Platz für die Polizei

Der Gewerkschaftsverband Disk (Konföderation der Revolutionären Arbeiterschaft) hatte zur Kundgebung aufgerufen und gehofft, dass sich 500 000 Teilnehmer an der 1. Mai-Demonstration auf dem Taksim-Platz in Istanbul beteiligen würden. Es kamen wesentlich weniger, zahlreich erschienen hingegen die Polizisten. Nach Angaben türkischer Zeitungen wurden 20 000 bis 30 000 Ordnungshüter aufgeboten, um die Demonstration zu verhindern. Sie gingen bereits in den Morgenstunden mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln gegen einzelne Gruppen vor, die sich auf dem Weg zum Taksim-Platz befanden. 530 Personen wurden verhaftet, die Anzahl der Verletzten ist unklar. Türkische Medien sprechen vom Einsatz extremer Gewalt. Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan (AKP) hatte sich vor dem 1. Mai bereits vehement für die Verhinderung von Demon­strationen ausgesprochen und vor »Provokationen illegaler Organisationen« gewarnt. Das strikte Demonstrationsverbot begründete die Regierung mit eher banalen Belangen wie der möglichen Störung des Innenstadtverkehrs.
Tatsächlich scheint es der konservativ-islamischen Regierung ebenso wie ihren Vorgängerinnen wichtig zu sein, die Maidemon­s­tra­tion auf dem Taksim-Platz zu verhindern. Am 1. Mai 1977 hatte der linke Gewerkschaftsverband Disk dort eine Kundgebung mit etwa 500 000 Beteiligten veranstaltet. Bis heute nicht identifizierte Schützen eröffneten das Feuer auf die Demonstranten, 36 Personen wurden getötet. Wahrscheinlich waren die Täter Rechtsextremisten, die mit staatlicher Unterstützung handelten. Seit dem Massaker sind Demonstrationen auf dem Taksim-Platz verboten, Gewerkschafter und Linke versuchen jedes Jahr am 1. Mai, das Verbot zu durchbrechen. rs