Alltägliche rechte Gewalt in und um Mittweida

Das bisschen Terror

Die Kameradschaft »Sturm 34« ist verboten, aber gewalttätige Neonazis treiben weiter ihr Unwesen in der Gegend um Mitt­weida. Zuletzt brannte ein Punktreff, und mehrere Menschen wurden angegriffen.

An einem späten Donnerstagabend sitzen ein paar Freunde im sächsischen Rochlitz in einer Woh­nung zusammen. Eine Viertelstunde vor Mitternacht klopft es an der Wohnungstür. »Ich öffnete die Tür nur einen kleinen Spalt, schon bekam ich einen Faustschlag ab«, sagt der Wohnungsinhaber später. Eine Gruppe Vermummter dringt ein, schlägt mit Zaunlatten auf ihn ein und versprüht CS-Gas. »Ich hatte Glück. Es ist nur ein Kratzer am Ohr.« Die Freunde leisten Gegenwehr. Das Ganze dauert zwei Minuten, dann fliehen die Angreifer und sprühen noch einmal CS-Gas hinter sich. »Sie hatten wohl nicht mit so vielen Leuten in der Woh­nung gerechnet«, vermutet einer der Zeugen.
Zur gleichen Zeit geht ein Anruf bei der Polizei ein. Auf dem Dach der »Alten Schmiede«, des Treffpunkts der regionalen Punkszene, brennt es. Die Nachbarn vom Technoclub »Szene« löschen den durch zwei Molotowcocktails ausgelösten Brand mit ihrem Feuerlöscher. »Die hatten ein Auto mit ausgeschaltetem Licht davonfahren sehen, dann sahen sie das Feuer bei uns«, erzählt eine Frau aus der Schmiede.
Wenig später, noch in der Nacht zum 18. Juli, nimmt die Polizei im 16 Kilometer entfernten Mittweida an einer Tankstelle sieben Tatverdächtige fest, die mit zwei Autos unterwegs sind. Zwei dieser Personen sitzen derzeit noch in Untersuchungshaft, bei drei weiteren wurde der Haftbefehl gegen Auflagen ausgesetzt. Einer der Angegriffenen erzählt, er habe auf dem Polizeirevier mitgehört, dass die Beamten in einem Auto der Tatverdächtigen eine Schreckschusspistole, einen Benzinlappen und einen Schal, mit dem sich einer vermummt haben könnte, gefunden hätten.

Seit über drei Jahren erlebt die sächsische Region zwischen Muldental und Chemnitz besonders häufig Nazigewalt. Es vergeht kaum ein Wochenende ohne Überfälle oder Übergriffe. Im April 2007 verbot der sächsische Innenminister Albrecht Buttolo die Mittweidaer Kameradschaft »Sturm 34«. Die Vereinigung bestehe aus einem engeren Mitgliederkreis von ca. 40 bis 50 Personen sowie rund 100 Sympathisanten, hieß es damals aus dem Ministerium. Am Landgericht Dresden läuft derzeit ein Verfahren gegen sechs Mitglieder wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Einer der Angeklagten offenbarte sich als Informant des polizeilichen Staatsschutzes, Verbindungen führender regionaler NPD-Leute zum »Sturm 34« wurden bekannt. Am 18. August soll das Urteil ge­sprochen werden.
Auch der überfallene Rochlitzer stand als Zeuge vor dem Landgericht. Er war dabei gewesen, als mutmaßliche Mitglieder der Kameradschaft im Juni 2006 ein Dorffest nahe Rochlitz stürmten und Gäste zusammenschlugen. In seiner Aus­sage vor Gericht belastete er den als Rädelsführer angeklagten Tom W. Bereits zwei Tage vor dem Überfall auf seine Wohnung hatte eine Gruppe Vermummter bei ihm vor der Tür gestanden. Und das war nicht alles. »Molli in den Dachstuhl, dann ist das Ding gegessen«, hatte sein Nachbar vor einiger Zeit jemanden vorm Haus sagen hören.
Auch die »Alte Schmiede« war nicht zum ersten Mal das Ziel eines Angriffs. Im Mai 2007 wurden Leute direkt davor von Neonazis niedergeschlagen. Vor dem 1. Mai, der in diesem Jahr mit dem »Herrentag« zusammenfiel, hatten Nazis ebenfalls einen Angriff angekündigt. »Aber da war zu viel Vopo am Start«, sagt einer der Punks.
Am Wochenende vor dem Brandanschlag waren 850 Leute zum »Ostpunkfestival« nach Roch­litz gekommen, um Bands wie Müllstation, Gleich­laufschwankung oder Schlepphoden zu sehen und auf dem Gelände zu zelten. »Ist ja auch klar, dass die Nazis nichts machen, wenn hier Festival ist, sondern das dann ein paar Tage später durch­ziehen«, sagt einer der Gruppe. »Meine Oma war ganz überrascht: ›Die ganze Stadt voller Bunter!‹« erzählt ein anderer. Die regionale Punkszene besteht seit den neunziger Jahren. Tödlicher Irrtum, eine Band aus der Gegend, schaffte es damals sogar auf einen der damals beliebten Deutschpunk­sampler der Reihe »Sicher gab es bessere Zeiten, aber dies war die unsere«.

In der Schmiede treffen sich die Punks seit der Jahrtausendwende. Lange Zeit vorher seien sie schon auf der Suche nach einem Gebäude gewesen und hatten bei der Stadtverwaltung angefragt. Aber erst ihre regelmäßigen Treffen auf dem Rochlitzer Marktplatz hätten den Ausschlag gegeben. »Wir saßen täglich da und haben gebrüht«, erzählt ein älterer Punk mit Rastas, der dabei war. Immer mehr Punks aus den umliegenden Dörfern seien zu den Trinktreffs gekommen. Irgendwann hatte die Stadtverwaltung ein Einsehen und versprach den Leuten ein Haus. »Ihr wisst sicher, warum ihr das hier kriegt?« habe ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung bei der Übergabe gefragt. »Weil das hier weit weg von der Innenstadt ist.«
Auseinandersetzungen mit Neonazis habe es auch zuvor an anderen Orten gegeben. Beispielsweise als es in Mittweida noch ein alternatives Jugendzentrum gab. »Allerdings hab’ ich das Gefühl, dass die Hemmschwelle, was Gewalt betrifft, jetzt viel niedriger ist«, sagt der ältere Punk.
Punk zu sein, garantiert auf dem Dorf oder in einer Kleinstadt nach wie vor die maximale Distanz zur restlichen Gesellschaft. Die kleinstädtischen Mikrokosmen halten Kontakt über Internetforen wie »Abgefuckt liebt Dich«, und an Wochenenden treffen sich die Gruppen auf Konzerten oder auf Demonstrationen. Organisierten Antifas bereiten die Punks Kopfzerbrechen, die sich Bierkästen schleppend auf den Weg machen zu Demonstrationen. »Manchmal ist Nihilismus nicht mehr niedlich – vom betrunkenen Zustand über sexistische T-Shirts bis zu homopho­ben Slogans gegen Nazis«, sagt ein Antifa.
David, der im zehn Kilometer von Rochlitz entfernten Geringswalde für die Partei »Die Linke« im Stadtrat sitzt, wechselt selbst gelegentlich die Haarfarbe und reist mit seinen Freundinnen und Freunden zu Spielen von St. Pauli. Er ist hier so etwas wie der politische Anwalt der linken Jugendlichen. Auch mit seinem Genossen, dem Geringswalder Bürgermeister Rainer Eckert, musste er sich schon streiten, als jener kaputte Scheiben, die Nazis zerschlagen hatten, den Punks anhängen wollte. Graffitis wie »Zecken Raus GW« sind in Geringswalde ebenso zu sehen wie wilde Plakate mit der Aufschrift »Destroy Fascism«.

Zwei Tage nach dem Überfall in Rochlitz wird in Geringswalde ein schwer behinderter Mann auf offener Straße von Nazis zu Boden geschlagen. David möchte etwas über die Hintergründe herausbekommen und die Familie besuchen. Der Mann erzählt, er habe dem Freund seines Sohnes helfen wollen, den die Nazis auf der Straße von seinem Moped gezerrt hatten. »Ich war als Blauhelm unterwegs«, lacht er mit verletztem Gesicht. Sein Sohn habe auch schon oft Ärger mit Nazis gehabt. »Weil er nun lange Haare hat oder was«, mutmaßt er. Die Familie sei 1976 aus Mittweida weg und in den Westen gegangen und seit drei Jahren wieder da, erzählt die Mutter. Am Anfang habe der in Offenbach geborene Sohn noch keinen sächsischen Dialekt gesprochen und sei deshalb angegriffen worden.
»Vor drei Jahren wurde ich auf einem Dorffest zusammengeschlagen, meine Brille zerkloppt«, erzählt der Sohn. Seither flogen nach seinen Angaben sieben Mal Steine von der Straße in sein Zimmer, zweimal wurden dabei die Scheiben zerschlagen. Auf dem Schulweg sei er von einem Auto angefahren und zudem noch geschlagen worden, doch das Verfahren wurde mangels Beweisen eingestellt. Dem Vater seien von den Nachbarn Feuerwerkskörper ans Auto gebunden und angezündet worden, als die Familie neu in der Stadt war. Die Polizei tue wenig, sagt dieser. »Im Gegenteil, es kommt einem so vor, als ob die das fördern.«