Das Urteil zu Guantánamo

Der dritte Anlauf

Das Urteil des Obersten Gerichts der USA zu Guantánamo bestätigt rechtsstaatliche Prinzipien, hat jedoch keine unmittelbaren Folgen.

Bedeutende Gerichtsentscheidungen werden in den USA nach den Namen der Kontrahenten benannt. Zumindest in dieser Hinsicht wird George W. Bush neben dem Guantánamo-Häftling Lakhdar Boumediene in die Geschichte eingehen, denn »Boumediene vs. Bush« ist eine solche Entscheidung. Nach vorangegangenen Prozessen in den Jahren 2004 und 2006 hat sich das Oberste Gericht erneut mit den Rechten der Gefangenen im US-Militärlager Guantánamo befasst und in der vergangenen Woche mit knapper Mehrheit entschieden, den noch etwa 270 dort Inhaftierten das Recht auf Habeas Corpus, also Schutz vor Inhaftierung ohne richterliche Prüfung, zu gewähr­leisten.
Erstmalig seit der Einrichtung des Lagers im Jahr 2002 wird die Haftprüfung durch ein Zivilgericht explizit garantiert. Die Anwälte der Gefangenen gehen davon aus, dass jeder eine derartige Petition stellen wird. Den Gerichten liegen bereits 100 Anträge auf Haftprüfung vor, die bislang nicht bearbeitet werden durften. Zweifelhaft ist nach dem Urteil auch die Legalität der 2006 begonnenen Prozesse vor Militärtribunalen. Bush scheint jedoch die Verfahren weiterführen zu wollen, vor allem den Prozess gegen Khalid Sheikh Mohammed, einen mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für die Anschläge vom 11. Septembers 2001.

Die Richter widersprachen der Ansicht der Regierung, dass die Exterritorialität Guantánamos eine entscheidende Rolle in der Frage der Gerichtsbarkeit spiele. Vielmehr müsse dort, wo die USA faktisch die Herrschaft ausübten, auch die Verfassung gelten. Das Recht auf Habeas Corpus ist ein Grundsatz der angelsächsischen Rechtsprechung, auf der das US-Recht teilweise beruht, und in der Verfassung verankert. Dieses Recht gilt nun auch für Menschen, die keine US-Bürger sind.

Theoretisch betrifft es alle Gefangenen der US-Sicherheitskräfte weltweit, etwa die Inhaftierten auf der US-Basis in Bagram in Afghanistan oder in black sites, geheimen Gefängnissen. Dass die meisten wohl auch in Zukunft von diesem Recht nicht Gebrauch machen können, zeigt die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit im »war on terror«.
Dass es hinsichtlich Guantánamo zu einem Urteil kam, das der Regierungspolitik widerspricht, liegt vor allem an der seit 2002 betriebenen Arbeit der Bürgerrechtsorganisationen und hunderter Anwälte aus den besten Kanzleien des Landes. Nach den Urteilen aus den Jahren 2004 und 2006, die ebenfalls Maßnahmen Bushs für illegal erklärten, war es dem Präsidenten gelungen, die Mehrheit des Kongresses für Gesetze zu gewinnen, die die Gerichtsentscheidungen faktisch außer Kraft setzten. Auch die erneute Bestätigung rechts­staatlicher Prinzipien dürfte den Gefangenen keinen unmittelbaren Nutzen bringen, denn das Gericht verfügte nicht ihre Freilassung, und es könnten Jahre mit juristischen Auseinandersetzungen vergehen, bis sie vor ein Zivilgericht gestellt oder entlassen werden. Der Druck auf Bush und seinen Verteidigungsminister Robert Gates, weitere Gefangene freiwillig zu entlassen, könnte allerdings steigen. In vielen Fällen ist das bereits geschehen, seit dem Urteil kursieren Gerüchte, dass bis zu 100 Gefangene aus dem Jemen in den nächsten Monaten repatriiert werden sollen.
Das Gefangenenlager Guantánamo wird wohl bis zum Amtsantritt des nächsten Präsidenten Anfang 2009 bestehen bleiben. Die beiden Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain befürworten die Schließung. Ob bzw. wie sie andere fragwürdige Praktiken im »war on terror« beenden wollen, haben sie bislang nicht verraten.