Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die Bundeswehr

Soldaten sind Führer

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme sperrt einen unbequemen Museumspädagogen.

Manche sprechen von Berufsverbot. Angesichts der prekären Vertragslage und den niedrigen Honoraren, von denen ohnehin kaum jemand le­ben kann, klingt das etwas hochtrabend. Passiert ist folgendes: Die Leitung der Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat die Zusammenarbeit mit einem freiberuflichen Museums­pädagogen aufgekündigt. Er hatte kritisiert, dass neuerdings Soldaten Besucher durch die Gedenkstätte führten. »Welchem Ziel soll die Bildungsarbeit in der Gedenkstätte dienen«, hatte er gefragt und der Gedenkstättenleitung mitgeteilt, dass er keine Gruppen der Bundeswehr mehr begleite – solange nicht eine Diskussion über diese Frage stattfinde.
Die Leitung ließ den Museumsführer kurzerhand beim Museumsdienst sperren. »Wenn ich Atheist bin, kann ich auch nicht sagen, dass ich keine Konfirmandenkinder mehr begleite«, sagt Wolfgang Stiller, der stellvertretende Leiter der Gedenkstätte. »Die freien Mitarbeiter können der Gedenkstätte keine Inhalte vorschreiben, und sie können keine Personalentscheidungen treffen«, fügt er hinzu. Sobald der Museumspädagoge deut­lich mache, dass er wieder für alle Gruppen zur Verfügung stehe, könne seine Sperre aufgehoben werden.
»Ich bin kein Totalpazifist«, sagt Olaf K., der in den vergangenen neun Jahren unzählige Gruppen über das Gelände führte – auch Bundeswehr­soldaten. Ein Höhepunkt in der umstrittenen Zusammenarbeit der Gedenkstätte mit der Bundeswehr sei aber erreicht worden, als Anfang Juni ein Soldat als Honorarkraft eingestellt wurde. Zu­vor hatten die freien Museumsführer eine Diskussion – gemeinsam mit den Überlebendenverbänden – über das Verhältnis der Gedenkstätte zur Bundeswehr gefordert, denn spätestens nach 1999, als Auschwitz als Legitimation für die Bom­bardierung Jugoslawiens diente, hätte sich die Gedenkstätte mit dieser Frage beschäftigen müssen.

In gewisser Weise hat sich die Leitung schon längst festgelegt. Regelmäßig finden Veranstaltungen mit der deutschen Armee statt. Die Gedenkstätte erwarte in der nächsten Zeit über 800 Bundeswehrgruppen, sagt Stiller. Im Herbst werde es wieder eine Tagung mit der Bundeswehr geben. »Aber natürlich wollen wir uns nicht vor den Karren spannen lassen, wenn es um die Legitimation von Kriegen geht«, betont Stiller.
»Leben mit dem Massengrab« lautete 2004 der Titel eines geplanten Vortrags, in dem ein Oberst der Bundeswehr über die psychologische Vorbereitung von Soldaten auf Auslandseinsätze berichten sollte. Der Protest einer antifaschistischen Gruppe verhinderte die Veranstaltung. Damit sei in der Öffentlichkeit Schaden von der KZ-Gedenkstätte abgewendet worden, sagt Fritz Bringmann, der von 1935 bis Kriegsende in den Konzen­trationslagern Fuhlsbüttel, Sachsenhausen und Neuengamme inhaftiert war. Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme (AGN), der Interessenvertretung der Überlebenden und ihrer Angehörigen. Beunruhigt wegen der Kündigung schrieb sie an die Gedenkstättenleitung: »Solange sich zudem Angehörige der Bundeswehr offiziell an Ehren- und Gedenkzeremonien für NS-Kriegsverbrecher in Mittenwald, am Ulrichsberg, auf Kreta, in Italien, Spanien, Frankreich und vor unzähligen Kriegsdenkmälern in der BRD beteiligen, sind die Traditionslinien von nationalsozialistischer Wehrmacht und Bundeswehr keinesfalls durchbrochen.«
Dass das deutsche Militär nun auch Personal in den Gedenkstätten stellt, bezeichnet eine freie Mitarbeiterin des Museumsdienstes als weiteren Tabubruch. Andere stößt dieser allerdings kaum mehr vor den Kopf. »Shifting baselines« nennen Psychologen diese Verschiebung der Maßstäbe. Beim ersten Mal ist die Empörung groß, es muss ein hoher argumentativer Aufwand betrieben werden. Beim zweiten Mal ist die Sache bereits eine Selbstverständlichkeit.