Imageschäden in Rüsselsheim nach tödlicher Schießerei

Motor City

Nach einer Schießerei, bei der vier Menschen starben, ist das Imageproblem von Rüsselsheim noch weiter gewachsen.

»Motor City« nennt sich seit einiger Zeit ein Zusammenschluss von Kulturprojekten in Rüsselsheim. M55 heißt seit einigen Jahren das Lifestylemagazin der Stadt, dessen Name von der mittlerweile fast still gelegten Opel-Produktionshalle in der Innenstadt übernommen wurde. Während in den siebziger Jahren das Opelwerk der so genannten Putztruppe Joschka Fischers als Ort der Agitation von Arbeitern diente, werden die weitgehend leer stehenden Hallen heute von der Kulturszene genutzt und von der Stadt gefördert.
Doch eine hübsche Kulturszene reicht nicht aus, um eine ganze Stadt zu unterhalten. Früher war die Innenstadt vor allem von Arbeitern im Blaumann belebt, heute ist sie Brachland. Viele ehemalige Opler, darunter ein großer Teil Mi­granten, arbeiten anderswo oder gar nicht mehr und wohnen und schlafen in den Außenbezirken. Seit dem umfangreichen Stellen- und Produktionsabbau bei Opel Rüsselsheim versucht es die Stadt deshalb mit der Kultur, um das Image zu verbessern. Auf diese Weise will man Investoren gewinnen und Kapital sichern.

Nach der Schießerei in der vergangenen Woche, bei der drei alevitische Kurden und eine unbeteiligte Griechin in einem Eiscafé in der Fußgängerzone getötet wurden, waren die Reaktionen so, wie man sie von einer sich vor allem um das Image sorgenden Stadtverwaltung erwartet. Der Gewerbevereinspräsident Dirk Schäfer bezeichnete die Schießerei als einen »Rückschlag fürs Marketing« und der Oberbürgermeister Stefan Gieltowski wehrte sich gegen die Berichterstattung über Rüsselsheim als »Hort von Krimina­li­tät«. Die CDU brachte zwar ihren uralten Vorschlag erneut auf die Tagesordnung, einen freiwilligen Polizeidienst einzuführen, ansonsten war aber auch sie vor allem darum bemüht festzustellen, dass die Schießerei nur zufällig in Rüsselsheim stattgefunden habe, es sei und bleibe eine »liebenswerte Stadt«.
Sicherlich gleicht Rüsselsheim sowohl vom Stadtbild, von der Arbeitslosenrate und von der Kriminalitätsstatistik etlichen anderen ehemals industrialisierten Kleinstädten. Doch auch nach einer Woche stellte niemand öffentlich die Frage, wie es dazu kommt, dass in dieser liebenswerten Stadt seit Jahren immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen stattfinden und warum sich eine bestimmte Klientel nicht am kulturellen Überangebot der »Motor City« erfreuen kann.
Yeter Ayboga, Stadtverordnete der Linken Liste und Sprecherin der kurdisch-alevitischen Gemein­de, kritisierte im Gespräch mit der Jungle World, dass in der Rüsselsheimer Öffentlichkeit kein Inter­esse daran bestehe, die wirklichen Ursachen und Motive der Morde zu erfahren: »Ansprechpartner dafür sind nicht die Moscheen, sondern die kurdisch-alevitische Gemeinde.« Doch die Stadtregie­rung trifft sich lieber mit dem inzwischen ebenfalls um das Image besorgten Ausländerbeirat, der verspricht, »alles Menschenmögliche dafür zu tun, dass Rüsselsheim den guten Ruf erhält, den es verdient«.