Bomben vor der Beratung

­Vergangenen Sonntag de­to­nierte in einer belebten Straße im Istanbuler Stadtteil Güngören zunächst eine Bombe, die mehrere Menschen verletzte. Zahlreiche Passanten eilten herbei, um den Verletzten zu helfen. Etwa zehn Minuten später wurde der zweite, weitaus größere Sprengsatz gezündet, offenbar um möglichst viele Menschen zu töten. Inzwischen ist die Zahl der Todesopfer auf 17 gestiegen, 150 Menschen wurden verletzt. Bislang gibt es keinen verlässlichen Hinweis auf die Täter.
Für die türkischen Regierungspolitiker und die Massenmedien sind die Schuldigen aber bereits gefunden. »Das PKK-Massaker von Güngören« titelte am Montag eines der auflagenstärksten Massenblätter der Türkei, die Tageszeitung Hürriyet. Auch wenn bereits in der Vergangenheit Gruppierungen aus dem Umfeld der PKK zivile Ziele angriffen und die Organisation mit Aktionen in türkischen Städten drohte, will dieser Anschlag nicht so recht in das Schema passen, zumal im Arbeiterviertel Güngören besonders viele Kurden leben. Die PKK hat jede Verantwortung dementiert. »Dieses dunkle Ereignis hat keinerlei Verbindungen zum Kampf der Kurden für Freiheit«, erklärte der Leiter der politischen Sektion der Organisation, Zubeyir Aydar.
Der Anschlag ereignete sich am Vorabend der Beratungen des türkischen Verfassungsgerichts über ein mögliches Verbot der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP. Der gemeinsame Verweis auf einen äußeren Feind könnte geeignet sein, die Spaltung zwischen der kemalistischen Oligarchie und den nationalreligiösen Newcomern von der AKP zu überdecken. Das Urteil des Verfassungsgerichts wird bis zum Ende der Woche erwartet. rw