Die »Sopranos«

Der Clan der New Jerseyianer

Serie über Serien. Benjamin Kumpf hat in den »Sopranos« seine erweiterte Familie gefunden

Christopher Moltisanti ist ein made man, ein vollwertiges Mitglied der Mafia. Er ist Mitte 30, hat eine attraktive Verlobte, ein gutes Auskommen und ist zusätzlich noch der kleine Neffe des Bosses der Mafia von New Jersey, Tony Soprano. Aber Christopher hat es vergeigt. Der Stress des Geldeintreibens und der pünktlichen Lieferung der Scheine an Capo und Boss haben ihn überfordert. Er ist auf Heroin, schlägt seine Verlobte Adriana, vergisst wichtige Termine und erledigt seinen Job nicht mehr zuverlässig. Also kommen Tony, Adriana und die Mob-Kollegen Silvio und Paulie mit einem Psychotherapeuten im Schlepptau zur Intervention.
So gestaltet sich eine typische Szene der »Sopranos«, die nicht nur die Tiefgründigkeit der Charaktere und ihrer sozialen Beziehungen verdeutlicht, sondern auch klar macht: diese Serie funktioniert nicht auf Deutsch. Die Tiefe der Dia­loge, der Witz der Wortkonstruktionen, insbesondere die sprachlichen Neukreationen aus Italienisch und Englisch und nicht zuletzt der unerreicht kreative Gebrauch von Schimpfwörtern machten es nahezu unmöglich, diese Serie erfolgreich zu synchronisieren.
Entgegen ­zahlreichen Besprechungen in deutschen Medien ist Tony Soprano kein »eigentlich netter Kerl«, der eben eine verantwortungsvolle Aufgabe hat und verständlicherweise des öfteren Job und Familie nicht so recht unter einen Hut bekommt. Tony Soprano ist vielmehr ein rücksichtsloser Unternehmer, Rassist, Frauenschläger, Mörder und, eher am Ende, dann doch irgendwie auch ein wenig nett. Gerade das Spannungsverhältnis, den Boss der Mafia in New Jersey in dem einen Moment zu verabscheuen, um kurz darauf wieder wie selbstverständlich Sympathie für den großen, dicken Bademantel-Tony zu empfinden, gibt der Serie etwas Subversives. Der Mafioso wird als das düstere Gegenmodell der bürgerlichen Gesellschaft präsentiert, gleichzeitig aber auch als deren Prototyp.
Die »Sopranos« zeigen, dass das organisierte Verbrechen einen integralen Bestandteil allgemeiner Wirtschaftsabläufe darstellt und nebenbei auch Arbeitsplätze sschafft. FBI und Polizeibehörden erscheinen als Institutionen, die das Verbrechen erst möglich machen und somit Kriminellen – nach Karl Marx – auch eine ganz spezifische Funktion in der Gesellschaft einräumen. Die Kriminellen sind in gewisser Weise Menschen wie du und ich, Tony Soprano ist nicht nur ­Killer und ­Geldeintreiber, sondern Ernährer der Familie, der unablässig mit der finanziellen Absicherung seiner Existenz beschäftigt ist.
Durchsetzungsvermögen, Konkurrenz zu den eigenen Kollegen, Neid auf materielle Besitztümer und Hegemonialstreben dominieren das Alltagsleben der made guys aus dem Soprano-Clan. Die meisten Mitglieder von Tonys Crew leben noch nicht einmal in den schicks­ten Häusern der Stadt, haben dafür aber ständig die Jungs vom FBI am Hals, nur lustig ist das Verbrecherleben nicht. Die verlogene Doppelmoral hinsichtlich ihrer Ehen und den Treueversprechen teilen sich die Besucher der Stripbar »Baddabing« mit deren mafiösen Betreibern. Im Gegensatz zur Durchschnittsfamilie wird Ehebruch in Mob-Kreisen aber nicht als verwerflich betrachtet, vielmehr ist die Unterhaltung mindestens einer »Goomar«, einer Geliebten, ein Status-Accessoire in den beschriebenen Mafia-Kreisen. Ambivalent ist dieses in den »Sopranos« gezeichnete Frauenbild: Es reicht von der Reproduktion patriachalischer Strukturen bis hin zur Dekonstruktion des Bildes einer Sexarbeiterin.
Die »Sopranos« waren für den geneigten Fan wie eine erweiterte Familie. Nach mehrjähriger Rezeption der Serie hinterlässt ihr Ende eine nicht zu füllende Lücke im sozialen Leben.
Der Kommentar Tony Sopranos zu dem weinerlichen Ende dieses Textes wäre jedoch vermutlich: »I wipe my ass with your feelings.«