1. Mai in Hamburg

Da randaliert der Richter

Die effektivste außerparlamentarische Bewegung zum 1. Mai formierte sich in Ham­burg in den Räumen des Oberverwaltungs­gerichts.

Eins gleich vorweg: In Hamburg ist kein neuer Revolutionsmythos zum 1. Mai entstanden. Die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei im Schanzenviertel rund um die Rote Flora entsprachen dem üblichen Ritual. »Barrikaden gebaut, Polizisten mit Steinen beworfen und Sparkassenscheiben zerstört – das gehört sich nicht«, fasste der Einsatzleiter der Polizei, Hartmut Dudde, zusammen.
Von anderer Qualität waren die antifaschistischen Proteste gegen den Aufmarsch der NPD im ehemaligen Arbeiterstadtteil Barmbek. Dass es dort zu schweren Auseinandersetzungen kam, lag aber auch daran, dass die Polizei sich zu sehr auf die Mithilfe der Justiz verlassen hatte.
Seit Jahren hat Hamburgs Polizei rund um den 1. Mai ein Null-Toleranz-Konzept praktiziert, in dem das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit für linke Gruppen nur am Rande vorkam. Anders als üblich verweigerte das Oberverwaltungs­gericht (OVG) diesmal seinen Segen – und das gleich zweimal binnen eines Tages. Unter anderem sollte den Demonstranten per Auflage verboten werden, Flaschen und Getränkedosen mitzunehmen und Schuhe mit Stahlkappen zu tragen. Das hätte eine weitere Verschärfung der Bedingungen, unter denen in Hamburg noch demonstriert werden darf, bedeutet.
Ironischerweise hatte aber gerade die res­triktive Linie dazu geführt, dass bei Demonstrationen in den vergangenen Jahren vergleichsweise wenig passierte. Deshalb fehlten die Argumente, mit denen man dem OVG nachvollziehbare Grün­de für noch strengere Auflagen hätte liefern können. Das OVG verweigerte daher weitere Einschränkungen für die 1. Mai-Demonstration, die wegen des Naziaufmarschs bereits am 30. April stattfand, mit dem Hinweis, dass die »Gefahrenprognose« völlig unzureichend sei. So erlitt die Law-and-Order-Fraktion um den designierten neuen Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) eine deftige Schlappe, noch bevor die schwarz-grüne Regierung offi­ziell ihre Arbeit aufgenommen hat. Mit den Grünen hatte das nicht zu tun. Die erfuhren überhaupt erst durch die linken Veranstaltern von den geplanten Auflagen.
Mit der am gleichen Tag erlassenen Entscheidung, den Aufmarsch der NPD und die Antifa-Demonstration am 1. Mai zwar zeitlich, aber nicht räumlich voneinander zu trennen, kam das Gericht den Plänen der Polizeiführung und der Innenbehörde ein zweites Mal in die Quere. Die Polizei habe mit ihrer erst zwei Tage vor der Demonstra­tion erlassenen beschränkenden Verfügung das Recht der linken Veranstalter auf einen effektiven Rechtsschutz einschneidend behindert. Die nur noch kurzfristig mögliche Rechtsgüterabwägung sei daher zugunsten des klagenden Antifa-Bündnisses ausgefallen, erklärten die Richter. Für die Hamburger Polizei waren diese neuen richter­lichen Vorgaben am 1. Mai bei über 1 000 Rechts­extremen und deutlich mehr als 8 000 Gegendemonstranten mit »nur« 2 500 Polizeibeamten so kurzfristig nicht mehr einlösbar.
Zu resümieren bleibt, dass weniger, wie angekündigt, Autonome und Antifa am 1. Mai den schwarz-­grünen Senat herausgefordert haben. Die effektivste außerparlamentarische Opposi­tion formierte sich weder im Schanzenviertel noch in Barmbek auf der Straße, sondern im Oberverwaltungsgericht.