Neue Berechnungen der Weltbank über die Zahl der Armen

Ein Dollar ist nicht mehr genug

Ein Dollar ist nicht mehr genug Den neuen Berechnungen der Weltbank zufolge ist die Zahl der Armen weit höher als bislang angenommen.

Die Zahl der Armen hat sprunghaft zugenommen – weil die Weltbank die Statistik »überarbeitet« hat. Bisher galten Menschen mit einem Einkommen von weniger als einem Dollar am Tag als arm, nach neuen Studien hat die Weltbank den Betrag nun auf 1,25 Dollar erhöht. Damit erhöht sich auch die Zahl der nach diesem Kriterium »absolut Armen«: Sie lag zuletzt bei 879 Millionen Menschen, das entsprach 16 Prozent der Weltbevölkerung. Legt man den neuen Wert zugrunde, gelten 1,4 Milliarden, rund 26 Prozent der Menschheit, als arm.
Nun lässt sich durchaus darüber streiten, inwieweit ein rein quantitativer und ökonomisch ermittelter Wert die tatsächliche Lage der Menschen wiedergeben kann. Ungeachtet dessen ist die Veröffentlichung der neuen Daten ein Eingeständnis der Weltbank, bei der Bekämpfung der Armut längst nicht so erfolgreich zu sein, wie sie lange Jahre vorgegeben hat. Und auch für die Industrie­länder ist es ein herber Schlag, denn sie haben sich in letzter Zeit gern als Retter der Armen Afrikas und sonstiger »unterentwickelter« Staaten inszeniert. Bis 2015 sollte die Zahl der Armen halbiert werden, so sahen es die Millenniumsziele der Uno vor. Dieses Ziel ist nun wieder in die Ferne gerückt, zumal die »aktuellen« Zahlen aus dem Jahr 2005 stammen. Gerade in den vergangenen zwei Jahren jedoch sind die Preise für Nahrungsmittel und Energie rasant gestiegen – eine Entwicklung, die auch die Zahl der Armen in die Höhe schnellen lässt, sich in den Statistiken der Weltbank aber noch nicht widerspiegelt.
Die Weltbank wird dennoch nicht müde, »die großen Fortschritte bei der Bekämpfung der Armut« zu betonen. So sei vor 25 Jahren noch die Hälfte der Weltbevölkerung arm gewesen, der Anteil der Armen habe sich seither also fast halbiert. Und seit 1990 sei, lege man den neuen Schwellenwert von 1,25 Dollar zugrunde, die Zahl der Armen immer noch um 400 Millionen gefallen.
Ein Spiel mit Zahlen, das deutlich zeigt, wie wenig die bisherigen Programme der internationalen Finanzinstitutionen, aber auch die Entwicklungshilfe der Industrieländer, tatsächlich gegen die Armut ausrichten konnten. Denn die Reduzierung der Armut, auf die die Weltbank verweist, ist zu einem großen Teil der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas geschuldet. Außerhalb Chinas leben derzeit noch ebenso viele Menschen in Armut wie vor 25 Jahren, im südlichen Afrika hat sich die Zahl der Armen seit 1981 gar verdoppelt.
Damit aber haben genau jene Regionen weiterhin eine hohe oder gar zunehmende Zahl von Armen, in denen die Weltbank und der Internationale Währungsfonds großen Einfluss hatten, während jene Staaten Erfolge bei der Bekämpfung der Armut feiern, die sich von den internationalen Finanzinstitutionen kaum in ihre Wirtschaftspolitik haben hineinreden lassen. Zugleich zeigt aber gerade das Beispiel China, dass der Begriff »absolute Armut« kaum geeignet ist, um gesellschaftliche Entwicklungen zu bewerten. Denn in China haben auch die Einkommensunterschiede stark zugenommen, die Gewinner der wirtschaftlichen Entwicklung sind gerade nicht die Armen. Die bäuerliche Bevölkerung, die oft illegalen Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter und die Menschen in den Slums bezahlen für das etwas höhere Einkommen meist einen hohen Preis, sei es in Form von Gesundheitsschäden, Umweltverschmutzung, Prekarität oder der fortgesetzten politischen Unterdrückung. Über die Frage, ob die Menschen tatsächlich besser leben, sagt der praktisch zu berechnende Wert der »absoluten« Armut wenig aus.