Die Abschottungspolitik auf europäischer Ebene

Rein, raus

Die restriktive Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge wird vor allem auf europäischer Ebene vorangetrieben.

Otto Schily hat jüngst seinen Abschied aus der Politik angekündigt. Er hat ihn sich verdient, denn vor allem als Innenminister und Mitglied der rot-grünen Bundesregierung hat er die Welt ein bisschen verbessern können: »Seit Beginn meiner Amtszeit sind die Asylbewerberzahlen kontinuierlich zurückgegangen«, sagte er 2005. Dies sei auf die »erfolgreiche Politik« der Bundesregierung zurückzuführen, vor allem nämlich »haben wir durch unser internationales Engagement zur Stabilisierung zahlreicher Krisengebiete und zur Eindämmung von Flüchtlingsströmen beigetragen«.
Die Zahlen geben ihm Recht: Während 1992 noch 438 191 Personen einen Asylantrag in Deutsch­land gestellt hatten, lag diese Zahl im vergangenen Jahr bei 19 164 – ein Rückgang um mehr als 95 Prozent. Eine der Ursachen dafür ist die Grundgesetzänderung von 1993. Damit wurde einem Großteil der Flüchtlinge der Anspruch auf Asyl gänzlich entzogen. Flüchtlingsabwehr ist jedoch mit der Öffnung der europäischen Binnengrenzen nicht mehr nur eine Sache der Nationalstaaten, der gemeinsame freie Markt in Europa bedingt eine gemeinsame »Sicherheitspolitik«. Als Unsicherheitsfaktor werden dabei insbesondere diejenigen Menschen betrachtet, die nicht die rich­tige Staatsbürgerschaft besitzen.

So wurde bereits eine Vielzahl von Regelungen beschlossen, um das Asylrecht und das Asylverfahren europaweit zu »harmonisieren«. Für die Situation der Flüchtlinge verlaufen diese Entwicklungen freilich alles andere als harmonisch. Die Staaten einigten sich bislang vor allem auf solche Regelungen, die die Möglichkeiten von Flüchtlingen auf ein Minimum reduzieren und die Repressionen gegen sie verschärfen. So gilt weiterhin europaweit nur derjenige als asylberechtigt, der politisch verfolgt ist, für »Wirtschaftsflüchtlinge« gibt es in Europa keinen Zutritt. Mit der kürzlich beschlossenen Abschieberichtlinie können Menschen 18 Monate in Haft genommen werden, bevor man sie in ihr Herkunftsland abschiebt. Die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, wird durch die europäische Zusammenarbeit weiter eingeschränkt. Die so genannte Dublin-II-Verordnung regelt, welcher europäische Staat für die Behandlung eines Asylantrags zuständig ist. Das Motto lautet: »One chance only« – Flüchtlinge dürfen nicht auf dem Wege des »Asyl-Shoppings« in mehreren Staaten ihr Glück versuchen, sondern in der Regel nur in dem Staat einen Antrag stellen, den sie zuerst betreten haben.
Dies führt dazu, dass Flüchtlinge den Antrag vor allem in den Grenzländern der EU stellen, wo sie teilweise unter besonders miserablen Bedingungen leben müssen. Der deutsche Staat kann aufgrund dieser Regelungen Flüchtlinge beispielsweise nach Griechenland zurückschieben, wo ein Großteil der Flüchtlinge sofort nach der Ankunft inhaftiert wird; anderen wiederum droht die Obdachlosigkeit, da der griechische Staat keine ausreichende Unterbringung gewährleisten kann. Darüber hinaus ist die Chance einer Asyl­anerkennung vor allem in den ost- und südeuropäischen Grenzländern der EU besonders gering. In der Slowakei etwa wurde selbst während der Kämpfe in Tschetschenien nur ein Prozent aller Flüchtlinge aus dieser Region anerkannt.
Um die Flüchtlingsströme nach Europa zu verringern, findet eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitstaaten von Flücht­lingen statt. Die EU hat bereits 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um sich an der Einrichtung so genannter heimatnaher regionaler Schutzzentren außerhalb der EU zu beteiligen. In diesen Lagern sollen die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa »aufgefangen« und aus Europa abgeschobene Menschen aufgenommen werden, um sie zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu zwingen. Bei diesem Vorgehen zeigt sich unter anderem Libyen besonders kooperationsbereit und nimmt in regelmäßigen Abständen kollektive Abschiebungen der Inhaftierten vor, viele Flüchtlinge werden auf Lastwagen verbracht und mitten in der Wüste jenseits der Grenze ausgesetzt.

Als Herzstück der europäischen Flüchtlingspolitik wurde 2004 die »Grenzschutzagentur« Frontex gegründet. Die in Warschau ansässige Behörde fungiert als Bindeglied zwischen den europäischen Staaten und hat bereits mehrere »Grenzschutzoperationen« an den Außengrenzen organisiert. Schwerpunkte der Tätigkeiten waren bislang das Mittelmeer und die Kanarischen Inseln. Nach Auskunft der Behörde wurde 2007 die Flucht von fast 20 000 Menschen »unterbrochen«. Welchen Weg diese Flüchtlinge dann genommen haben, ist unbekannt.
Im Februar dieses Jahres hat der damalige EU-Kommissar für Inneres, Franco Frattini, die Zukunftspläne des europäischen Grenzregimes vorgestellt. »A comprehensive vision for an integrated European border management system for the 21st century«, so der viel sagende Titel der Überlegungen, die vor allem eine Erweiterung der Befugnisse von Frontex vorsehen. Die Behörde soll bei Abschiebungen stärker einbezogen werden und eigens dafür auch Flugzeuge anschaffen. Wäh­rend man sich bei bisherigen Grenzeinsätzen von Frontex darauf beschränkte, dass Beamte verschiedener Mitgliedsstaaten miteinander kooperierten, wird für die Zukunft nicht ausgeschlossen, dass die EU sich ein eigenes Grenzschutzkorps zulegt. Zudem wird gerade ein europäisches Grenzüberwachungssystem aufgebaut, in dem nationale Überwachungstechniken vernetzt werden und der Einsatz von Satelliten, Radar und Drohnen den Grenzschutz verbessern soll. Um eine noch umfassendere Kontrolle über die Einreise nach Europa zu erlangen, plant die Kommission schließlich ein so genanntes entry/exit-System, mit dem die Ein- und Ausreise aller Nicht-EU-Bürger dokumentiert und vor allem die Identifizierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus verbessert werden soll.
Die »Festung Europa« existiert indes bisweilen nur als Zukunftsvision. Die Technisierung der Kontrolle und die Aufrüstung an den europäischen Außengrenzen haben bislang in erster Linie dazu geführt, dass sich die Flüchtlinge längere und gefährliche Wege gesucht haben, um den Kontrollen zu entgehen. Allein auf der Route von Westafrika zu den Kanarischen Inseln sterben jährlich bis zu 10 000 Menschen. Denjenigen, die dennoch den Weg nach Europa schaffen oder ursprünglich legal eingereist waren, bleibt aufgrund des restriktiven Asylsystems oftmals nur der Weg in die Illegalität. Allein in Deutschland leben ungefähr 1,5 Millionen Menschen ohne Papiere. Trotz mehrerer Legalisierungskampagnen der Zapatero-Regierung ist in Spanien derzeit immer noch, beziehungsweise wieder, rund eine Million Menschen ohne Papiere in der Landwirtschaft tätig.
Indessen wurde die Reihe der Kritiker der europäischen Flüchtlingspolitik um einige illustre Gestalten erweitert. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez, der sich gern als Rächer der Armen und Schwachen in Szene setzt, nutzte die neue Abschieberichtlinie, um den europäischen Staaten in den vergangenen Wochen mit einem Ölboykott zu drohen. Evo Morales, Präsident Boliviens, und einige andere südamerikanische Staatschefs pflichteten ihm bei. Dass Politik derart einfach ist und sich die europäische Politik von solchen Drohungen beeinflussen lässt, ist jedoch nicht zu vermuten.