Neue Horror- und Science-Fiction-Filme

Blut und Baldrian

Bei den 6. Fantasy-Filmfest-Nights wurden neue Horror- und Science-Fiction-Filme gezeigt. Einige von ihnen kommen jetzt ins Kino.

Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Mietshaus mitten in der Stadt nachts mit einem irren, unentwegt redenden, hysterischen Journalistenpärchen eingesperrt, das eine Kamera mit sich herumträgt und alles filmt, was sich bewegt oder Laute von sich gibt, inklusive sich selbst. Zugegeben: Das ist schlimm genug und sollte im Grunde als Thrill für einen Horrorfilm reichen. Doch es kommt noch ärger. Die schreiende, verwirrte alte Frau im Haus, auf die einige Nachbarn aufmerksam geworden sind und deshalb die Feuerwehr alarmiert haben, damit diese die Wohnung aufbricht und die arme Frau befreit, ist zwar tatsächlich eine schrei­ende, verwirrte alte Frau, die ein blutgetränktes Nachthemd trägt, aber obendrein ist sie auch ein schreiender, verwirrter alter Zombie. Und ihr Nachthemd ist nicht etwa deshalb blutgetränkt, weil sie Nasenbluten hätte, wie sich sehr rasch herausstellt. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Denn hat man einmal einen Zombie im Haus, dann ist das so ähnlich wie mit dem Mieter oder dem Hausschwamm: »Der, wenn amal drinsitzt, kriegstn nimmer raus« (Gerhard Polt). Das scheinen auch die örtlichen Behörden zu wissen, weswegen sie kurzerhand das Mietshaus inklusive der darin woh­nenden Mieter versiegeln lassen.
Niemand kann nun mehr hinein, um die unschuldigen Bürger (inklusive Kleinkind) zu retten, und niemand kann mehr hinaus, um der Gesundheitsbehörde zu versichern, dass er noch nicht zum Zombie mutiert ist. Was zur Folge hat, dass das erwähnte Duo vom Lokalfern­sehen, das anfangs eigentlich nur mal rasch für seine Lokalreportage-Sendung (»Während Sie schlafen«) einen nächtlichen Einsatz der Feuerwehr dokumentieren wollte, sich flugs den neuen Gegebenheiten anpasst und nun, in Ermangelung anderer Ereignisse, eben (»Scheiße! Hast du die Kamera an?! Hast du das drauf?! Hast du das?!«) filmt, wie sich Mitbürger in Zom­bies verwandeln.
Ja, da haben wir eine ganz ausgezeichnete Ausgangslage für ambitionierte junge Fernsehjournalisten: eine gelungene klaustrophobische Atmosphäre, in der sich Hysterie, Panik, Chaos und Gemetzel wunderbar ausbreiten können. Keiner weiß zwar genau, was los ist, aber alle ahnen, dass etwas gewaltig nicht stim­men kann, wenn Polizei und Behörden das Miets­haus mir nichts, dir nichts versiegeln lassen (»Machen Sie sich keine Sorgen, es handelt sich hierbei um Maßnahmen im Interesse Ihrer Sicherheit«).
Und das Beste ist: All das geschieht wirklich, was wir leicht daran erkennen können, dass das Fernsehen dabei und mittendrin im Geschehen ist.
Die Idee von »Rec«, so der Titel dieses Films, der beim spanischen Fantasy-Filmfestival in Sit­ges verständlicherweise gleich vier Preise (u.a. Regie, Publikumspreis, Kritikerpreis) erhielt, ist freilich, seit das 30. Rip-Off von »Blair Witch Project« produziert wurde, nicht mehr neu. Doch das ist ja völlig wurscht. Der Trick, mithilfe wackeliger Kamerabilder und hysterischen Geschreis auf der Tonspur dem Zuschauer das untrügliche Gefühl zu vermitteln, einem authen­tischen Geschehen beizuwohnen, wird hier sauber und mit Liebe zum Genre angewendet.
Überhaupt scheint das Splatter- und Exploi­tation-Kammerspiel derzeit dankenswerterweise ein Comeback zu feiern. In »Inside« zeigt Beatrice Dalle (»Betty Blue«) als schwarzgekleidete, missgestimmte Witwe nicht nur, was man alles mithilfe spitzer Gegenstände (Schere, Messer, Schürhaken, Stricknadel) mit einer hilf­losen, schwangeren Frau veranstalten kann, sondern auch, wie man dabei effektvoll und dekorativ literweise Kunstblut über die gesamte Inneneinrichtung eines Einfamilienhauses verteilt.
Und in »Frontière(s)« landet eine Clique jugendlicher Rabauken unversehens auf einem Bauernhof in der ödesten französischen Provinz, wo eine dort ebenso inzestuös lebende wie debile Nazi-Familie es sich zum Hobby gemacht hat, unverhofft auftauchende Durchreisende im Schweinestall anzuketten, an Fleischerhaken aufzuhängen und bei Bedarf zu schlachten. Besonders eindrucksvoll verfährt dabei der stets in sauber gebügeltem weißen Hemd samt schwar­zer Krawatte in Erscheinung tretende Nazi-Papa (Die Tochter: »Vater ist sehr streng«), der während seiner Folterpraktiken stets in bizarrem Slang einschlägige Floskeln vorträgt (»Arrrbeit macht frrrei!«, »Meine Ehrrre heißt Trrreue!«) und dabei gelungen das erleuchtete Gesicht eines zur Gänze vom Wahn durchdrungenen Fa­natikers zur Schau stellt.
Ganz und gar kein Kammerspiel hingegen ist der britische Endzeit-Actionthriller »Doomsday«, in dem ein hässlicher Virus bei seinen Opfern ra­send schnell eine Art imposante Ganz­körper­akne auslöst, die rasch zum Tod führt, weshalb die Regierung auch hier die bewährte Methode des großräumigen Versiegelns anwendet. Nur muss man aufgrund der bereits fort­geschrit­te­nen Seuche gleich das ganze Land (Schottland) versiegeln, weswegen man nicht umhin kommt, eine undurchdringliche Stahlmauer um das Land zu errichten. »Millionen Bür­ger vergammeln, aber die Welt dreht sich weiter.« (O-Ton aus dem Programmheft) 30 Jahre später beherrscht eine recht überdreht wirkende Freak-Clique die ehemalige Seuchenre­gion, und das sieht dann so aus, als habe sich der »Mad-Max«-Fanclub in Ori­ginalkostümen des Films aus den achtziger Jahren getroffen, um John Carpen­ters Klassiker »Die Klapper­schlange« nachzuspielen.
Der Regisseur Neil Marshall, der, angesprochen auf die zahlreichen Szenen, in denen Genre-Filme aus den Achtzigern zitiert werden, zunächst noch von Filmen spricht, die seine Arbeit beeinflusst haben (»Do you remember Duran Durans ›Wild-Boys‹-Video?«), gibt am Ende zu: »Ah..., it’s just a Rollercoaster Ride with blood, guts ’n’ fun.«
Ein unter konservativen Politikern, Pädagogen, Theologen und der ihnen gedankenlos das Wort redenden Bagage noch immer kurrenter Irrglaube besteht darin, dass im Genre des Horrorfilms unglaubliche, außergewöhnliche bzw. wenigstens verwirrende oder absonderliche Din­ge sich ereignen, die das Seelenleben des Betrachters gefährden könnten, der sich hernach zu Amoklauf, Serienmord oder ähnlichen Ausschweifungen ermutigt fühlen könnte, doch in Wirklichkeit ist, wie immer, das genaue Gegenteil der Fall. Horrorfilme beruhigen, sie sind wie Baldrian für die Seele, weil sie beim Zuschauer für die dringend erforderliche Aggressionsabfuhr sorgen. Wer könnte etwa verleugnen, dass er nicht ab und an das dringende Bedürfnis verspürte, einem unangenehmen Zeitgenossen ein überdimensioniertes Flei­scher­messer in den Kopf zu rammen? Und siehe da: Wir brauchen derlei nicht zu tun, denn wir haben bereits auf der Leinwand gesehen, wie solches zu unserer vollsten Zufriedenheit verlässlich und sauber verrichtet wird.
Unglaubliche, außergewöhnliche Dinge? Im Horrorfilm? Kein Film, der seinen Zuschauer nicht an den gewöhnlichsten, alltäglichsten Geschehnissen teilhaben lässt, die fortwährend in unserer unmittelbaren Umgebung ganz selbst­verständlich passieren bzw. existieren: Um skru­pellose Fernsehjournalisten zu betrachten, die dummes Zeug reden und Zombies filmen (»Rec«), muss man nicht ins Kino gehen, sondern nur den Fernsehkasten anschalten. Und um drollig kostümierten Radaubrüdern zu begegnen, die Autoverfolgungsjagden veranstalten und aufeinander einschlagen (»Doomsday«) und die so aussehen, wie man sich die verwahr­losten Bewohner eines postapokalyptischen Landstrichs vorstellt, muss man sich nur in bestimmte Gegenden in Sachsen begeben. Und auch wenn wir uns in eine von industrieller Aus­beutung geschundene und – wie es im Programmheft heißt – »infernalische Welt, dunkel, kalt und unmenschlich«, begeben wollen, brauchen wir uns nicht den mit diesen Worten beschriebenen Film (»Eden Log«) ansehen. Es reicht, wenn wir vor die Tür gehen.

Alle Filme sind im August in mehreren deutschen Städten beim Fantasy-Filmfest zu sehen.

»Inside« (Frankreich 2007, R: Alexandre Bustillo, Julien Maury), ab Juli auf DVD erhältlich.

»Frontière(s)« (Frankreich 2007, R: Xavier Gens), derzeit in Österreich im Kino, im Sommer auf DVD erhältlich.

»Doomsday« (Großbritannien 2008, R: Neil Marshall), ­Kinostart: Ende August 2008.

»Rec« (Spanien 2007, R: Jaume Balagueró, Paco Plaza), ­Kinostart: heute (8.5.)

»Eden Log« (Frankreich 2007, R: Franck Vestiel), im Herbst auf DVD erhältlich.