Neue Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft

Optionskinderlein, kommet!

In diesem Jahr werden erstmals einige Tausend 18jährige aufgefordert, sich in den nächsten fünf Jahren zwischen der deutschen Staatsbürgerschaft und der ihrer Eltern zu entscheiden. Die SPD, die das so genannte Optionsmodell miterfunden hat, diskutiert über seine Abschaffung.

»Ihr seid hier zu Hause!« will die Integrations­beauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), den Kindern von Migranten zurufen. Sie wünscht sich, dass sich die »Optionskinder« für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden. Gemeint sind Kinder, die derzeit im Besitz von zwei Pässen sind, aber in den nächsten fünf Jahren einen von beiden abgeben müssen.
Zur Erinnerung: Die damals noch junge rot-grüne Bundesregierung wollte im Jahr 1999 das auf der Blutsverwandtschaft beruhende Staatsbürgerschaftsrecht grundlegend umgestalten und sich damit mächtig in Szene setzen. Kinder, deren Eltern aus anderen Staaten nach Deutschland eingewandert waren, und langjährig in Deutschland lebende Menschen sollten die deutsche Staats­angehörigkeit erhalten, ohne auf diejenige ihres Herkunftslandes verzichten zu müssen. Damit sah Roland Koch seine Chance für die Landtagswahl in Hessen gekommen und tat sich selbst mit der Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und einem rassistischen Wahlkampf par excellence hervor. Koch wurde hessischer Ministerpräsident, und es wurde einmal mehr offenbar, dass man in Deutschland mit Rassismus große Zustimmung erhält.

Rot-Grün war im Bundesrat auf die Stimmen der FDP angewiesen. Am Ende gab es beim Thema Staatsbürgerschaftsrecht einen komplizierten Kom­promiss. Demnach erhalten alle seit dem Jahr 2000 neu geborenen Kinder ausländischer Eltern zunächst die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn der Vater oder die Mutter seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt. Haben die Kinder mit der Geburt allerdings zugleich die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes ihrer Eltern bekommen, müssen sie sich bis zu ihrem 23. Lebensjahr für einen Pass entscheiden. Weiterhin enthielt das neue Gesetz eine Übergangsregelung, nach der auch Kinder im Alter bis zehn Jahre auf Antrag der Eltern zusätzlich den deutschen Pass erhalten konnten. Für Zehntausende von eingebürgerten Erwachsenen bedeutete das Gesetz eine Verschlechterung, da sie zuvor häufig ohne Probleme ihre alte Staatsbürgerschaft erneut beantragt und erhalten hatten.
Als »bürokratisches Monstrum« wurde die Gesetzesänderung damals von vielen Seiten bezeichnet. Was sie bedeutet, werden in diesem Jahr die ersten 3 300 Heranwachsenden an ihrem 18. Geburtstag zu spüren bekommen: Die Meldeämter fordern sie auf, sich in den nächsten fünf Jahren zu entscheiden, welchen Pass sie behalten wollen.
Es wird für sie einer der ersten Kontakte mit den deutschen Behörden sein. Mit ihrer »Loyalität zum deutschen Staat« haben sie sich höchst wahrscheinlich bis dahin noch nicht auseinandergesetzt. Eine größere Rolle bei der Entscheidung spielt da wohl schon eher die eigene berufliche Zukunft, wie Kenan Araz vom »Aktionsbüro Einbürgerung« in Bochum berichtet: »Die Jugendlichen machen sich vor allem Gedanken über ihre Ausbildung und einen Job«, sagte er im Gespräch mit der Jungle World.

Aus diesem Grund werden sich einige der Betroffenen für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden oder aber die Entscheidung zunächst ein­mal hinausschieben. Jedoch kann auch die Entlassung aus der anderen Staatsbürgerschaft mit erheblichen Problemen verbunden sein. Dazu zählen neben möglichen familiären Konflikten vor allem rechtliche Aspekte. So ist eine Entlassung aus der afghanischen Staatsbürgerschaft nur schwer möglich, daneben kann der Verzicht auf eine Staatsangehörigkeit etwa dazu führen, auf das Erbe der Großeltern verzichten zu müssen. Zwar sieht das Gesetz für solche Fälle eine Ausnahmebestimmung vor. Ein Ausnahmefall will aber erst bewiesen werden, was eine zusätzliche bürokratische Hürde für die Betroffenen bedeutet. Hat man den Pass aus dem Herkunftsland der Eltern aufgeben können, kann auch dies zu Unannehmlichkeiten führen. Will man etwa die dortigen Verwandten besuchen, muss man unter Umständen jedes Mal ein aufwändiges Visumsverfahren durch­laufen.
Ungefähr 50 000 Heranwachsende werden in den nächsten zehn Jahren mit diesen und weiteren Problemen konfrontiert werden. Die Zahlen und Fakten sind nicht neu, nichtsdestotrotz scheinen Politiker der SPD derzeit erstmals davon Kenntnis zu nehmen, nachdem in den vergangenen Wochen vor allem türkische Verbände wiederholt auf die Problematik aufmerksam gemacht haben: »Die türkischen Verbände haben völlig Recht damit, dass die Optionspflicht für junge Erwachsene mit Doppelpass dringend auf den Prüfstand gehört«, sagte der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy. Dieter Wiefelspütz, im Jahr 1999 für die SPD wesentlich an der damaligen Reform des Staatsbürgerschaftsrechts beteiligt, bezeichnet das Optionsmodell mittlerweile als »Zumutung für die Kinder«. Die Sozialdemokraten versuchen allzu offensichtlich, vor den kommenden Wahlkämpfen jede Gelegenheit zu ergreifen, sich ihrer Klientel von der besten Seite zu zeigen. Und da gehören doch Menschen mit migrantischem Hintergrund traditionell dazu. Zynisch wird das alles jedoch angesichts der Vielzahl von Gesetzesverschärfungen, die die Partei in den vergangenen Jahren beim Ausländer- und Asylrecht mitgetragen hat.

Die angestoßene Diskussion ist denn auch mehr eine Steilvorlage für die Unionsparteien, um mal wieder völkisch-national zu argumentieren. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach, sagte: »Viele werden sich nicht entscheiden wollen und die Rechtsfolgen nicht klaglos akzeptieren.« Da es für ihn ein unhaltbarer Zustand ist, dass Menschen staatliche Entscheidungen nicht einfach hinnehmen, fordert er im Namen seiner Partei, zum alten Staatsangehörigkeitsrecht zurückzukehren. Obwohl ihm der Zwang, sich für eine Staatsbürgerschaft entscheiden zu müssen, doch eigentlich gefallen sollte, fürchtet er um die Einheit des deutschen Volkes. Es könne »eben keine doppelte Loyalität bei der Staatsbürgerschaft geben«, so Bosbach.
Dem scheint auch nicht zu entgegenzustehen, dass in vielen Staaten weltweit und auch in Deutschland die Mehrstaatlichkeit keine Seltenheit mehr ist. Bereits jetzt erfolgt in Deutschland fast jede zweite Einbürgerung von Erwachsenen, obwohl die Betreffenden noch einen anderen Pass besitzen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass das ansonsten recht restriktive Staatsbürgerschaftsrecht für Bürger aus EU-Staaten zahlreiche Privilegien vorsieht.
Es passt jedoch weiterhin nicht in das national-konservative Weltbild vom »Herr-Knecht-Verhältnis« zwischen Staat und Bürger, dass Menschen zwei Staatsangehörigkeiten besitzen. Noch weniger passend ist es da, dass Menschen dem »Volke« angehören, ohne urdeutschen Ursprungs zu sein, was auch immer das heißen mag. Dieses Weltbild muss immer mal wieder aufgefrischt werden – um der Identitätsbildung der »deutschen Nation« willen.