Debakel für die Labour-Partei bei den britischen Kommunalwahlen

Im Frühling der Unzufriedenheit

Bei den Kommunalwahlen in Großbritannien wurde Labour nur die drittstärkste Partei. In London wurde der »rote« Ken Livingstone abgewählt. Neuer Bürgermeister ist der konservative Medienstar Boris Johnson

Ein »Leichtgewicht« sei Boris Johnson, der Kandidat der Tories für das Bürgermeisteramt in London, eine »Skandalnudel« und ein »Clown«, tönten seine Gegner von der Labour-Partei. Es gelang ihnen jedoch nicht, die Londoner davon abzuhalten, den exzentrischen Talkshowmaster zum neuen Bürgermeister zu wählen.
Der geschlagene Ken Livingstone, »Red Ken«, wie er nicht nur in London genannt wurde, betonte noch in der Wahlnacht, die Schuld an seiner Niederlage trage nur er allein. Damit hat er sicherlich recht. Von vielen Seiten wird Living­stone linker Populismus vorgeworfen. Heftig kritisiert wurden beispielsweise der Öldeal mit Venezuelas Staatschef Hugo Chávez zum Vorteil der Londoner Busbetriebe vor zwei Jahren sowie Livingstones »Flirt« mit Islamisten wie dem Sheik Yussuf al-Qaradawi.
Andererseits war die Niederlage der Labour-Partei in London die Krönung eines landesweiten Wahldesasters. Über 200 Sitze verlor Labour bei den Kommunalwahlen in der vergangenen Woche. Mit 24 Prozent der Stimmen im Gesamt­ergebnis, dem schlechtesten Ergebnis bei Kommunalwahlen seit 40 Jahren, blieb Labour sogar hinter den Liberalen zurück. Die Konservativen dagegen konnten hinzugewinnen und erzielten 44 Prozent, bei Parlamentswahlen hätte das für eine klare Mehrheit ausgereicht.
Für das schlechte Abschneiden der Labour-Partei wird nicht zuletzt der Premierminister ver­antwortlich gemacht. In der Debatte um die so­zialen Folgen der Steuerreform musste er vor zwei Wochen nachgeben. Von zehn auf 20 Prozent verdoppeln sollte sich nach seinen Vorstellungen der Mindestsatz der Einkommensteuer. Die Gegner des Plans in der Labour-Partei hielten ihm Zah­len vor, denen zufolge die Reform für fünf Mil­lionen schlecht verdienenden Briten enorme Ein­bußen mit sich bringen würde.
Dass die Regierung jüngst die durch die Kreditkrise schwer angeschlagenen Banken mit 50 Milliarden Pfund unterstützt hatte, bildete einen unschönen Kontrast zur Steuererhöhung für die Ärmsten. Auch erinnerten die Kritiker daran, dass Brown selbst erst 1999 den Satz von zehn Prozent aus sozialen Gründen eingeführt hatte. Der Premierminister beugte sich schließlich dem Druck der Hinterbänkler und versprach umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen für die Verlierer der Reform. Zwar konnte er damit eine Abstimmungsniederlage im Parlament verhindern, der politische Schaden war dennoch groß.

Streiks der Lehrer, die seit 21 Jahren nicht im Aus­stand waren, sowie anderer Staatsangestellter sind eine weitere Sorge für den Premierminister. Dabei geht es wie schon im vergangenen Jahr um die von Brown auf zwei Prozent begrenzten Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst. Er will mit dieser rigiden Politik die Inflation bekämpfen, doch die Preissteigerungen, insbesondere bei Benzin und Nahrungsmitteln, liegen derzeit bereits weit über zwei Prozent. Die Gewerkschaften sind daher nicht bereit, auf Appelle zur Sparsamkeit eingehen. Angesichts der vielen drohenden Arbeitsniederlegungen erwarten einige Be­obachter schon einen »Frühling der Unzufriedenheit«, eine Anspielung auf die britische Ge­schich­te: Ende der siebziger Jahre zerbrach die letzte Regierung vor Margaret Thatcher an den streikfreudigen britischen Gewerkschaften.
Zweifellos steht Brown derzeit so schlecht da wie nie zuvor in seiner einjährigen Regierungszeit. Woran das liegen kann, darüber spekulieren die politischen Kommentatoren in Großbritannien. Viele halten die Person Brown für das Problem. Der genoss als Premierminister zunächst unerwartet große Sympathien. Er versprach nüch­terne, pragmatische Amtsführung, ein Ende des Spin, der PR-orientierten Politik der Ära Tony Blairs.
Brown präsentierte sich im Sommer 2007 als ein Politiker, der anpacken kann. In Gummistiefeln besuchte er von Überschwemmungen betroffene Städte und brach sogar seinen Urlaub ab, als es zu einem erneuten Ausbruch der Maul- und Klauenseuche kam. Auch substanziellen Problemen der Briten mit der Regierung Blair schien Brown sich widmen zu wollen, vor allem beim Thema Irak. Er kündigte wiederholt größere Trup­penreduktionen an und versprach ein baldiges Ende des unpopulären Einsatzes.
Als dann die Werbeagentur Saatchi & Saatchi mit dem Slogan »No Flash, just Gordon« für ihn beim Labour-Parteitag im September werben durfte, schienen die Briten für kurze Zeit sogar richtig zufrieden. Der Premierminister hatte die Fähigkeit zur Selbstironie zu bewiesen, eine hoch angesehene Eigenschaft in Großbritannien. Doch bereits im Oktober war es dann vorbei mit Browns Beliebtheit. Von der Anfangseuphorie getragen, spielte er mit dem Gedanken, sich in vorgezogenen Neuwahlen im Amt bestätigen zu lassen. Abschreckt von der Kampfeslust und den guten Umfragewerten seines konservativen Rivalen Cameron nahm er in letzter Minute von der Idee Abstand. In den Augen der britischen Öffentlichkeit hatte er sich als Zauderer und Feig­ling erwiesen.

Seitdem ist es Brown nicht gelungen, sein Image zu verbessern. Bei einer Reihe von Pannen, die der Regierung im letzten halben Jahr unterlaufen sind, machte er keinen guten Eindruck. Dass Brown den EU-Verfassungsvertrag unterzeichnete, an der offiziellen Zeremonie jedoch nicht teilnahm, um der innenpolitischen Kritik aus dem Weg zu gehen, galt nicht nur Cameron als Beleg dafür, dass der Premierminister »gerissen und nicht vertrauenswürdig« sei. Von einem baldigen Truppenabzug aus dem Irak ist keine Rede mehr. Als Brown vor drei Wochen die USA besuchte, stahl ihm dann auch noch der Papst die Show.
Die Briten hätten Brown jedoch wohl manches verziehen, wenn das Land nicht in einer öko­nomischen Krise stecken würde. Das konstante Wirtschaftswachstum seit Mitte der neunziger Jahre basierte auf den Erträgen der Finanzwirtschaft und einer kreditfinanzierten Binnennachfrage. Während nun die Häuserpreise sinken, nachdem sie sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre verdoppelten, steigen die Lebenshaltungskosten rasant an. Die wohl signifikantesten Zeichen der Krise sind die Abwertung des Pfund, das derzeit nur noch rund 1,25 Euro wert ist, und die Veränderung der Migrationsmuster. Zum ersten Mal seit dem EU-Beitritt Polens hat sich im ersten Quartal 2008 zum Beispiel die Zahl der polnischen Einwanderer nach Großbritannien deutlich verringert. Angesichts der wirtschaft­lichen Probleme würde es wohl auch einem geschickter agierenden Premierminister schwerfallen, das Wohlwollen der Briten zu gewinnen.