Zwangsheirat und eine Berliner Initiative konservativer Muslime

Ramadan, der Weddingplaner

Eine von konservativen muslimischen Vereinen getragene Initiative unter der Schirmherrschaft Tariq Ramadans hat sich des ­Themas Zwangsheirat angenommen. Der Islam sei nicht die Ursache des Problems, sondern die Lösung.

Noch immer fehlen offizielle Statistiken darüber, wie viele Töchter aus Migrantenfamilien während der Sommerferien im Herkunftsland ihrer Eltern verheiratet werden, oder darüber, wie viele junge Frauen sich aus einer erzwungenen Ehe oder aus Furcht vor einer Zwangsverheiratung in Frauenhäuser, Frauenzentren oder zu Beratungsstel­len flüchten. Allerdings existiert seit 2002 in Berlin ein »Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung«, der regelmäßig Befragungen zum Thema durchführt und für das Jahr 2007 in Berlin 400 Fälle konstatiert.
Die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern und bei den Beratungsstellen kennen das Problem. Sie wissen auch, dass es, so schrieb die So­ziologin Necla Kelek am 29. Juli in der FAZ, mittlerweile völlig unstrittig ist, dass jährlich Tau­sende von Frauen und Männern aus muslimischen Familien betroffen sind. Und sie wissen, dass eine erkleckliche Anzahl betroffener Frauen es nicht aus eigener Kraft schafft, sich an eine Hilfsinstitution zu wenden: Viele junge Frauen werden von Polizei oder Feuerwehr aus Wohnungen befreit und in Frauenhäuser gebracht, nachdem Nachbarn Alarm geschlagen haben. Denn mit der erzwungenen Eheschließung allein ist das Verbrechen, das im Namen von Religion oder Tradition an jungen Frauen begangen wird, nicht beendet. Gewiss, auch ein junger Mann wird bisweilen von seiner Familie dazu auf­gefordert, doch die Fatma zu ehelichen, danach aber hat er seine Bewegungsfreiheit nicht verloren, während von der Frau in zahlreichen Fällen erwartet wird, dass sie nun in der Wohnung der Schwiegereltern bleibt, für die gesamte Familie den Haushalt führt und die Wohnung nur in Begleitung verlässt, um zur Moschee oder einkaufen zu gehen.
Freiheitsberaubung, Drohungen und sogar Schlä­ge waren auch das Schicksal von Melek* (Jungle World 11/08). Sie lebte neun Jahre in einer Berliner Wohnung, bis die Polizei einschritt, weil sie geschlagen wurde und laut schrie. Da ihr Mann sie nicht einmal polizeilich angemeldet hatte, sie ihre Anwesenheit in Deutschland also nicht nachweisen konnte, wurde sie ein Fall für die Berliner Härtefallkommission. Oder Senta*. Sie stammt aus der Nähe von Ankara, wurde von ihrem Vater, der mit Deutschland nur Gutes verband, ins Schwäbische verheiratet und schließlich von der Feuer­wehr aus der Wohnung befreit, in die ihr Mann sie eingesperrt hatte. Senta hatte nach fünf Tagen ohne Nahrungsmit­tel ein Fenster geöffnet und um Hilfe gerufen.
»Das sind doch nur Einzelfälle!« entgegnete man lange Zeit den Kritikerinnen von Zwangsverheiratung wie Necla Kelek oder Seyran Ates, und bestand gleichzeitig darauf, »so etwas« komme auch unter den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften vor. »Niemand nimmt ihren gebetsmühlenartig wiederholten Spruch ›Das hat mit dem Islam nichts zu tun‹ mehr ernst.« Das meint Necla Kelek, die sich damit und mit dem erhöhten Legitimationsdruck der islamischen Community auch die Gründung der Initiative »Hand in Hand gegen Zwangsheirat« erklärt.
Die Initiative stellte sich auf einer von dem Ver­ein Inssan und dem Berliner Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg gemeinsam organisier­ten Veranstaltung, an der auch der Integrationsbeauftragte Berlins, Günter Piening, und die Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks, Petra Koch-Knoebel, teilnahmen, am 15. Juli in Berlin-Kreuzberg der Öffentlichkeit vor.
Die Zusammensetzung des Podiums war pikant: Dort saß die verschleierte Sprecherin der Rotterdamer Initiative, die 27jährige Nieder­län­derin Marianne Vorthoren, die vor einigen Jahren zum Islam konvertiert ist, neben dem Schirm­herrn, dem Islamwissenschaftler und Pu­­blizisten Tariq Ramadan, der die Europäer nicht zwangsislamisieren, sondern missionieren will.
Gemeinsam mit »Hand in Hand gegen Zwangs­­­heirat« trat das »Aktionsbündnis Zwangsheirat« auf, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Rotterdamer Initiative auch in Deutsch­land zu etablieren. Das »Aktionsbündnis Zwangs­heirat« besteht u.a. aus dem Verein Inssan und der Mus­limischen Jugend in Deutschland, für die ei­ne Mitarbeiterin der Islamischen Zeitung des deutschen Konvertiten Abu Bakr Rieger, die gleich­­falls verschleierte Tasnim El-Naggar, sprach.
Inssan ist ein Verein, der zurzeit in Charlottenburg den Bau einer Moschee vorantreibt, nachdem er seine Pläne für eine Moschee in Neu­kölln aufgeben musste. »Nach unseren Recherchen müssen wir davon ausgehen, dass Inssan das Ziel verfolgt, eine konservative, anti­integrative Form des Islams zu fördern, die mit der Islamauffassung der Muslimbrüderschaft übereinstimmt.« Das sagte der Deutschland-Korrespondent des New Yorker Wall Street Journals, Ian Johnson, am 16. April in der Berliner Zeitung. Inssan selbst bestreitet die Kontakte zu Ibrahim El-Zayat nicht, dessen Organisation IGD (Islamische Gemeinschaft Deutschland) vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Das aber ist nicht das einzige Problem. »Ärgerlich ist«, erklärt die Gleichstellungsbeauftrag­te Petra Koch-Knoebel, »dass dieses ›Ak­tions­bündnis Zwangsheirat‹ jetzt verwechselt wird mit dem Berliner ›Arbeitskreis gegen Zwangsheirat‹, in dem zahlreiche Antigewaltprojekte seit 2002 gemeinsam arbeiten. Das hatte ich befürchtet.« Und das ist offenbar ganz im Sinn der Rotterdamer Initiative. Denn wer die Islamische Zeitung (etwa vom 21. Juli) liest oder auf islam.de oder auf der Homepage der Muslimischen Jugend in Deutschland nachschaut, muss den Eindruck gewinnen, dass Tariq Ramadan, die niederländische Konvertitin Vorhorten und das bis zu diesem Zeitpunkt niemals in Erscheinung getretene »Aktionsbündnis Zwangsheirat« die Spitze des Kampfes gegen Zwangsverheiratung sind.
Repräsentiert Imam Ferid Heider – auch er saß auf dem Podium – die Interessen junger mus­limischer Frauen? »Er hat auf der Veranstaltung erklärt«, sagt Koch-Knoebel, »dass er noch nie mit solch einem Fall (von Zwangsverheiratung; die Red.) konfrontiert gewesen sei. Und das glaube ich ihm einfach nicht. Ich hatte von Anfang an Bauchschmerzen mit dieser Veranstaltung.« Nicht nur sie. Für Necla Kelek handel­te es sich bei »Hand in Hand gegen Zwangsheirat« um den durchsichtigen Versuch, selbstbewusster gewordene muslimische Mädchen den staatlichen Beratungsstellen und Frauenhäusern zu entziehen und sie einer islamischen Beratung zuzuführen.

* Name von der Redaktion geändert