Deutsche Interessen in Georgien

Ärger auf der Transitstrecke

Die Staaten des Kaukasus sind für Deutsch­­land von strategischer Bedeutung im Hinblick auf die Energieversorgung. Am liebsten hätten es die deutschen Politiker, wenn in Georgien und seinen Nachbarstaaten weder der russische Einfluss noch jener der USA wachsen würde.

»Wer Russland nicht zu weiteren Abenteuern ermuntern will, muss nun so hart und eindeutig reagieren, dass es Moskau wehtut«, kommentierte Welt online die gegenwärtigen kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien. Der Kommentator fühlt sich an längst vergangen geglaubte Zeiten erinnert: »Das neue Russland hat ein Antlitz, das in Teilen wieder dem der alten Sowjet­union gleicht. Es ist an der Zeit, dass Europa Strategien gegen die hegemonialen Bestrebungen Moskaus entwickelt.« Integraler Bestandteil einer solchen Strategie sei die Aufnahme Georgiens in die Nato, denn nur so könne die Bedrohung aus dem Osten pariert werden. Schließlich führe »durch Georgien die einzige Pipeline aus der gas- und ölreichen Region am Kaspischen Meer«, die russisches Territorium nicht passiere und somit sicherstelle, »dass die Russen uns in Energiefragen nicht gänzlich in der Hand haben«.
Ähnlich äußerte sich Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung. Er sagte der Rheinischen Post, es dürfe auf keinen Fall der Eindruck entstehen, Georgien sei in Folge der jüngsten Entwicklung »jetzt auf Dauer von einer Nato-Mitgliedschaft ausgeschlossen«. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Ruprecht Polenz, bezeichnete die Reaktion Russlands auf die georgischen Angriffe in Südossetien im Gespräch mit dem Münchner Merkur als »überzogen« und »brutal«; ihn erinnere das russische Vorgehen an den Krieg in Tschetschenien, wo Russland »eindeutig gegen das Völkerrecht verstoßen« habe. Die der russischen Politik zugrunde liegende Motivation kennt Polenz auch: »Jede Pipe­line, die an Russland vorbeiführt, ist dem Kreml ein Dorn im Auge.« Sein Parteifreund Eckart von Klaeden, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, sieht Russland als den eigentlichen Verursacher des Konflikts, weil es die abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien »de facto anerkannt« und so die territoriale Integrität Georgiens in Frage gestellt habe.

Dem Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit, Andreas Schockenhoff, ebenfalls CDU-Mitglied, scheint bei einer solchen Argumentation hingegen nicht ganz wohl zu sein. Im Deutschlandradio bezeichnete er den russischen Einmarsch in Georgien als »eine Art Quittung« Russlands dafür, dass der Westen das Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt habe. In der Tat hat Russland offenbar einiges vom deutschen Umgang mit ethnisch definierten Minderheiten gelernt. Wie einem Report der Konrad-Adenauer-Stiftung zu entnehmen ist, stellt Russland den Bewohnern Südossetiens und Abchasiens »russische Pässe freizügig aus«. Rund 85 Prozent der Bewohner der georgischen Provinzen verfügen über ein solches Dokument, das sie unter anderem kostenlos in den Genuss des russischen Bildungs- und Gesundheitssystems kommen lässt. Ganz ähnlich verfährt Deutschland etwa mit der deutschstämmigen Minderheit in Polen.
Sofern sie ihre »deutsche Volkszugehörigkeit« nachweisen können, vergibt die deutsche Botschaft Reisepässe an polnische Bürger und unterstellt diese damit faktisch der Hoheit der Bundesregierung. Die Inhaber der Pässe erhalten einen privilegierten Zugang zum deutschen Gesundheitswesen und zum deutschen Arbeitsmarkt. Darüber, wie ein solcher »Volkstumsnachweis« zu erbringen ist, informiert regelmäßig das im polnischen Opole (Oppeln) erscheinende Schlesische Wochenblatt: Entweder müsse der Vater des Antragstellers »zwischen 1913 und 1945 im Gebiet des Deutschen Reiches … in den Grenzen von 1937« geboren oder in die »Deutsche Volksliste« aufgenommen worden sein. Urheber der so genannten Volksliste war der Reichsführer SS und Reichskommissar für die Festigung des Deutschen Volkstums, Heinrich Himmler. Die »Volksliste« bestimmte die »Volkszugehörigkeit« anhand rassistischer Kriterien und bildete die Grundlage für die von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs exekutierte Eindeutschungs-, Selektions- und Vernichtungspolitik. Angeleitet werden Medien wie das Schlesische Wochenblatt von dem in Berlin und Stuttgart beheimateten Institut für Auslandsbeziehungen, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird.

Ähnlich wie der Kollege Schockenhoff von der CDU gefallen sich die führenden Politiker der SPD und der Grünen offenbar gar nicht in der Rolle derer, die die völkischen Bestrebungen etwa im Kosovo und in Polen förderten, aber im Fall Georgiens nicht haben wollen. Sie üben sich daher lieber in allgemeiner Friedens- und Menschenrechtsrhetorik. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), sprach im Norddeutschen Rundfunk von einem »sinnlosen« und »blutigen« Krieg, »der das Problem dieser abtrünnigen Provinz Südossetien mit Sicherheit nicht lösen wird«. Nach Agenturmeldungen vermied sein Parteifreund und Chef, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, in seinen zahlreichen Telefonaten mit Vertretern der Konfliktparteien jegliche Schuldzuweisung für den Beginn der Kämpfe.
Die Bundesvorsitzenden der Grünen, Claudia Roth und Reinhard Bütikofer, forderten in einer Presseerklärung »alle Seiten« auf, »die unerträgliche Gewalt sofort zu beenden, eine Waffenruhe zu vereinbaren und eine friedliche Lösung zu suchen«; eine »gewaltsame Eroberung Südossetiens durch Georgien« sei »ebenso wenig akzeptabel« wie »der Einmarsch russischer Truppen zugunsten der Separatisten in Südossetien«. Ihre Trauer, sagten Bütikofer und Roth, gelte den »vielen Menschen, die im Zuge der Auseinandersetzungen getötet oder verletzt wurden«. Wie zuvor der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Gert Weisskirchen, warnten beide vor einer »weiteren Eskalation« des Konflikts.

Worum es den deutschen Politikern vor allem geht, können Äußerungen dieser Art und das deutsche Angebot, zwischen Russland und Georgien zu vermitteln, jedoch nicht verdecken. Sie wollen die Staaten des Kaukasus dafür nutzen, die fossilen Brennstoffe aus dem Kaspischen Becken nach Westen zu transportieren, ohne dabei russisches oder iranisches Territorium nutzen zu müssen. Die nicht nur von CDU-Politikern und der Springerpresse in diesem Zusammenhang immer wieder gerne angeführte Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan transportiert täglich rund ein Prozent des global produzierten Erdöls vom Kaspischen Meer über Georgien in die Türkei. Einem Bericht des Internetdienstes german-foreign-­­policy.com zufolge unterstützt das Auswärtige Amt die Pläne deutscher Unternehmen, die kaspischen Ressourcen stärker zu nutzen. Insbesondere hat man dabei Kasachstan im Blick, das vom fünft- zum zweitgrößten Erdöllieferanten Deutsch­lands aufsteigen soll.
Um solche Pläne zu verwirklichen, erscheint es notwendig, sowohl den unter anderem über die Nato ausgeübten Einfluss der USA im Südkaukasus zu begrenzen als auch zu verhindern, dass Russland seinen Einfluss dort erweitert. Die Unterstützung des georgischen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili, der als Parteigänger der USA gilt, wäre hierfür ebenso falsch wie das Befördern völkischer Bestrebungen in den georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien im derzeitigen Konflikt.