisemitischen Angriff gegen jüdische oder als solche wahrgenommene Intellektuelle. Der geschmacklose Text endet so: »1967 haben die jüdischen Journalisten von Budapest noch Israel beschimpft. Dieselben Budapester jüdischen Journalisten beschimpfen heute die Araber. Und die Fidesz. Und uns. Weil sie uns mehr hassen als wir sie. Sie sind unsere Rechtfertigungsjuden – sprich: ihre schiere Existenz rechtfertigt den Antisemitismus. (…) Unsere Aufgabe ist lediglich, dass wir ihnen nicht gestatten, in das Becken des Landes zu pinkeln und hineinzuschnäu­zen. Sagen wir es bestimmt, dass wir das nicht gestatten. Dann aber schauen wir gemütlich zu, wie sie am Rande herumrennen. Ein Haufen unglückseliger Kranker. Sie werden ermüden.«
Das klingt im Ungarischen genauso schlecht wie im Deutschen. Und hundert ungarische Intellektuelle, unter ihnen der Philosoph Mihály Vajda, der Historiker Krisztián Ungváry und der Politologe Péter Kende, haben ihrer Empörung in einem Brief an den Inhaber der Zeitung Ausdruck verliehen, doch dieser schützt seinen Autor.
Es lohnt genauso wenig auf Bayers Stil wie auf die Dummheit seiner Apologeten einzugehen. Wichtiger ist es darzustellen, vor welchem historischen und gesellschaftlichen Hintergrund Antisemitismus sich in Ungarn entfalten kann, in einem Land, in dem in der Zwischenkriegszeit Antisemitismus in der Politik und während der Kriegszeit auch in den Medien hegemonial war. Mit ein Grund dafür, dass mehrere hunderttausend Juden – nach der deutschen Besatzung im Frühjahr 1944 – binnen sechs Wochen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert werden konnten. Während des Regimes von János Kádár (1956 bis 1988) erzählte man folgenden Witz: »Antisemitismus? Den gibt es bei uns nicht, aber es gibt einen Bedarf dafür.«

Es gab zwar nach der Befreiung von den Deutschen Pogrome in Ungarn, doch von wenigen Ausnahmen abgesehen verschwand der Antisemitismus aus den Medien. Das sollte sich nach der Wende ändern. Plötzlich fand ein wichtiger Teil des rechten Spektrums für alles eine einfache »Erklärung«: An allen Missständen der Vergangenheit und der Gegenwart seien die Juden schuld.
Die Weltöffentlichkeit nimmt in Ungarn eher die marschierenden Neonazis zur Kenntnis als primitive antisemitische Artikel, die schwer zu übersetzen und für Nicht-Ungarn noch schwerer zu verstehen sind. Wer weiß schon im Ausland, dass, wenn man in Ungarn von Christen spricht, oft nicht diejenigen gemeint sind, die an Jesus glauben, sondern dass dieses Wort als ein Synonym für »Nichtjude« gebraucht wird?
Széles, der Inhaber von Magyar Hírlap, reagierte auf die Empörung der Intellektuellen, indem er lapidar erklärte: »Man kann mit Bayer einer Meinung sein oder nicht, mit ihm diskutieren, ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass er in dem betreffenden Kommentar zu hart, missverständlich, vielleicht auch verletzend formuliert hat.« Gleichzeitig warnte er davor, eine »Hetzjagd gegen Bayer« zu lancieren.
Der bekannte Schriftsteller Péter Esterházy hat sich in der linksliberalen Wochenzeitung élet és irodalom (Leben und Literatur) unter dem Titel »Wer ist ein Meister der Hetze?« mit dem Artikel von Bayer und dem, was daraus folgt, auseinandergesetzt. Das Angebot von Széles, über den Text von Bayer zu diskutieren, hält er für unernst, zynisch und lächerlich. »Wie absurd dieser Text ist, das würden wir – leider – wirklich gut sehen, wenn wir ihn in eine indogermanische Sprache übersetzten, ihn dann einem westlichen – wenn möglich nicht neonazistischen – Freund zeigen würden. Er würde nicht glauben, dass man das jetzt schrieb, und würde darauf schwören, dass dieser Text irgendwann Anfang der vierziger Jahre entstanden ist.«
Zudem regt Esterházy an, sich vorzustellen, dieser Artikel würde beispielsweise in einer Zeitung in Deutschland veröffentlicht werden. Und zwei Tage später würde Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Autor eine Party feiern. »Unvorstellbar. Das ist der Unterschied zwischen ungarischem und europäischem Verhalten und nicht die Anzahl der antisemitischen Vorfälle. Dabei schneiden andere Länder nicht besser ab, aber sie werden wenigstens [in Deutschland, Anm. K.P.] nicht als gut qualifiziert. Doch hier haben Viktor Orbán, der Vorsitzende der Oppositionspartei Fidesz, und seine Leute gutgelaunt mit Bayer den 20. Jahrestag der Gründung von Fidesz gefeiert. Wir konnten das sehen. Bayer wurde von der höchsten Ebene als salonfähig deklariert. Das war die Botschaft, alles ist in Ordnung, er ist unser Mann.«
Angela Merkel würde in ihrer Umgebung vermutlich keinen solchen Autor haben wollen. Aber die europäischen Volksparteien, ein Zusammenschluss bürgerlich-konservativer Parteien auf EU-Ebene, dulden unter sich eine Partei wie die Fidesz, die einen antisemitischen Textlieferanten salonfähig macht. Das ist natürlich kein Novum, auch der Österreichischen Volkspartei schadete es im Jahr 2000 nicht, sich mit der rechtsextremistischen FPÖ in eine Regierungskoalition zu be­geben. Sie konnte sich darauf berufen, dass die österreichischen Sozialdemokraten dies während der achtziger Jahre auch getan hatten.

Der Beitritt Ungarns zur EU löste zunächst Optimismus aus, dem aber die Enttäuschung breiter Schichten der Bevölkerung folgte, denn ein Haushaltsdefizit von über zehn Prozent kann nur durch ein schmerzliches Konvergenzprogramm beseitigt werden. Und diese Politik wurde von der linksliberalen Regierung auch begonnen. Groteskerweise opponiert gerade die Fidesz dagegen mit Schlagworten wie »soziale Gerechtigkeit«. Als wüsste sie einen anderen Ausweg aus dieser Lage, gaukelt sie das Trugbild eines Sozialstaats vor. Rund die Hälfte der ungarischen Bevölkerung ist von Armut direkt betroffen oder bedroht. Dies macht Stress, Frustration, Angst und Depressionen zu weit verbreiteten Phänomenen. Von solchen realen Problemen abzulenken durch die Her­stellung einer historischen Kontinuität mit dem Horthy-Regime und der Rehabilitation eines Antisemitismus, der letzlich den Massenmord befördert hat, ist ein Kurs, der nicht nur keinen Ausweg aus der Krise bietet, sondern diese nur noch akuter werden lässt.
Offen antisemitische Parteien sind nicht im ungarischen Parlament vertreten, weil es der Fidesz gelungen ist, deren Wählerschaft für sich zu gewinnen. Die seit sechs Jahren regierende linksliberale Koalition agiert dagegen hilflos und hat es nicht geschafft, etwas gegen Hassprediger und Neonazis zu unternehmen. Offener Antisemitismus in einer im Europa-Parlament vertretenen Partei könnte – wenn die Erklärungen dieses Parlaments am Holocaust-Gedenktag nicht zum Fenster hinausgesprochen sind – durchaus auch einmal in Brüssel thematisiert werden.