Angela Merkels Lateinamerika-Reise

Biosprit statt Hitler

Auf ihrer Lateinamerika-Reise warb Angela Merkel für soziale Marktwirtschaft, deutsche Innovationen und Biosprit mit Gütesiegel.

Wer hätte mitreißender um die Aufmerksamkeit der Medien für den EU-Lateinamerikagipfel im peruanischen Lima werben können als Venezuelas Präsident Hugo Chávez? Vier Tage vor dem politischen Stelldichein am 15. und 16. Mai widmete sich Chávez in einer siebenstündigen Ausgabe seiner Fernsehsendung »Aló Presidente« auch der deutschen Teilnehmerin Angela Merkel und sorgte wohl kalkuliert für Wirbel: »Da kommt die deutsche Kanzlerin und sagt, dass sich die Regierungen Lateinamerikas von Regierungen wie der von Chávez fernhalten sollten. Nun gut, ich weiß noch nicht, ob ich zum Gipfel nach Lima fahre. Vielleicht sage ich dann etwas und Merkel wird wütend. Und vielleicht springt sie dann auf und ruft: ›Warum hältst du nicht den Mund, verdammt!‹«
Vor allem aber Chávez’ historischer Seitenhieb, die Kanzlerin gehöre jener deutschen Rechten an, die Hitler und den Faschismus unterstützt habe, polarisierte die Menschen in Deutschland und Lateinamerika. Eine Parlamentariergruppe um den CDU-Bundestagsabgeordneten Erich G. Fritz sagte einen geplanten Besuch Venezuelas ab und bezeichnete Chávez’ Äußerungen als »untragbar«. Auf dem lateinamerikanischen linken Webportal »Rebelión« hingegen wurde Chavéz’ Äußerung über die CDU mit Exkursen über den CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger, der einst ­NSDAP-Mitglied war, und mit Verweisen auf den früheren »Geldwäscher der chilenischen Rechten«, Heinrich Gewandt, verteidigt. Alain García schließlich, in seiner Rolle als peruanischer Präsident und Gastgeber, drückte Merkel gegenüber sein Bedauern über die Attacken aus und mahnte mit Blick auf das Gipfeltreffen: »Nicht aufgrund von Geschrei oder Beleidigungen hat man Recht. Recht hat man, wenn man Ergebnisse vorweisen kann.«
Greifbare Ergebnisse suchte man auf dem Gipfel allerdings vergebens – abgesehen vom versöhnlichen Handkuss von Chávez für Merkel. Die Tagesordnungspunkte rund um Energiepolitik, Armutsbekämpfung und Klimawandel sorgten zwar für lebhafte Debatten. Merkels Wunsch, »mehr als Lippenbekenntnisse« zu produzieren, wurde jedoch nicht erfüllt, vor allem wegen einer weiterhin ungelösten Kontroverse um gegenseitige Handelshemmnisse. Denn während die Länder der EU auf eine Öffnung des »Mercosur-Bündnisses«, des 1991 gegründeten gemeinsamen Binnenmarktes von Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und weiteren assoziierten Ländern Lateinamerikas, für europäische Erzeugnisse drängen, fordert die Agrarlobby im südlichen Amerika deutlich mehr Entgegenkommen, um landwirtschaftliche Produkte in Europa verkaufen zu können.

Doch die Verhandlungsposition der EU ist in den vergangenen Jahren schwächer geworden. Der gestiegene asiatische Bedarf nach lateinamerikanischem Soja beispielsweise macht unbedingtes Liefern nach Europa obsolet. Freihandelsverträge haben bis heute nur Chile und Mexiko mit der EU unterzeichnet. Und eben solche Verträge scheinen nach dem Scheitern eines »kontinentalen« Freihandelsabkommens nun auch weitere Strategien über das Gipfeltreffen hinaus zu bestimmen. Denn trotz aller Dementis seitens der EU kann man Merkels Verhandlungsinitiative gegenüber der Andengemeinschaft (CAN) durchaus als wirtschaftspolitischen Spaltungsversuch begreifen: Wenn Ecuador und Bolivien nicht mitziehen wollen, einigen wir uns demnächst eben gesondert mit Peru und Kolumbien über ein verbrieftes Handelsbündnis.
Überraschend ist dieses Handeln kaum, wenn man Merkels politische Akzentsetzungen vor ihrer Lateinamerika-Reise bedenkt. Anders als gegenüber den gemäßigten sozialdemokratischen Regierungen in Chile und Brasilien sowie den konservativen Exekutiven in Kolumbien und Mexiko übte sie harsche Kritik an den »populistischen Regierungen« in Venezuela, Bolivien, Ecuador und Nicaragua. Dabei alternativ das Modell sozialer Markwirtschaft anzupreisen, mag in Deutschland anachronistisch anmuten, sorgt angesichts der lateinamerikanischen Erfahrungen mit noch drastischeren neoliberalen Modellen in den neunziger Jahren dennoch für Applaus in der hiesigen bürgerlich-liberalen Presse.
In Brasilien, wo die ehemalige Umweltministerin Merkel noch vor dem Gipfeltreffen mit Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva zusammentraf, lobte etwa die Tageszeitung O Globo die Kanzlerin dafür, trotz »des heftigen Streits in der deutschen Gesellschaft und innerhalb ihrer Regierung über die Vorteile und Probleme von Biokraftstoffen« dem Land finanzielle Unterstützung bei Programmen zu erneuerbaren Kraftstoffen zugesagt zu haben. Lula seinerseits versicherte, Brasilien werde künftig ökologisch verträglich Zuckerrohr für die Biospritproduktion anbauen. Er kündigte gar eine »zweite Generation der Biokraftstoffe« an. Die Versorgung des Landes mit ausreichend Lebensmitteln sei dabei ebenso wenig gefährdet wie der Regenwald, denn »der Anbau von Zuckerrohr beansprucht gerade mal ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Landes, und außerdem wächst die Produktion von Getreide ebenso schnell«, sagte Lula.
Bei einem Treffen mit dem Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz, Dimas Lara Barbosa, und dem Vorsitzenden des Verbandes der Arbeiter in der Agrarindustrie (Contag), Manoel José dos Santos, wurde Merkel jedoch eindringlich die Realität hinter Lulas Zahlen vorgeführt. Landvertreibungen, hungernde Kleinbauern, Zuckerrohrschneiden unter der »Sklaverei ähnlichen Bedingungen« mit Produktionsquoten von zwölf Tonnen pro Person am Tag, das seien die Auswirkungen des brasilianischen Biospritbooms, erläuterten sie. Merkel versprach, sich zu informieren, forderte mehr Transparenz vom weltweit zweitgrößten Hersteller von nachwachsenden Kraftstoffen und erhielt prompt eine Antwort der mexikanischen Biospritindustrie: Künftig soll ein Gütesiegel für bedenkenlose Importe in deutsche Autotanks sorgen.

Während ihrer eintägigen Stippvisite im kolumbianischen Bogotá wurde Merkel erneut Zeugin von wundersamen Patentlösungen. Die von Präsident Álvaro Uribe beschriebene Umschulung von 60 000 Koka-Kleinbauernfamilien zu Waldhütern imponierte der Kanzlerin. »Vielleicht könnte Deutschland eine wichtige Rolle beim Übergang des Drogenanbaus hin zu neuen Aktivitäten spielen«, sagte Merkel. Ob das Bundesforstamt dann aktiv an der von Uribe für dieses Jahr angekündigten »Vernichtung von einigen 100 000 Hektar illegalen Anpflanzungen« in den Andentälern teilnehmen wird, bleibt dagegen abzuwarten. Doch statt mit Eichen wird wohl in Kolumbien eher mit Ölpalmen aufgeforstet werden. Bereits vor zwei Jahren kritisierte die Journalistin Helda Martínez die ehrgeizigen Pläne der kolumbianischen Regierung, die Biospritproduktion auf jährlich 645 000 Tonnen zu erhöhen, wenn nötig auch durch Rodungen und gewaltsame Vertreibungen.
Themen wie die Millionen kolumbianischen Binnenflüchtlinge und den bewaffneten Konflikt zwischen Paramilitärs, der Farc-Guerilla und dem Militär brachte Angela Merkel nur indirekt zur Sprache. Sie insistierte auf der notwendigen Entschädigung der »Opfer von Paramilitärs« und dem Aufbau einer unabhängigen Justiz. Dann unterzeichnete sie ein Abkommen zur Aufhebung der doppelten Exportbesteuerung und sagte, dass es schön wäre, wenn die deutsche Wirtschaft Garantien hätte, in den nächsten 20 Jahren »hier sehr gut investieren zu können«.
Eine solche, hier in Wunschform vorgetragene, »positive Beeinflussung der entwicklungspolitischen Rahmenbedingungen« in Lateinamerika findet sich als so erklärtes Ziel auch im vorigen Jahresbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Bundesregierung hat im derzeitigen Haushalt wieder mehr Mittel für deutsche Schulen und Vertretungen im südlichen Amerika bewilligt. Im Grundsatzpapier der Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft, mit dem Namen »Boomregion Lateinamerika«, das anlässlich der Reise der Kanzlerin veröffentlicht wurde, wird das Bild von einem Kontinent gezeichnet, der nur so nach schnellen deutschen Investitionen und Innovationen lechzt, um vor dem »asiatischen Rohstoffhunger« errettet zu werden.
Auf ihrer letzten Reiseetappe Mexiko wurde die »Umweltkanzlerin« am Sonntag (Ortszeit) erneut mit militärischen Ehren und offenen Armen empfangen. Über 1 000 deutsche Firmen sind im größten spanischsprachigen Land aktiv. »Neben dem Binnenmarkt von 108 Millionen Einwohnern ist Mexiko dank dem Freihandelsabkommen mit 43 Ländern auch als Exportplattform interessant«, schwärmte ein Mitarbeiter der deutsch-mexikanischen Handelskammer. Deutsche Unternehmen profitieren hier doppelt: Einige versorgen mexikanische Firmen mit Technik und Know-How, andere produzieren dank niedriger Stundenlöhne und Umweltstandards günstig in Mexiko. Auch hier stand auf dem Programm, die Handelskontakte und die guten Beziehungen zur konservativen Regierungspartei Nationale Aktion (Pan) zu intensivieren. Die CDU arbeitet seit Jahren mit ihrer mexikanischen »Partnerpartei« zusammen. Das nach der »Tortillakrise« immer noch hoch sensible Thema »Biosprit« kam während der Begegnung jedoch ausnahmsweise nicht zur Sprache.

Ebenso wenig wurde über Menschenrechte gesprochen, worüber man sich auch in Brasilien und Kolumbien dezent ausschwieg. »Schließlich treiben wir auch mit China Handel«, so der lapidare Kommentar eines Vertreters der Wirtschaftsdelegation. Das eigentliche Problem Lateinamerikas liege dagegen ganz woanders: »Das mediale Bild in Deutschland ist leider Gottes sehr stark geprägt durch Ausreißer, Protagonisten wie Hugo Chávez oder Evo Morales, die eben nicht typisch sind für Lateinamerika und die vielleicht auch in der Wahrnehmung in Deutschland den Blick auf die Möglichkeiten und Chancen auf dem Kontinent etwas verstellen. Die beiden wirken eben nicht gerade einladend auf das Wirtschaftspublikum.«