Serie über Serien: »Dallas«

Rinderranch ohne Nirvana

Serie über Serien. »Dallas« war so gesichtslos wie die achtziger Jahre.

Es gibt über den Inhalt der Serie eigentlich nicht viel zu sagen: Intrigen, Intrigen und noch einmal Intrigen; verantwortlich war dafür irgendwie immer der von Larry Hagman nachgerade als sein Alter Ego verkörperte J. R. – ältester Sohn von Miss Ellie und Jock Ewing und zugleich Chef des Familienunternehmens Ewing Oil. Meistens hing noch Kontrahent Cliff Barnes mit drin, und natürlich ging es dabei um Frauen, die freilich auch in die Kabalen involviert waren, nämlich vor allem die von Linda Gray gespielte Sue Ellen und die von Victoria Principal dargestellte Pamela. Situiert war die Handlung auf der Southfork Ranch im texanischen Dallas.
Den zu Texas gehörigen Stereotypen gemäß ist der immense in der Serie repräsentierte Reichtum über Ölgeschäfte und Viehzucht organisiert, obwohl es faktisch – wie für solche Serien ohnehin maßgeblich – keine soziale Struktur gibt, keine Gesellschaft und auch keine Ökonomie. Gleichzeitig gehört »Dallas« mit zu den erfolgreichsten Serien des US-amerikanischen Fernsehens – die Folge, die aufklärte, wer auf J. R. geschossen hatte, erreichte Rekordeinschaltquoten von über 50 Prozent; und man kann vermuten, dass die ARD maßgeblich wegen »Dallas« gegenüber den damals neuen Privatfernsehsendern konkurrenzfähig blieb.
Damals heißt: Die 1978 erstmals in den USA ausgestrahlte Serie kam im Juni 1981 ins bundesdeutsche Fern­sehen. Wie kaum ein anderes Fernsehereignis hat »Dallas« das Gesicht der achtziger Jahre geprägt; und dass von »Dallas« überdies nur wenige Bilder wirklich hängen geblieben sind, verweist wiederum auf die merkwürdig diffuse Gesichtslosigkeit der Achtziger. Insofern ist Dallas signifikant für die Physiognomie dieses postmodernen Jahrzehnts und hat mithin der Postmoderne selbst eine Gestalt gegeben.
Das fing schon mit der Titelmelodie, dem »Dallas Theme«, an: eine hymnische Fanfarenmelodie, die Weltwest-Atmosphäre verbreitet, untermalt von einem stampfenden Discobeat, in den schließlich Philly-Sound-mäßige Streicher einfallen. Dazu Bilder einer Welt, die in dieser Form nie existiert hat, außer in den Werbefilmen der Republikaner: Von 1981 bis 1989 war Ronald Reagan Präsident der Vereinigten Staaten. Dabei ist gar nicht mal die Kongruenz der Bilderordnung von »Dallas« und die der Politik der so genannten Reaganomics ausschlaggebend, sondern die hier transportierte und sich neu konstituierende Idee postmoderner Individualität, die eben die achtziger Jahre charakterisiert. Denn was die Serie zum Welterfolg machte, lässt sich nicht wirklich über das fiktive, realitätsferne Universum der Familie Ewing erklären, sondern über die Persönlichkeitskonfigurationen, die es ermöglichten, dass das Publikum sich mit den mannigfaltigen absurden Seriencharakteren identifizieren konnte. Vermutlich kam indes gerade dem anti-sozialen Intrigantischen ei­ne die Gesellschaft stabilisierende Funktion zu, denn neu war ja, dass Herrschaft oder – wie man in den Achtzigern auch schon mit Foucault sagte – Macht quasi strukturell unter die Gürtellinie rutschte.
Bedeutete das Gefühlsleben für das Bürgertum eine Art Restsolidarität gegen die von der Kapitallogik bestimmte Wirklichkeit, stellte die Fa­milie Ewing – die ja eben nur noch nominell eine Familie war – die postmoderne Emotionalität vor: Hasse deinen Nächsten wie dich selbst, könnte das von allen Seriencharakteren, aber vor allem freilich von J. R. propagierte neue Leitmotiv heißen. Und fast zwangsläufig konnte sich das nur im unerreichbaren Irgendwo der Southfork Ranch durchsetzen.
Gerade weil »Dallas« den Achtzigern eine post­moderne Physiognomie bedeutet, kann das so entstandene Ausdrucksbild unvollständig bleiben. Muss es vielleicht sogar. Man kann es paradox formulieren: Die Ewings und Barnes selbst haben von den Achtzigern nichts mitbekommen. Dass sich 1978, zum Serienbeginn, die Dead Kennedys formieren, und 1991, zum Serienende, Nirvana ihr Album »Nevermind« veröffentlichen, bleibt in »Dallas« vollkommen außen vor. Deshalb konnte aber »Dallas« auch nie zum Traumbild avancieren; damit flankiert die Serie aber auch die Wunsch- und Trostlosigkeit der achtziger Jahre. »Dallas« brac­h­­te für 45 Minuten Bedeutung ins Leben; Bedeutung, die in der eigenen Geschichte spurlos verschwunden ist. Und genau deshalb konnte »Dallas« zum Konsens einer konsenslosen Zeit werden und für viele – wie für mich – sogar eine wesentliche Säule der Sozialisation sein, ob­gleich dies – hoffentlich – ohne Folgen blieb.