Angriffe auf Journalisten bei rechtsextremen Aufmärschen

Der Feind mit der Kamera

Rempeleien, Beleidigungen und Drohungen gehören ohnehin zum Berufsrisiko von Journalisten, die sich in die Nähe von rechtsextremen Aufmärschen wagen. In den vergangenen Monaten kam es aber wiederholt auch zu schweren Angriffen.

Zur Beerdigung des letzten Bundesvorsitzenden der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), Friedhelm Busse, liefen die führenden Kader der deutschen Neonazi-Szene auf, insgesamt waren es nach Polizeiangaben etwa 90 Personen. An dem Samstag Ende Juli hielt der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt eine Grabrede auf dem Dorffriedhof St. Korona bei Passau, sein langjähriger Weggefährte Thomas »Steiner« Wulff moderierte und ließ die Versammelten »Ich hatt’ einen Kameraden« und das Staffellied der SS anstimmen.
Was sich dann ereignete, liest sich im Polizei­be­richt so: »Nach Beendigung der Trauerfeier griffen mehrere Personen des rechten Spektrums vor der Kirche zwei Personen des linken Spektrums, eine 18jährige Frau und einen 35jährigen Mann, an. Der 35jährige Mann befand sich als Pressevertreter vor Ort und wurde von den rechten Personen beim Versuch, ihm die Kamera zu entreißen, niedergeschlagen und getreten.«

Dieser »Pressevertreter« schreibt unter dem Pseudonym Robert Andreasch und war für das Internetportal »Netz gegen Nazis« an Ort und Stelle. Er schreibt regelmäßig etwa für die Publikationen Der rechte Rand oder Blick nach Rechts und recherchierte für Beiträge von Spiegel-TV (RTL) und Report Mainz (ARD), sein Rechercheschwerpunkt liegt in Süddeutschland.
Andreasch erinnert sich an den Angriff: Nachdem ihm bekannte NPD-Funktionäre den Weg abgeschnitten hätten, hätten militante Kameradschafter ihn geschlagen und getreten. »Da haben schon viele aus dem Nazi-Publikum zusammengearbeitet, von denen ich nicht unbedingt ­erwartet hätte, dass sie sich aktiv an einem Übergriff auf mich beteiligen würden«, sagt Andreasch im Gespräch mit der Jungle World. Die Angreifer brachen ihm zwei Rippen, fügten ihm Schürfwunden und Prellungen zu und zerstörten seine Kamera im Wert von etwa 500 Euro.
Den ganzen Vormittag sei er im Beisein »einiger weniger Zivilpolizisten« schon von Neonazis bedroht worden, berichtet er weiter. Als es zu dem Angriff kam, waren die Beamten der Situation offenbar nicht gewachsen. »Die Be­reit­schafts­polizei war eben nicht dort, wo die gefährlichen Nazis waren«, sagt Andreasch, »es war ein Feh­ler der Einsatzleitung, die Neonazis für harmlos zu halten, die dort anreisen.«
Johann Baumgartner, der Pressesprecher der Passauer Polizei, möchte das Verhalten der verantwortlichen Beamten eigentlich nicht kommentieren – und erst recht nicht nach Rücksprache mit einem Vorgesetzten. Zwei Dinge sagt er dann aber doch: Er denke nicht, dass die Einsatzleitung die Lage falsch eingeschätzt habe. Außerdem habe die Polizei »keinen Personenschutz« gewährleisten können, wo doch so viele Journa­listen vor Ort gewesen seien. Laut Hubert Denk, der eine Presseagentur für den bayrischen Raum leitet, waren nur drei Journalisten anwesend: er selbst, Robert Andreasch und ein Kollege von einer Lokalzeitung.

Ohnehin sieht die Polizei kritische Beobachter in der Nähe von Neonazi-Versammlungen nicht gerne. Sie gelten als lästig, weil sie vermeintlich Eskalation und Ärger provozierten. »Die Polizei ist nicht begeistert, wenn ich in Bayern irgendwo auftauche«, sagt Andreasch, »zum einen, weil es oft Ärger mit Neonazis gibt, zum anderen, weil ich natürlich auch über das Verhalten und Nichtverhalten von Polizeibeamten berichte.«
Auch wegen dieses Zusammenwirkens aus Unwille und Unfähigkeit bei der Polizei häufen sich in den vergangenen Monaten die Nachrichten von schweren und gezielten Übergriffen auf Journalisten. So zogen am 21. Juni Hunderte Neonazis ungehindert durch die Dresdner Innenstadt, nachdem die Behörden den »Sachsentag« der NPD-Jugendorganisation JN kurzfristig untersagt hatten. Deutsche und tschechische Neonazis verprügelten den Fotojournalisten Stanlislav Kruppar und zerstörten seine Kamera. »Während all dem keine Spur von der Polizei«, heißt es in der deutschen Übersetzung seines Berichts.
Das wohl drastischste Beispiel der vergangenen Monate dürften aber die Ereignisse vom 1. Mai in Hamburg sein, wohin etwa 1 000 Neonazis einem Aufruf von »freien Kräften« gefolgt waren. Aus dem Demonstrationszug heraus griffen selbst­ ernannte »Autonome Nationalisten« nicht nur Polizisten und linke Gegendemonstran­ten an, sondern betrieben unter den Augen der überforderten Polizei auch eine regelrechte Hetzjagd auf Journalisten. Nach Angaben des ARD-Magazins Panorama wurden etliche von ihnen dabei verletzt, Ausrüstung im Wert von mehreren tausend Euro wurde geraubt oder zerstört.
Die Hamburger NPD hatte die Demonstration gemeinsam mit ihrer Jugendorganisation JN unterstützt und deckte später die Angreifer, indem sie die Übergriffe als Ausdruck einer berechtigten Gegenwehr gegen die »Schreibtischtäter« darstellte. Doch gerade die NPD stellen Krawalle wie in Hamburg vor ein grundsätzliches Problem: So sehr sie den »Kampf um die Straße« gewinnen will, torpediert er doch ihren »Kampf um die Parlamente«. Als Inbegriff des Bürgerschrecks will der »Schwarze Block« der »Autonomen Nationalisten« eben nicht so recht zu dem bürgernahen Image passen, um das sich die Partei seit Jahren bemüht. Dennoch ist sie auf die »freien Kräfte« nicht zuletzt als Wahlkampfpersonal vielerorts angewiesen.

Die Gewalt der »Autonomen Nationalisten« gegen Journalisten ist ideologisch unterfüttert. Das Zuschlagen wird erleichtert durch eine Herabsetzung der »Hetzjournalisten als … geistig-seelisch und körperlich minderwertige Menschen«, wie es in den »Leitlinien Feindpresse« der Vierteljahresschrift Volk in Bewegung heißt. Im Kampf gegen die »Nachrichtenagenten der Fremdbestimmung« sollen die Neonazis jede Zurückhaltung ablegen: »Wer die Gefahr der vierten Gewalt im Staat für das Fortbestehen des deutschen Volkes erkannt hat, und dagegen glaubt, nur mit halben Entschlüssen und Maßnahmen vorzugehen, ist feige und dumm. Die Mutigen wenden durchgreifende Radikalmittel an.«
Der unbändige Hass, der aus diesen Zeilen spricht, speist sich aus einem in sich geschlossenen antisemitischen Weltbild. Medial verbreitete und überhaupt alle unangenehmen Meinungsäußerungen sitzen entweder den »Lügen« einer halluzinierten globalen Verschwörung auf oder sind selbst ein Teil von ihr. In den »Leitlinien« heißt es dazu: »Weltweit kontrollieren einige wenige Nachrichtenagenturen, hinter denen finanzkräftige Konzerne der internationalen Agentur stehen, die Berichterstattung.« Die Rede von der »internationalen Agentur« dient hier als Chiffre, die es überflüssig macht, die Juden beim Namen zu nennen.
Nach jeder neuen Heldentat feiern sich die Schläger selbstsicher im Internet und benen­nen die nächsten möglichen Ziele. Zu diesen gehö­ren bei weitem nicht mehr nur antifaschistische Fachjournalisten. Diese bedrohliche Botschaft kommt an – auch bei jemandem wie dem Passauer Journalisten Hubert Denk. Er fühlt sich als »neutraler Beobachter« zwar sicherer als »linke Eiferer«. Wegen seines Fotos von der Niederlegung einer Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz auf dem Sarg von Friedhelm Busse wird er aber auf der Internetplattform Altermedia bedroht. Nun stellt sich auch für ihn die Frage: »Werde ich nächstes Mal genauso behandelt wie der Herr Andreasch?«
Seine Befürchtung ist begründet. Denn gerade in der Provinz sind Journalisten oft das größte Hindernis für Neonazis, die sich als nette Nachbarn geben wollen. Die Rechten werten ihre Angriffe als Erfolge im Kampf gegen die verhasste »Medienmafia« und geben sich selbstbewusst. Die Berichterstattung aus nächster Nähe ist gefährlicher geworden. Und das dürfte vorerst auch so bleiben.