Wolfgang Schäubles Verständnis von Asylpolitik

Herein, wenn’s ein Christ ist

Wolfgang Schäuble hat ein Herz für irakische Flüchtlinge. Allerdings nur, wenn es nicht so viele sind und sie die richtige Religion haben. Und auch dann nur vorübergehend.

Wolfgang Schäuble ist nicht dafür bekannt, Kompromisse zu schließen oder gar die eigenen Vorstellungen aufzugeben, wenn es um die Flüchtlingspolitik geht. In der Vergangenheit haben er und sein Ministerium es allzu oft geschafft, auf europäischer Ebene die deutsche Linie durchzudrücken und dazu beizutragen, die Repressionen für Migranten zu erhöhen und den Schutz für Flüchtlinge zu verringern.
Beim Treffen der EU-Innenminister vorige Woche, wo es um die Flüchtlinge aus dem Irak ging, hat Schäuble einmal klein beigegeben. Das dürfte ihm jedoch deshalb nicht so schwer gefallen sein, weil er sich ausnahmsweise einmal für den Schutz von Flüchtlingen ausgesprochen hatte.

Bereits im April plädierte er überraschend großherzig dafür,irakische Flüchtlinge in Europa im Rahmen eines besonderen Hilfsprogramms aufzunehmen. Allerdings hatte seine Großherzigkeit Grenzen, beschränkte sie sich doch auf die Angehörigen der christlichen Minderheit, welche nicht viel mehr als fünf Prozent der irakischen Be­völ­ke­rung ausmacht. »Wir werden selbst aussuchen, wer zu uns kommen soll«, sagte er. Die christlichen Kirchen in Deutschland waren von dem Vorschlag trotz oder auch gerade wegen dieser Einschränkung begeistert. Als jedoch von der SPD Bedenken geäußert wurden, erweiterte Schäuble seinen Vorschlag auf alle religiösen Minderheiten, um sogleich zu betonen, dass »zwischen reli­giösen Minderheiten und Christen 99prozentige Deckungsgleichheit« herrsche.
Tatsächlich aber war und ist auch eine nicht geringe Anzahl nicht-christlicher Minderheiten im Irak erheblichen Verfolgungen ausgesetzt. Dazu zählen vor allem die etwa 500 000 Yeziden, die im Nordirak leben. Im vergangenen August wurden bei einem gezielten Bombenanschlag 350 Yeziden getötet. Für die wenigen der vormals im Irak lebenden Juden, die das Regime Saddam Husseins überstanden hatten, käme hingegen ohnehin schon jede Hilfe zu spät. Der Generalverdacht, dem sie ausgesetzt waren, mit den amerikanischen Truppen zu kollaborieren, führte dazu, dass die meisten von ihnen aus dem Irak flüchten mussten und jüdisches Leben dort kaum noch existiert.
Allzu offensichtlich wollte sich Schäuble mit seinem Vorschlag vor allem bei der christlichen Community beliebt machen. Einige seiner Parteikollegen hatten ihn zunächst unterstützt. So sprach sich Erika Steinbach (CDU), die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, im Mai nach einem Besuch einer CDU-Delegation im Irak dafür aus, mindestens 10 000 Christen aufzunehmen. Steinbach – ansonsten für ihren unermüdlichen Einsatz für ehemalige deutsche Flüchtlinge in Deutschland bekannt – steht damit exemplarisch für einen »Humanismus« christlich-konservativer Prägung. Man gibt sich Flüchtlingen gegenüber offen, wenn sie dem »richtigen Volk« oder zumindest Kulturkreis zugeschrieben werden können. Denn damit können zugleich Ressentiments gegenüber den »Völkern« geschürt werden, die für die Verfolgung der Christen verantwortlich gemacht werden.
Die CDU-Innenminister der Länder, in ihrer Funk­tion traditionell Hardliner, waren von Schäubles Vorschlag weniger begeistert. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann griff auf bekannte Argumentationsweisen zurück, als er davor warnte, Terroristen könnten »einen legalen Transfer nach Deutschland und in andere europäische Staaten dazu nutzen, ihre Leute bei uns einzuschleusen«. Daneben wurden aber auch christlich motivierte missionarische Erwägungen vorgeschoben, um die Aufnahme von Flüchtlingen zu verhindern. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte zwar, dass etwa die in München ansässige Gemeinde chaldäischer Christen »noch den ein oder anderen Flüchtling bei sich aufnehmen« könne, warnte aber zugleich, dass es im Hinblick auf den Irak nicht das Ziel sein könne, »dass das Christentum in dieser urchristlichen Region keine Zukunft mehr hat«.
Als schließlich einige seiner europäischen Kollegen ihre Ablehnung zu verstehen gaben, fiel es Schäuble nicht mehr schwer, sich für die ihm altbekannte Hardliner-Seite zu entscheiden und von seinem Vorschlag abzurücken. Ohnehin hätte dieser nur in einem unverbindlichen Appell an alle Mitgliedsstaaten der EU bestanden, eine schnelle Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge, die sich bereits in den Nachbarstaaten des Irak befinden, zu prüfen. »Schnelle Aufnahme« hätte in diesem Zusammenhang geheißen, dass sich die Staaten bis zum Herbst hätten Zeit lassen können.
Einigen konnten sich die Innenminister letzten Endes nur darauf, dass sie allesamt mit der irakischen Regierung und dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge Kontakt aufnehmen wollen, um zunächst einmal zu klären, »wie man den Flüchtlingen am besten helfen kann«. Diese nichtssagende Formulierung wird keinem einzigen Menschen helfen.

Bestärkt wurde der deutsche Innenminister in seiner Zurückhaltung unterdessen auch vom irakischen Premierminister Nuri al-Maliki höchstpersönlich. Bei einem Besuch in Deutschland in der vergangenen Woche sagte der Premierminister, die Sicherheitslage in seinem Land verbessere sich stetig und die Regierung sei bemüht, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Vor allem aber ging es ihm darum, kein »falsches Signal« zu senden. Denn al-Maliki hat ein großes Interesse daran, die Sicherheitslage im Irak nicht als zu dramatisch erscheinen zu lassen. Zum einen will er einen baldigen Abzug der ausländischen Truppen forcieren. Zum anderen wirbt er um Investitionen. Es gebe »großes Vertrauen« in die deutsche Regierung und deutsche Firmen, betonte er und dachte dabei wohl unter anderem an technologische Unterstützung bei der Ölförderung. Da macht es sich schlecht, wenn die Außenwahrnehmung des Landes vor allem von Gewalt und Attentaten geprägt ist.
Allerdings ist die Realität der irakischen Flüchtlinge eine andere als die des Premierministers. Denn tatsächlich sind nicht nur religiöse Minderheiten weiterhin von Übergriffen bewaffneter Gruppen bedroht. Insgesamt sind ungefähr 4,9 Millionen Iraker, fast 20 Prozent der Bevölkerung, auf der Flucht, die meisten ohne die Perspektive, demnächst in ihre Herkunftsorte zurückkehren zu können. Der Großteil dieser Menschen ist in die Nachbarländer des Irak geflüchtet, etwa eine Million nach Jordanien. Sie haben größtenteils keine Papiere und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, von Bildungsmöglichkeiten ganz zu schweigen. Beinahe zwei Millionen Menschen sind außerdem innerhalb des Irak auf der Flucht, was die Infrastruktur mancher Städte völlig überfordert. Die zentralirakische Stadt Kerbala meldete jüngst, dass sie die Ernährung aller Flüchtlinge nicht mehr gewährleisten könne.

Vor diesem Hintergrund wäre der ursprüngliche Vorschlag Schäubles ohnehin nicht besonders hilfreich gewesen. Für den Großteil der Flüchtlinge sieht sich die deutsche Politik sowieso nicht zuständig: »Für mus­limische Flüchtlinge ist stärker das Engagement islamisch geprägter Länder gefragt«, sagte Schäuble, und auch Joachim Herrmann meinte zu wissen, dass Muslime genügend Möglichkeiten hätten, in islamischen Ländern Zuflucht zu finden.
Irakischen Flüchtlingen, die nach Deutschland wollen, bleibt vorläufig allein das übliche ausländerrechtliche Instrumentarium. Seit Beginn des Krieges vor fünf Jahren wurden in Deutschland gerade einmal 72 000 Menschen aus dem Irak aufgenommen. Viele von ihnen mussten längst wieder zurückkehren. Diejenigen, die noch in Deutschland sind, leben teilweise mit einem äußerst unsicheren Aufenthaltsstatus, mehr als 9 000 von ihnen droht die Abschiebung.
Was die Sicherheitslage im Irak betrifft, so gilt offensichtlich nicht für alle Menschen der gleiche Maßstab. So heißt es in den Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes: »Deutschen Staatsangehörigen wird geraten, das Land zu verlassen.«