Wird Steinmeier Kanzlerkandidat der SPD?

Der Schröderfischer

Frank-Walter Steinmeier steht für die »Agenda 2010« und den vermeintlich »ehrlichen Makler« ohne eigene Interessen in der Außenpolitik. Vielleicht wird er Kanzlerkandidat der SPD.

Es ist das Musterbeispiel einer selffulfilling prophecy: Nach der Landtagswahl in Hessen hatte der Vorsitzende der SPD, Kurt Beck, es plötzlich nicht mehr ausgeschlossen, mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten, weil sich Andrea Ypsilanti mit den Stimmen der »Linken« zur Ministerpräsidentin wählen lassen wollte. Bekanntlich scheiterte das Vorhaben am Widerstand aus den eigenen Reihen, und die bürgerlichen Medien erklärten daraufhin, Beck habe die Kontrolle über die Partei verloren und sei politisch erledigt. Heutzutage hat Kurt Beck schon deshalb kaum noch eine Chance, seine Autorität zurückzugewinnen, weil ihm die Autorität seitdem pausenlos abgesprochen wird.

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung, als Ende Juni Gerüchte aufkamen, in der Spitze der SPD stehe ein Umsturz bevor – angeführt von niemand geringerem als dem stellvertretenden Parteivorsitzenden, dem Außenminister und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier. Welt online berichtete, Steinmeier bereite heimlich seine Kanzlerkandidatur vor, und der Spiegel wollte sogar wissen, dass »Vertreter des rechten Flügels« der SPD über einen »Putsch« berieten, der zum Ziel habe, »dass Steinmeier zeitgleich mit der Kanzlerkandidatur auch den Parteivorsitz übernimmt«. Lediglich die Parteilinke stehe weiterhin zu Beck – was wenig hilfreich erscheint, weil ihre Wortführerin Andrea Nahles wegen ihrer informellen Strategiegespräche mit Vertretern der Linkspartei selbst in der Kritik steht.
Zwischenzeitlich klangen die Berichte, als sei Steinmeiers Kandidatur bereits eine ausgemachte Sache, seine Wahl zum Parteivorsitzenden zumindest wahrscheinlich. Dann aber sprach der Außenminister selbst – und gab die Loyalität in Person: Selbstverständlich habe Beck als Parteivorsitzender das Recht, die Kanzlerkandidatur in Anspruch zu nehmen, sagte er dem ZDF, »sollte er es tun, werde ich ihn vorbehaltlos darin unterstützen«. Und die Putschpläne seiner Anhänger? »Kompletter Unsinn!« Nach diesem Dementi scheint es vorerst unwahrscheinlich, dass Steinmeier tatsächlich zum Angriff auf Beck übergeht. Aber lässt sich daraus schließen, die Berichte über seine Pläne seien nur überbewertete Gerüchte und er überließe dem amtierenden Parteivorsitzenden tatsächlich die Entscheidung? Das wohl auch nicht, denn der Imagewechsel, um den Steinmeier sich derzeit bemüht, kann kaum einem anderen Zweck dienen als der Vorbereitung auf einen Wahlkampf als Spitzenkandidat der SPD: Steinmeier, der dröge Bürokrat, die ewige Graue Eminenz, versucht sich neuerdings in der Rolle des charismatischen Alphatiers.

Geschaffen für diese Rolle ist er nicht gerade, denn Karriere gemacht hat er nicht als Vollblutpolitiker in den Seilschaften der Partei, sondern als Sachbearbeiter in den Hinterzimmern der Exekutive. Er begann als einfacher Referent in der niedersächsischen Staatskanzlei unter Gerhard Schröder, wurde von ihm mitgenommen nach Berlin und dort zunächst Geheimdienstbeauftragter der Bundesregierung, später zusätzlich der Leiter des Bundeskanzleramtes. Ein »Spezialist für die Innenhöfe der Macht«, schrieb die FAZ – was seine Rolle im Fall von Murat Kurnaz und dessen Gefangenschaft in Guantánamo einigermaßen präzise umschreiben dürfte. Als Steinmeier 2005 die Nachfolge von Joseph Fischer als Außenminister antrat, hatte er bereits sechs Jahre lang maßgeblich die Politik der Bundesregierung koordiniert, und doch war er in der Öffentlichkeit immer noch nahezu unbekannt.
Kaum jemand hätte es damals für möglich gehalten, dass ausgerechnet er sich anschicken würde, das Erbe Gerhard Schröders anzutreten, aber genau danach sieht es derzeit aus. In den vergangenen drei Jahren entwickelte sich Steinmeier vom großen Unbekannten zu einem der beliebtesten Politiker der Republik – derzeitigen Umfragen zufolge wird nur Bundespräsident Horst Köhler mehr Sympathie entgegengebracht. Dass Steinmeier regelmäßig vor den BND-Untersuchungsausschuss zitiert wird, scheint seiner Beliebtheit offenbar keinen Abbruch zu tun.
Auch die SPD will der Mann erobern. Auf dem Landesparteitag Ende Juni in Hannover stand er nicht mehr als mausgrauer Paragraphenreiter hinter dem Rednerpult und las vom Blatt ab, sondern lieferte eine Politshow ab – als Schröder­imitator in Hemdsärmeln und mit bierheiserer Stimme. »Wenn es darauf ankommt, wird wieder gekämpft, und dann können auch Wunder passieren«, tönte er in den Saal, und die Delegierten dankten ihm dieses Pathos mit Jubelstürmen. Hauke Jagau, der stellvertrende SPD-Vorsitzende von Niedersachsen, wollte danach nur noch eines: »Dass Frank-Walter Steinmeier Bundeskanzler wird.«

Dass Steinmeier solche Avancen nicht annimmt, sondern bis auf weiteres höflich dazu schweigt, dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen könnte es seiner Kandidatur schaden, wenn er sie mit einer Intrige begänne. Ein offener Putsch gegen Beck würde den Anschein von Chaos und Zerstrittenheit in der SPD nur noch verstärken. Zum anderen könnte die Stammwählerschaft der Partei noch weiter schrumpfen, wenn sich die SPD im Wahlkampf als reine Steinmeier-Truppe präsentierte. Steinmeier steht außenpolitisch für den »ehrlichen Makler«, den scheinbar interesselosen Mediator, eine Rolle, die er von Fischer abgeschaut hat, und innenpolitisch für die »Agenda 2010« von Gerhard Schröder. Er tritt auf wie eine Kreuzung aus den beiden Symbolfiguren der rot-grünen Regierung, und er weiß, dass er damit zwar die abtrünnig gewordenen Nostalgiker der ehemaligen »Neuen Mitte« zurückgewinnen kann, die klassische Wählerschaft der SPD aber noch weiter in die Arme der Linkspartei treibt.
Ein solcher Effekt wäre kaum zu vermeiden, übernähme Steinmeier nun allein die Macht in der SPD. Dem Dilemma entkommen könnte er nur mit einer innerparteilichen Vereinbarung: Beck müsste SPD-Vorsitzender bleiben, aber Steinmeier zum Kanzlerkandidaten ernennen. Als Neuauflage des siegreichen Duos Schröder/Lafontaine könnten sich die beiden dann einer Doppelstrategie bedienen: Steinmeier stünde für die »notwendigen Reformen«, Beck gibt unterdessen den Sozialonkel.
Tatsächlich hat die SPD nur dann eine Chance bei der nächsten Wahl, wenn sie beide Seiten ihrer Wählerschaft bedient, und das schafft weder Beck noch Steinmeier allein. Doch dass es ihnen zusammen gelingt, den Sieg von 1998 zu wiederholen, ist ebenso unwahrscheinlich – Angela Merkel ist nicht so unbeliebt wie damals Helmut Kohl, Oskar Lafontaine hatte nicht die sozialpolitische Konkurrenz gegen sich, und Gerhard Schröder war trotz seiner Reformpolitik immer ein Liebling seiner Partei – verglichen mit ihm wirkt Frank-Walter Steinmeier so sozialdemokratisch wie Guido Westerwelle.