Die SPD und der ehemalige »Superminister« Wolfgang Clement

Der Supergenosse

Verstehe einer die SPD! Seit Jahren macht sie Politik gegen »Schmarotzer«, und dann will sie den Mann ausschließen, der das am besten kann: Wolfgang Clement.

Deutschland hat ein Problem mit seinen Leistungsträgern. Zwar gibt es genug Bürger, die fleißig genau das tun, was die Unternehmen wollen, doch wer wahrhaft Großes leistet, wer dafür sorgt, dass das arbeitsscheue Gesindel bekommt, was es verdient, wird bestraft. Besonders arg ist das bei der SPD. Als hätte die Partei nicht schon genug Mitglieder verloren, versucht sie derzeit, eines ihrer fähigsten loszuwerden: den ehemaligen »Superminister« Wolfgang Clement.

Die Männer vom SPD-Ortsverband Bochum-Hamme, die den Parteiausschluss Clements in die Wege geleitet haben, sitzen auf Plastikstühlen in ihrem Bochumer Vorgarten und haben Besuch von der ARD. »Der Clement hat Verdienste, aber das macht ihn nicht zu einem besonderen Menschen, das kann es nicht geben bei der SPD. Wir müssen uns alle an Regularien halten«, sagt einer von ihnen, und das »L« kommt ganz tief aus seinem Rachen, wie man im Pott so spricht, und das klingt sehr drollig.
Was dabei herauskommt, ist jedoch gar nicht drollig. Der Ortsverein Bochum-Hamme zeigt nicht nur, wie wenig die Genossen »besondere Menschen« schätzen, sondern auch, über welch geringes Verständnis von Demokratie sie verfügen. Denn Clement soll aus der Partei ausgeschlossen werden, nur weil er seine Meinung gesagt hat. Als die SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti sich im Wahlkampf in Hessen gegen Atom- und Kohlekraftwerke aussprach, intervenierte Clement. Wer Großkraftwerke ablehne, dem müsse klar sein: »Das geht nur um den Preis der industriellen Substanz.« Deshalb riet Clement öffentlich davon ab, in Hessen die SPD zu wählen.
Keineswegs ist er damit seiner Partei »in den Rücken gefallen«, wie viele Mitglieder meinten. Beim Thema Energiepolitik kennt Clement sich nun mal aus. Gleich nach seinem Posten als »Superminister« unter Bundeskanzler Gerhard Schröder bekam Clement einen Sitz im Aufsichtsrat des Energiekonzerns RWE. Deshalb weiß er genau, dass mit den großen Energiekonzernen der Atomausstieg bei gleichzeitigem Verzicht auf neue Kohlekraftwerke nicht zu machen ist. Das kommt einem neuen Morgenthau-Plan gleich und muss verhindert werden!
Clement fühlt sich eben nicht der Parteiideo­logie verbunden, sondern »stets nur dem eigenen Kopf verpflichtet«, wie es in der Tagesschau so treffend gesagt wurde. Wer da von »Lobbyismus« spricht, weiß einfach nicht zu schätzen, was Menschen wie Clement leisten: Sie bewahren doch auch die Männer vom Ortsverein in Bochum-Hamme davor, dass bei ihnen im Wohnzimmer das Licht ausgeht!
Leistungsträger wie Clement aus der Partei zu treiben, hätte deshalb »suizidalen Charakter«, schrieb Otto Schily. Er verteidigt Wolfgang Clement vor dem Schiedsgericht der Bundespartei. Das passt, denn auch Schily ist einer jener eigenständigen Köpfe in der SPD, deren Know-how keineswegs nur in der Politik gefragt ist. Der ehemalige Innenminister, der sich für die Einführung biometrischer Merkmale in Ausweispapieren engagierte, war bis Mai 2007 Aufsichtsratsmitglied von Unternehmen, die biometrische Sicherheitstechnologie produzieren.
Damit Politik und Wirtschaft im demokratischen Rechtsstaat die lohnabhängigen Massen besonders effektiv fordern können, braucht es Männer, die auf beiden Gebieten brillieren. Wolfgang Clement und Otto Schily sind nur zwei Beispiele für Sozialdemokraten, denen dies hervor­ragend gelingt. Gerade das aber weckt in Deutschland Neid und Misstrauen – etwa bei den Mitgliedern des SPD-Ortsverereins Bochum-Hamme. Dass Deutschland heute blüht, weil Clement als »Superminister« für Arbeit und Wirtschaft und im Zuge der Agenda 2010 den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem so erfolgreich reformierte, wird ihm von diesen Menschen nicht gedankt – im Gegenteil.

Nur gut, dass Clement trotz allen Undanks seine Arbeit nicht eingestellt hat. Nach wie vor bemüht er sich, Menschen in Arbeit zu bringen, koste es sie, was es wolle. Nachdem er als Minister den Arbeitsmarkt ganz schön flexibel gemacht hatte, bekam er auch einen Posten im Aufsichtsrat der Zeitarbeitsfirma »Deutsche Industrie Service AG«. Heute ist er Vorsitzender des »Adecco-Instituts zur Erforschung der Arbeit«, dem Think Tank der Zeitarbeitsfirma Adecco. So geht wertvolles Wissen nicht verloren.
Für hart arbeitende Macher wie Clement ist es schwer, diejenigen zu ertragen, die sich immer nur hemmungslos bedienen. Als Minister gab er 2005 deshalb einen Arbeitsmarktreport mit dem Titel »Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, ›Abzocke‹ und Selbstbedienung im Sozialstaat« heraus, damit man sich ein Bild von der Gier der Arbeitslosen machen konnte. Etwa am Beispiel von Brigitte Holthaus, die in ihrem Hartz-IV-Antrag angegeben hatte, mit Günter Meyer bloß in einer Wohngemeinschaft zu leben und nicht etwa in einer eheähnlichen Bedarfsgemeinschaft, in der man füreinander einstehen muss. Der »Arbeitsmarktreport« von Minister Clement aber enthüllte: »Günter Meyer, ihr Lebensgefährte, kommt mit nacktem Oberkörper aus dem Ehebett, die Saugnäpfe eines Medizingeräts kleben auf seiner Brust, das dazugehörige Gerät steht im Schlafzimmer. So fällt das Urteil des Prüfteams eindeutig aus: Wieder mal ein Fall von versuchtem Sozialmissbrauch.«
Allein für diese anschauliche Aufklärungskampagne hätte Clement höchste sozialdemkratische Ehren verdient. Der Ortsverein Bochum-Hamme und das Schiedsgericht der nordrhein-westfälischen SPD aber verübeln Clement sein hingebungsvolles Engagement. »Menschenverachtend« haben die Bochumer Sozis die »Agenda 2010« genannt. Das empört Wolfgang Clement. Wo bleibt ihre Solidarität mit den Genossen der Agenda?

Zahlreiche Führungskräfte der Partei haben die unerhörten Beschuldigungen als haltlose Denunziationen erkannt und unterstützen Wolfgang Clement. Wenn er gehen muss, nur weil seine Meinung zufällig mit der eines Konzerns zusammenfällt, in dessen Aufsichtsrat er sitzt, was ist dann mit all den anderen Leistungsträgern? Der Parteivorsitzende Kurt Beck hat vorgeschlagen, einen Vertreter des Parteivorstands in die Schiedskommission zu schicken, die über den Parteiausschluss entscheidet. Denn auf eine Schiedskommission, die bloß aus einfachen Parteimitgliedern besteht – so will es das Parteiengesetz –, ist kein Verlass. »Die Schiedsrichter sind unabhängig und an Weisungen nicht gebunden«, heißt es im Gesetz, und genau das macht sie so un­berechenbar. Beruhigend also, wenn ein Beobachter aus dem Parteivorstand beim Prozess gegen Clement nach dem Rechten schaut, einer, der die Gesamtpartei vertritt und aufpasst, dass die innerparteiliche Demokratie nicht abhanden kommt.
Wahrscheinlich wird der Generalsekretär Hubertus Heil freundlicherweise diese Aufgabe übernehmen. Dass der nicht viel früher den Bochumern ihre Flausen ausgetrieben hat, war ein Fehler. Er hätte in den Ruhrpott fahren sollen und dort »im Off, hinter verschlossen Türen«, dem Bochumer Ortsverein die Gefahren seines Handelns aufzeigen müssen, zitierte die Frankfurter Rundschau einen namentlich nicht genannten SPD-Strategen. »Solche Fälle tritt ein guter Parteiorganisator ganz früh und ganz stark tot.«