Halber Lohn und zehntausende Entlassungen bei General Motors

Arbeiten für den halben Lohn

General Motors, der größte Autokonzern der USA und ein Symbol für das Land als industrielle Großmacht, fährt hohe Verlus­te ein. Zehntausende Angestellte sollen gehen, Neueingestellte erhalten nur noch den halben Lohn, die Krankenversicherung wird der Gewerkschaft übertragen.

Ausgerechnet im 100. Jahr nach der Gründung des Unternehmens bei den Autoverkäufen hinter Toyota zurückzufallen, war sicher unerfreulich für die Manager von General Motors. Doch es kam noch schlimmer. Anfang Juli musste die Unternehmensführung Gerüchte dementieren, der Autokonzern stünde kurz vor der Pleite. Wegen der gestiegenen Benzinpreise sinken die Absatzzahlen. Der Opel-Mutterkonzern aus Detroit bietet, wie Ford und Chrysler, überwiegend Modelle mit hohem Benzinverbrauch an, doch viele Amerikaner verzichten nun auf den Hummer und kaufen lieber einen Kleinwagen der japanischen Konkurrenz.
Als der Verteidigungsminister und ehemalige GM-Direktor Charles E. Wilson sich 1953 vor einem Senatsauschuss dafür rechtfertigen musste, dass er Aktien von GM besaß und dem Unternehmen Aufträge zukommen ließ, sagte er: »Jahrelang dachte ich, was gut für das Land ist, ist gut für General Motors und umgekehrt.« In der Version »Was gut ist für General Motors, ist gut für Amerika« wurde seine Aussage zum Motto des »American Way« in der Sozialpolitik: Löhne in einer Höhe, die es auch Arbeitern ermöglichen, sich ein Haus und einen Cadillac zu kaufen und eine soziale Absicherung durch Unternehmensfonds, die für Arztrechnungen und Pensionen aufkommen.

Schon immer war ein großer Teil der Lohnabhän­gigen von diesem System ausgeschlossen. Nun aber gilt es auch den Großkonzernen als nicht mehr hinnehmbare finanzielle Belastung. GM ver­buchte im vergangenen Jahr mit 38,7 Milliarden Dollar den größten Verlust seiner Geschichte, und eine Aktie des Unternehmens war in der vergangenen Woche nicht mehr wert als zur Amtszeit Wilsons. Der Kurs fiel von 50 auf neun Dollar.
Mitte Juli legte die Konzernleitung einen drastischen Sanierungsplan vor, der 15 Milliarden Dollar einsparen und GM bis 2010 wieder in die Gewinnzone bringen soll. Die Investoren waren erfreut, der Aktienkurs stieg wieder, doch für die Beschäftigten hatte GM keine guten Nachrich­ten. Konzernchef Rick Wagoner verkündete, dass der Stellenabbau diesmal vor allem die Angestell­ten in der Verwaltung betrifft, deren Zahl um 32 000 reduziert werden soll, um die Personalkosten um 20 Prozent zu senken. Alle Konzernteile und GM-Marken würden derzeit einer Überprüfung unterzogen und stehen, außer Cadillac und Chevrolet, potenziell zur Disposi­tion. Kurz darauf mehrten sich die Gerüchte, dass der Verkauf der Marke Hummer bereits beschlossen sein soll. In Zukunft will der Konzern sich stärker auf das Kleinwagengeschäft konzentrieren.

Man würde vermuten, dass die Gewerkschaft der GM-Beschäftigten, die United Auto Workers (UAW), Sturm läuft. Doch die ehemals so militante UAW, die unter anderem 1937 beim legendären Streik im GM-Werk in Flint den besetzten Betrieb gegen die Polizei verteidigte, handelt nun nach dem Motto: »Was gut ist für General Motors, ist auch gut für die Beschäftigten.« Die Ge­werk­schaftsführung hat sogar einige Details des Sparplans zusammen mit dem Management erarbeitet.
»Die UAW hat sich in eine Gewerkschaft verwandelt, die keine andere Strategie kennt, als dem Unternehmen zu helfen«, sagt Mike Parker, langjähriges Mitglied der Gewerkschaft. Diese Strategie hat der UAW bislang nur Niederlagen eingebracht. Zuletzt im Mai beim Unternehmen American Axle & Manufacturing (AAM), einem Zulieferer von General Motors, wo die UAW einen elfwöchigen Arbeitskampf verloren hat und die Beschäftigten nun Betriebsschließungen und Lohn­kürzungen um 50 Prozent hinnehmen müssen. Die Gewerkschaft hat in den vergangenen Jahren nicht nur ein Zugeständnis nach dem anderen gemacht, hat Stellenabbau, Lohnkürzungen und Werksschließungen hingenommen, sondern von General Motors sogar den Krankenversicherungsfonds übernommen.
Im vergangenen Oktober hat die UAW im Rahmen eines neuen Tarifvertrags der Einrichtung eines von der Gewerkschaft zu verwaltenden Kran­kenversicherungsfonds zugestimmt. Diese »Voluntary Employee Beneficiary Association« (Veba) soll von 2010 an die Krankenversicherungsverpflichtungen für die rund 340 000 GM-Betriebsrentner und deren Angehörige übernehmen. GM verpflichtete sich, 46,7 Milliarden Dollar einzuzah­len und noch bis 2010 für die anfallenden Krankenversicherungskosten aufzukommen.

Ein Konzern, der die Zahl der Beschäftigten reduziert, möchte nicht noch jahrzehntelang für deren Gesundheitsversorgung aufkommen. Die Beschäftigten hingegen müssen befürchten, dass sie bei einer Unternehmenspleite den Versicherungsschutz verlieren. Das Ergebnis der Verhand­lungen nützt jedoch allein dem Konzern. »Nur GM hat einen guten Deal damit gemacht«, sagt Mike Parker. »Ein Krankenversicherungsfonds für Rentner ist eine extrem kostspielige, riskante Sache, und GM hat es nicht geschafft, den Fonds gewinnbringend einzusetzen. Was sie nun gemacht haben, ist, der Gewerkschaft den Fonds auf­zubürden und zu sagen: OK, wir geben euch das Geld, macht was draus.«
GM ist nicht das erste Unternehmen, das einen Veba-Fonds einrichtet, doch zweifellos das größte. Weitere Großunternehmen haben nun ähnliche Maßnahmen angekündigt. Das Hauptargument, um den Beschäftigten diese Maßnahmen schmackhaft zu machen, war der Schutz ihrer Versorgungsansprüche im Fall eines Bankrotts. Doch auch der Fonds kann bankrott gehen. Die 1998 eingerichtete Veba des Maschinenherstellers Caterpillar ging nach sechs Jahren Pleite und die ehemaligen Beschäftigten, die ohne Krankenversicherung in Rente gehen, verklagen das Unternehmen derzeit auf Schadensersatz.
Dass dies auch für den Veba-Fonds der UAW nicht unwahrscheinlich ist, wird in der derzeitigen Krise deutlich. Die Gewerkschaft hat sich nämlich unlängst dazu bereit erklärt, GM zu unterstützen und einen Aufschub für die Einzahlung von 1,7 Milliarden Dollar in den Fonds zu ge­währen. Damit räumt sie GM im Prinzip einen Kredit ein, obwohl dies den Veba-Regelungen zufolge nicht möglich ist, denn der Fonds ist rechtlich dazu verpflichtet, im Interesse seiner Versicherten zu handeln.
Für eine noch größere Fehlentscheidung hält Mike Parker die ebenfalls im vergangenen Jahr von der Gewerkschaft zugestandene Einführung eines zweiteiligen Lohn- und Prämiensystems, das langjährig Beschäftigte schützt, Neueingestell­te jedoch weitaus schlechter stellt. Derzeit erhalten langjährige GM-Arbeiter durchschnittlich einen Nettolohn von 28 Dollar pro Stunde, rechnet man Renten- und Krankenversicherung dazu, kommt man auf einen Bruttolohn von 78 Dollar. Neueingestellte sollen nur noch 14 bis 16 Dollar bekommen, ihr Bruttolohn soll 25 Dollar nicht übersteigen. Umfangreiche Sozialleistungen sollen nur noch für langjährige Beschäftigte gelten, Neueingestellte erhalten eine »Basisunter­stützung« für die Krankenkasse, die betriebliche Rentenvorsorge würde jedoch völlig entfallen. Seit einigen Jahren schon bietet der Konzern seinen 74 000 Arbeitern einen frühzeitigen Ausstieg an, um Plätze für niedriger bezahlte Beschäftigte frei zu machen.
»Die UAW hat damit einen Krebs in der eigenen Organisation geschaffen. Man kann keine So­lidarität in einer Zweiklassenarbeiterschaft er­war­ten, die man selber kreiert hat«, sagt Parker. Einen Streik zu organisieren, dürfte in Zukunft schwie­riger werden, selbst wenn die Gewerk­schafts­­führung sich noch einmal dazu aufraffen könnte.