Warum die CDU mehr DDR in Deutschlands Klassenzimmern haben möchte

DDR revisited

Jugendliche sollten mehr über die DDR erfahren, fordern Politiker – aber nicht solche der Linkspartei, sondern der CDU. Denn eine Studie hat ergeben, je mehr einer über die DDR erfahre, desto schlechter denke er über sie.

Ende der siebziger Jahre reisten wir mit dem Politikkurs nach Ostberlin. Als wir die ersten Trabis erblickten, fühlten meine Mitschüler sich zutiefst bestätigt. »Da siehst du nun, was bei deinem Marxismus herauskommt!« Sie wandten sich direkt an mich, weil ich der einzige Linke in der Klasse war. Dass die DDR in knatternden und stinkenden Autos fuhr, war für sie Grund genug, den Sozialismus für erledigt zu halten.
Das Argument erschien mir damals töricht. Viel später erst ging mir auf, dass es leninistisch ist. In »Staat und Revolution« (1917) schrieb Lenin, die Enteignung der Kapitalisten werde eine »gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte« zur Folge haben. Aus dieser gehe der Sozialismus, samt Aufhebung der Arbeitsteilung, Verwandlung der Arbeit in ein »erstes Lebensbedürfnis«, Absterben des Staates usw. usf., notwendig hervor. Nun, was die Produktionsverhältnisse der frühen DDR betrifft, behielt er Recht. Trotz der Reparationen nahmen sie nach der Verstaatlichung einen respektablen Aufschwung. Aber als meine Mitschüler und ich in Berlin eintrafen, war der leider schon lange abgeebbt, und auf den Straßen sah man Autos, deren Technik seit bald 20 Jahren über­holt war.
Vielleicht entschädigten gemütliche Umgangsformen, lässige Arbeitsverhältnisse für den Zustand der Produktion, aber das ist nichts Besonderes in armen Ländern. Wo es viel Leerlauf gibt, gibt es viel Muße. Wo war das spezifisch Gute im Sozialismus? Sooft ich den Osten besucht habe, habe ich in ihm nichts Gutes finden können, eines aus­genommen: die Abwesenheit des Westens. Diese allerdings schien mir ein kapitaler Vorzug zu sein.
Keine ungelesenen Bewerbungsmappen, kein ver­zweifeltes Ringen um Aufmerksamkeit, sondern eines darum, möglichst nicht bemerkt zu werden, schließlich auch kein Verkaufsgeschick, sondern allenthalben ein Geschick zur Verkaufsverhin­derung, so war die DDR. Ging man in einen Buch­laden und nahm ein Buch aus dem Regal, freute sich der Händler nicht darüber, sondern fühlte sich belästigt. So viel Geld du ihm auch auf die The­ke zähltest, es bedeutete ihm gar nichts. Im Grunde schenkte er dir das Buch. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, »Was darf’s sein?«, so etwas hörte man nie, es ging in den Läden oder Kneipen der DDR immer so zu wie hierzulande nur im Mediamarkt oder in der Mensa.
Kurz, wer in die DDR fuhr, konnte etwas über die BRD lernen. Um dieses Wissen zu erwerben, müsste man heute sehr weit reisen, sehr viel nachdenken. Mag sein, dass, wie die CDU und die ihr nahe stehende Forschung behauptet, Schüler nichts über den Schießbefehl wissen und glauben, die Amerikaner hätten die Mauer gebaut. Aber viel weniger noch als über dieses untergegan­gene Land wissen sie über das Land, in dem sie leben. Kaum einen 15jährigen erstaunt es, dass sich bei uns noch der letzte Schlumpf anbieten muss wie Sauerbier. Das Verkaufen seiner selbst erscheint dem Schüler so naturgegeben wie die Sorge, die Zahnarztrechnung zu bezahlen oder einen Rentenanspruch zu erwerben. Dass »Service« ein Dienst ist und Dienst etwas Demütigendes, liegt jenseits seiner Vorstellung. Wer nicht ganz und gar borniert war, konnte das und vieles mehr in der DDR erfahren. Der beste Geschichts­un­terricht wird es nicht mehr einholen.