Im Libanon wird wieder gekämpft

Durchwahl für die Gotteskrieger

Die Kämpfe im Libanon

Eigentlich sollte es um etwas ganz anderes gehen. Derzeit beträgt der Mindestlohn 300 000 ­libanesische Pfund, umgerechnet knapp 130 Euro, der Gewerkschaftsverband GFLU fordert eine Erhöhung auf 960 000 Pfund und rief zum Gene­ralstreik auf. Am Mittwoch der vergangenen Woche waren jedoch überwiegend Anhänger der Hiz­bollah auf den Straßen. Gleich nach dem Morgengebet besetzten sie wichtige Plätze in der Haupstadt Beirut, am Vormittag sagte Ghassan Ghosn, der Präsident der GFLU, eine geplante Demonstration ab und suspendierte den Streik.
Da überdurchschnittlich viele Schiiten unter den knapp 30 Prozent der Bevölkerung sind, die in Armut leben, nutzt die Hizbollah die soziale Unzufriedenheit. Anlass der Machtdemonstration war jedoch ein Versuch der von Premierminister Fuad Siniora geführten Regierung, das Telefonnetz der Hizbollah, das ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah als »die wichtigste Waffe des Widerstands« bezeichnet, stillzulegen und Wafik Shoukair, den Sicherheitsbeauftragten des Beiruter Flughafens und mutmaßlichen Anhänger der Hizbollah, zu entlassen.
Die Islamisten eroberten große Teile Westbeiruts, sie kämpften in anderen Städten gegen Sunniten und in den Bergen gegen Anhänger des drusischen Politikers Walid Jumblatt. Am Samstag kapitulierte die Regierung. »Die beiden Entscheidungen wurden bislang nicht dekretiert, sie werden nun dem Urteil der Armee überlassen«, sagte Siniora. Der Armee, die nicht in die Kämpfe eingriff, hat die Hiz­bollah die eroberten sunnitischen Gebiete in Westbeirut übergeben.
Mehr als 80 Menschen wurden getötet. Viele ­Libanesen rätseln, worauf Nasrallah, der immer behauptet hatte, die Hizbollah werde ihre Waffen nicht bei innenpolitischen Machtkämpfen einsetzen, eigentlich hinauswill. Möglicherweise sollte der Angriff nur ein für allemal klarstellen, dass die Hizbollah keine Eingriffe in ihren Einfluss­bereich duldet. Vielleicht will sie das Parlament schwächen und die Armee stärken.
Die Motive sollten jedoch nicht allein im Libanon gesucht werden. Ihre Machtposition dort dient der Hizbollah als Basis für eine regionale islamis­tische Politik. Sie hat nicht nur ihr Kommunika­tionssystem für den nächsten Angriff auf Israel gesichert und einmal mehr ihre Kampfkraft bewiesen, sondern auch die Schwäche der mit dem Westen verbündeten Regierung vorgeführt. Das ist wohl auch eine Warnung an westliche Regierungen gewesen.
Zum Bürgerkrieg wird der Konflikt wohl nicht eskalieren. Allerdings beweisen die Kämpfe, dass auch andere Parteien ihre Anhänger nicht gänzlich entwaffnet haben, wie es das Friedensabkom­men vorsah. Es ist kein Zufall, dass sich eine bewaffnete islamistische Partei nur im Libanon legal etablieren konnte, wo fast jeder Politiker ein Warlord im Wartestand ist und Kontrolle über »seine« Bevölkerungsgruppe beansprucht. In der vergangenen Woche errang nicht nur die Hizbollah einen Sieg, es scheiterte auch ein weiterer Versuch, jenseits konfessioneller Grenzen bessere Lebensbedingungen zu erkämpfen.