Gespräch mit Matthias Höhn über seinen Streit mit Lafontaine, über Realpolitik und Populismus

»Aufs Schuldenmachen sollten wir uns nicht einlassen«

Der 33jährige Matthias Höhn ist Landesvorsitzender der Partei »Die Linke« in Sachsen-Anhalt und Abgeordneter des Landtags. Außerdem ist er Mitglied des Bundesvorstands der Partei. Er gilt als Vertreter des »Reformer-Flügels« und als radikaler »Realpolitiker«. Von ihm stammt der Satz: »Auch der Sozialismus muss gegenfinanziert sein.«
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Sind Sie ein rechter Sozialdemokrat?

Nein, ich bin demokratischer Sozialist, und dabei werde ich es auch belassen.

Oskar Lafontaine hat gesagt, es gebe in den ostdeutschen Landesverbänden »auch rechte Sozialdemokraten«, und hat damit Realpolitiker wie Sie gemeint.

Das ist wohl so. Dennoch trifft der Begriff für die Gruppe, die er meint, nicht zu. Ich bin 1992 sehr bewusst in die PDS und nicht in die SPD eingetreten.

Ist Lafontaine ein rechter Sozialdemokrat?

Ich habe generell ein Problem damit, innerhalb der Partei dieses Rechts-Links-Schema aufzumachen. Lafontaine kommt aus der SPD und hat dort jahrzehntelang Politik gemacht. Er ist sicher Sozialdemokrat vom Herzen her, obgleich er immer wieder betont hat, dass für ihn der demokratische Sozialismus einen hohen Stellenwert hat. Von daher müsste es eigentlich eine große Schnitt­menge geben.

Ausgangspunkt des Streits zwischen Ihnen und Lafontaine war ein »Zukunftsinvestitionsprogramm« über 50 Milliarden Euro, über das auch auf dem Parteitag abgestimmt werden sollte. Sie waren dagegen, weshalb?

Ich bin nicht dagegen, dass der Staat mit Investitionen aktiv wird. Der Streitpunkt ist, in welchen Bereichen er aktiv und aus welchen Quellen das finanziert werden soll. Die Kontroverse darum ist auch noch nicht zu Ende. Wir haben im Parteivorstand einen Kompromiss gefunden, der uns über den Parteitag rettet, aber diese beiden Fragen sind ungeklärt. Im Leitantrag ist das Zukunftsinvestitionsprogramm zu finden, aber nicht, wie ursprünglich vorgesehen, als eigenständiger Antrag. Es wird also kein Schwerpunkt des Partei­tages, sondern wir konzentrieren uns auf den Schwerpunkt Rente, und das ist auch gut so.

Sie haben in diesem Zusammenhang von »Luftschlössern« geredet, da schwingt der Vorwurf des Populismus mit.

Wir haben als Partei seit der letzten Bundestagswahl auf der Bundesebene eine ganze Reihe von Forderungen aufgestellt, die im Großen und Ganzen in der Sache berechtigt sind, aber mit deutlichen Mehrausgaben für die öffentliche Hand in Bund, Ländern und Kommunen verbunden wären. Was uns fehlt, ist ein Finanzierungskonzept, das wir danebenlegen können. Solange wir nicht glaubhaft die Refinanzierung der Mehrausgaben, die wir fordern, nachweisen können, müssen wir uns dem Vorwurf des Populismus wohl aussetzen. Deswegen müssen wir diese Lücke füllen – und das ist auch möglich.

Die US-Regierung macht auch viele Schulden, und Präsident Bush hat ein immenses Konjunkturprogramm angestoßen. Ist er auch ein Populist?

Der Einwand belegt zunächst mal eines meiner Argumente, das besagt, dass ein Investitionsprogramm noch keine linke Wirtschaftspolitik ist. In den letzten Jahrzehnten haben viele Regierungen Investitionsprogramme gemacht. Die Frage ist, wo stecke ich das Geld rein, mit welchem Ziel. Und wenn wir uns als Linke darauf verständigen, dass wir es in die Bereiche öffentliche Daseinsvorsorge, Bildung, Gesundheit investieren wollen, dann ist das gut. Auf Schulden sollten wir uns aber nur in einem sehr begrenzten Maße einlassen. Die Finanzsituation in den Ländern und Kommunen, wo wir als Partei deutlich mehr Verantwortung tragen, lässt eine Verschuldungspolitik nicht zu. Sie würde die Spielräume für linke Politik noch mehr einengen.

Welche Rolle wird der Streit zwischen Realpolitik und Populismus bei der Debatte um ein linkes Parteiprogramm spielen?

Sicher eine wichtige. Diese Konfliktlinie gab es ja auch schon in der PDS, sie ist jetzt nur etwas akzentuierter. Aber man kann als demokratische sozialistische Partei seine Politik weder allein nach der Kassenlage ausrichten noch auf Protest reduzieren. Wir haben immer formuliert, dass neben dem realpolitischen Mitgestalten auch das wichtig ist, was über den Kapitalismus hinausweist. Darum sprechen wir von einem transformatorischen Prozess, der im Heute beginnt.

Wie kommt es, dass in ostdeutschen Landesverbänden eine größere Affinität zur pragmatischen Realpolitik besteht?

Das hat mindestens zwei Gründe. Zum einen unsere Erfahrung als Ostdeutsche, dass eine gut gemeinte Sozialpolitik, die das Geld herausreicht, scheitern kann, wenn das Geld nicht erwirtschaftet wird. Das ist die Erfahrung aus der DDR. Das zweite ist der strukturelle Unterschied zwischen Ost und West und unsere jeweilige Rolle. Es ist ein Unterschied, ob ich in einem ostdeutschen Land, wie im nächsten Jahr Brandenburg und Thüringen, darum kämpfe, stärkste Partei zu werden und den Ministerpräsidenten zu stellen, oder ob ich im Westen darum kämpfe, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Wir müssen mit diesem Spannungsverhältnis in der Partei umgehen lernen, denn das wird noch eine Weile so bestehen.

2011 sind Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. Derzeit ist »Die Linke« die stärkste Partei im Land. Da muss es Sie doch stören, dass Lafontaine derart auf ihrem einzigen möglichen Koalitionspartner, der SPD, herumhackt.

Wir müssen den Schwerpunkt unserer politischen Auseinandersetzung verlagern. Weg von der SPD, hin zur CDU/CSU. Denn in der Tat bin ich davon überzeugt, dass es unsere Aufgabe ist, im Bund wie in den Ländern, die Vormachtstellung der CDU zu brechen, das wird nicht gelingen, indem wir die SPD zu Boden knüppeln. So werden wir die Konservativen nicht ablösen können.

Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass sich die Partei stärker mit der DDR-Vergangenheit auseinandersetzen sollte. Ist es nicht verständlich, dass die Westler, die durch die Fusion hinzugekommen sind, dieses Bedürfnis nicht verspüren?

Sicherlich ist aufgrund der jeweiligen Biographien die Perspektive eine andere. Das Problem ist aber im Grunde das gleiche. Wir haben im Osten als PDS seit 1990 einen sehr schmerzhaften Prozess der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit hinter uns gebracht. Das war schwierig, aber notwendig. Jetzt, wo wir eine bundesweite Ausstrahlung haben, ist es notwendig, dass wir den Diskussionsprozess auch in den alten Bundesländern stärker führen. Wir müssen gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, dass Freiheit und Sozialismus zusammengehören. Und wir haben in diesem Jahr zwei Ereignisse gehabt, die in dieser Hinsicht problematisch waren: die Äußerungen von und über Christel Wegener und die Auseinandersetzungen am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Ehrung, als einige Mitglieder der Partei auch Blumen für die Opfer des Stalinismus niederlegten und dafür sehr massiv attackiert wurden. Die Aussprache, die es dazu im Parteivorstand gab, war in Teilen sehr bedenklich.

Verstehe ich recht: Im Osten haben Sie Stalin und Stasi aufgearbeitet, und jetzt müssen Sie das nur noch den Wessis verklickern?

Nein, ein solcher Diskussionsprozess muss aus sich selbst heraus stattfinden. Wir haben als Ossis niemanden zu belehren. Wir können nur sagen, dass die Konsequenzen, die wir aus dem Scheitern der DDR gezogen haben, für uns essenziell sind. Darauf legen wir auch in der neuen Partei wert. Im Wesentlichen geht es um die Grund- und Freiheitsrechte und deren Stellenwert für eine sozialistische Partei. Wir hatten als PDS im Laufe der neunziger Jahre den Diskussionsstand erreicht, dass der hohe Stellenwert der Freiheitsrechte in der großen Mehrheit der Partei akzeptiert und nicht mehr strittig war. Jetzt, in der neuen Partei, haben wir die Situation, dass das Verhältnis von sozialen Rechten und Freiheitsrechten im Beschluss über die »programmatischen Eckpunkte« als offene Frage formuliert wurde. Damit muss ich konstatieren: Wir sind wieder mitten im Diskussionsprozess.

Es gibt auch andere Bereiche, wo es Klärungsbedarf gibt, etwa in der Außenpolitik. Ich denke da zum Beispiel an die Debatte um Gysis Israel-Rede.

In der Tat ist das Verhältnis zu Israel in Teilen der Linken ungeklärt. Ich sage sehr klar: Für eine emanzipatorische und geschichtsbewusste Partei »Die Linke« muss das Existenzrecht Israels außer Frage stehen. Ich hoffe, dass wir im Zuge der Programmdebatte diese Politikfelder nicht aussparen und einen Klärungsprozess herbeiführen.