Genitalverstümmelung in Deutschland

Verstümmelt in den Ferien

Mehr als 4 000 Mädchen in Deutschland droht eine Genitalverstümmelung. Um die Täter besser verfolgen zu können, fordert die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes, dass die weibliche »Beschnei­dung« ins Strafgesetzbuch aufgenommen wird. Doch die Große Koalition weigert sich.

Ein »Schritt in die richtige Richtung« sei der Antrag zum Thema Genitalverstümmelung, den der Bundestag am vergangenen Donnerstag annahm, sagt Franziska Gruber, die Referentin für Genitalverstümmelung von Terre des Femmes (TdF). »Aber ein viel zu kleiner«, merkt sie an. Während SPD und CDU/CSU sich loben, bemängelt TdF, dass die brutale Verstümmelung nicht ausdrücklich ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll. »Das würde nicht nur mehr Rechtssicherheit schaffen, sondern auch ein starkes Signal senden«, sagt Gruber.

Mehr als 20 000 Mädchen und Frauen in Deutsch­land sind beschnitten, über 4 000 Mädchen droht eine Genitalverstümmelung, schätzt TdF. Diese Zahlen stellen die Untergrenzen dar, illegalisierte Migranten und Menschen, die mitt­ler­weile die deutsche Staatsbürgerschaft haben, sind nicht eingerechnet. Soll eine Tochter beschnit­ten werden, so geschieht das häufig in den Schul­ferien im Herkunftsland der Familie. Aber es gibt immer wieder den Verdacht, dass auch in Deutsch­land Genitalverstümmelungen vorgenommen werden. Eine Befragung von TdF, Unicef und dem Berufsverband der Frauenärzte ergab 2005, dass zehn Prozent der Frauenärzte von einer in Deutschland vorgenommenen Beschneidung gehört hatten. 0,6 Prozent wurden selbst gefragt, ob sie beschneiden würden. Mehrmals hat TdF Ärzte angezeigt, die Mädchen verstümmelt haben sollen. »Die Verfahren wurden aber immer aus Mangel an Beweisen eingestellt«, sagt Gruber, »die Zeugen waren nicht bereit auszusagen.« Dass die Koalition in ihrem Antrag nicht deutlicher geworden sei, zeige einmal mehr, dass die Frauen keine Lobby hätten.
Ein weitaus größeres Problem als ein fehlender Paragraph dürfte allerdings die Tabuisierung des Themas sein. Schon heute können Ärzte das Jugendamt oder die Polizei informieren, wenn eine beschnittene Frau zu ihnen kommt. Wenn sie Anhaltspunkte für eine drohende Verstümmelung sehen, kann das Jugendamt den Eltern sogar das Aufenthaltsbestimmungsrecht entziehen. Die Eltern dürfen dann mit ihren Kindern nicht mehr ausreisen. Dafür müssen die Ärzte allerdings ihre Schweigepflicht brechen. Und davor hätten viele zu große Angst, sagt Gruber. Auch dass einem Mäd­chen die Ausreise mit seinen Eltern verweigert wurde, habe es erst einmal gegeben. »2004 durfte ein Kind nicht nach Gambia, wo es von seiner Großmutter verstümmelt werden sollte«, berichtet die Mitarbeiterin von TdF.

Die Organisation fordert deswegen, dass die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder verpflichtend werden. Außerdem will TdF eine Meldepflicht für Ärzte, sobald sie in einer Vorsorgeuntersuchung feststellen, dass eine Frau beschnitten ist. »Denn dann sind auch die jüngeren Schwestern extrem gefährdet«, sagt Gruber. Ein generelles Problem sei, dass das medizinische Personal wenig über Genitalverstümmelungen wisse. »Ärzte müssen bei Frauen, die aus Ländern kommen, in denen verstümmelt wird, einfach verstärkt darauf achten. Wir wollen nicht, dass es vom Glück abhängt, ob eine Verstümmelung entdeckt wird«, sagt die Referentin.
Es bleibt noch die Möglichkeit, dass die Betroffenen selbst die Täter anzeigen. Der im Bundestag angenommene Antrag sieht vor, dass die Verjährungsfrist erst beginnt, wenn die Frauen volljährig sind. »Die Mädchen sind zum Zeitpunkt der Verstümmelung in der Regel minderjährig«, sagt Gruber, »sie stehen also in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Eltern. Die sind es aber, die die Verstümmelung in der Regel veranlassen.« Auch mit 18 Jahren bleibe es sehr schwierig, seine Eltern anzuzeigen. Doch die Mitarbeiterin von TdF ist zuversichtlich: »Erfahrungen in Frankreich zeigen aber, dass Mädchen das sehr wohl machen.«