Barack Obama, Joe Biden und der Kampf um die Stimmen der weißen Arbeiter

Jetzt geht es um Brot und Butter

Barack Obama konzentriert sich auf wirtschaftliche und soziale Themen, um die Stimmen der weißen Arbeiter zu gewinnen. Dabei soll ihm auch Joe Biden, der Kandidat für die Vizepräsidentschaft, helfen.

Republikanische Kritiker werteten den Auftritt Barack Obamas im Stadion von Denver als weiteren Beweis dafür, dass der Kandidat nur eine »Berühmtheit« sei, die nicht mehr zur Lösung der Probleme Amerikas beitragen könne als Paris Hilton. Doch auch manche Demokraten waren besorgt. »Wir wissen bereits, dass er ein Rockstar ist«, sagte Phil Bredesen, Gouverneur von Tennessee. »Er muss zu den Leuten sprechen, die sich noch nicht entschieden haben.«
Der nunmehr offizielle Kandidat der Demokraten versuchte, vor den 84 000 anwesenden Anhängern dem Eindruck entgegenzuwirken, er sei ein abgehobener Intellektueller ohne substanzielle politische Ideen. Gleich nach den obligatorischen Danksagungen kam er auf die bread-and-butter-Themen zu sprechen. Wie einst Bill Clinton in seinem ersten Wahlkampf 1992 gegen den amtierenden Präsidenten George Bush konzentrierte er sich auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Demokraten, die »Partei Roosevelts«, dessen New Deal die Grundlagen eines Sozialversicherungssystems schuf, sollen unter seiner Führung den Sozialstaat neu errichten. Amerika brauche den Wandel in der Renten-, Gesundheits- und Bildungs­politik, bei der Immigra­tions- und erst recht in der Außenpolitik.

»Wir treffen uns in einem dieser entscheidenden Momente, in einem Moment, in dem sich unsere Nation im Krieg und unsere Wirtschaft in Turbulenzen befindet und in dem das amerikanische Versprechen wieder einmal bedroht ist«, sagte Obama. Das Schlagwort »Wandel« ergänzte er durch: »Acht ist genug.« John McCain wird ungeachtet seiner Bemühungen, sich von George W. Bush zu distanzieren, mit der Bilanz der achtjährigen Präsidentschaft identifiziert, die auch vielen Konservativen als dürftig erscheint. »Amerika, wir sind besser, als wir es in den letzten acht Jahren waren. Wir sind ein besseres Land.«
Den Begriff race vermied er in seiner Rede, dass exakt 45 Jahre zuvor Martin Luther King auf den Treppen des Lincoln-Memorials seinen Traum von einem gerechteren Amerika verkündet hatte, erwähnte er ebenso wenig wie das Novum, dass ein Afroamerikaner Präsidentschaftskandidat einer großen Partei werden konnte, gar der Partei, die einst die Rassisten und zuvor die Separatisten der Südstaaten beherbergte. Obama muss sich vorrangig um jene Wählergruppen bemühen, die Vorbehalte gegen einen schwarzen und intellektuell wirkenden Präsidenten haben.
Dabei soll ihm auch Joe Biden helfen, sein Kandidat für die Vizepräsidentschaft. Zwar sitzt der 65jährige Senator aus dem nordöstlichen Bundesstaat Delaware bereits seit 35 Jahren im Senat und kann schwerlich von sich behaupten, ein Außenseiter oder Gegner des Establishments zu sein. Als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Senats soll er aber jene gewinnen, die Obama in außenpolitischer Hinsicht für zu unbedarft halten. Die silbergraue Mähne Bidens, eines Berufspolitikers, der die Machtstrukturen in Washington kennt und als elder statesman gelten kann, symbolisiert politische Erfahrung und Verlässlichkeit neben dem noch vergleichsweise jung wirkenden 47jährigen Obama.
Hinzu kommt, dass Biden ein irischstämmiger Katholik aus der städtischen Unterschicht ist. Wie die Vorwahlen gezeigt haben und aktuelle Umfragen bestätigen, hat Obama Probleme, die weißen Arbeiterinnen und Arbeiter für sich zu gewinnen. Joe Biden kann »Joe Sixpack«, den weißen Proletarier, der um seinen Job und sein Haus bangt, eher ansprechen. Während der Convention wurde bereits vor Obamas Rede deutlich, dass die Wahlkampfstrategen auf die Kritik, die Kampagne sei zu idealistisch und »zu intellektuell«, reagiert haben. Die Kritik an den Republikanern wird schärfer, das Duo Obama-Biden widmet sich vorrangig handfesten Themen: der kriselnden Wirtschaft, dem bedrohten Wohlstand, sozialen Ungerechtigkeiten. »Beginnend mit Joe Bidens Rede hat sich die Botschaft geändert – von dem erbaulichen ›Wandel, an den wir glauben können‹, zum eher bodenständigen ›Wandel, den wir brauchen‹«, schrieb David Kusnet, ein ehemaliger Redenschreiber von Bill Clinton, in The New Republic.

Dass Biden 2002 für den Irak-Krieg votierte, scheint angesichts seiner seither intensiven Kritik der Kriegsführung kaum noch eine Rolle zu spielen. Bereits vor sechs Jahren warnte er davor, den Krieg gegen die Taliban zu vernachlässigen. Wie Obama kritisierte Biden in den vergangenen Jahren die Verhältnisse in Guantánamo, die Folterpraktiken im Irak, in Afghanistan und den black sites in Europa und anderswo.
Er sprach in seiner Rede das 1994 verabschiedete »Violent Crime Control Law« an, für das er sich Anfang der neunziger Jahre eingesetzt hatte. Das Gesetz enthält unerfreuliche Passagen, etwa die Einführung der Todesstrafe auf föderaler Ebene für eine Reihe von Morddelikten. Es verbot jedoch automatische und halbautomatische Waffen, diesen Teil des Gesetzes ließ Bush im Jahr 2004 auslaufen. Überdies enthält es Bestimmungen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, die u.a. die Schaffung eines landesweiten Netzes von Frauenhäusern als Zufluchtsorten vor häuslicher Gewalt ermöglichten.
Obamas Angaben über konkrete Reformvorhaben blieben vage, anhand konkreter, zum Teil persönlicher Beispiele erläuterte er, wo er einen Wandel durchsetzen will: »Als jemand, der gesehen hat, wie seine Mutter mit Versicherungsunter­nehmen diskutierte, während sie an Krebs sterbend im Bett lag, werde ich sicherstellen, dass diese Versicherungen die Kranken nicht diskriminieren.«
Lilly Ledbetter, eine weitere Rednerin, verband die Themen Arbeit und Gleichberechtigung. 19 Jahre lang hatte sie als einzige Schichtleiterin in einer Reifenfabrik des US-Konzerns Good­year im Bundesstaat Alabama gearbeitet. Kurz vor ihrer Verrentung fand sie heraus, dass das Unternehmen ihr seit Beginn des Arbeitsverhältnisses deutlich weniger Lohn ausgezahlt hatte als ihren männlichen Kollegen. Ein klarer Verstoß gegen den Titel VII des Civil Rights Act von 1964, der es verbietet, Frauen, Minderheiten und Behinderte bei der Lohnzahlung zu diskriminieren. Doch Titel VII enthält eine Klausel, die besagt, dass ein Geschädigter innerhalb von 180 Tagen Klage einreichen muss, sonst gilt die Lohndiskriminierung als verjährt.
In der Rechtsprechung galt 40 Jahre lang der Grundsatz, dass diese Frist beginnt, wenn der Geschädigte von der Diskriminierung erfahren hat. Dennoch entschied das Oberste Gericht, mit den Ernennungen neuer Richter durch Bush konservativer geworden, im vergangenen Jahr mit einer Stimme Mehrheit, Ledbetters Klage zurückzuweisen. Entscheidend sei der Beginn der Lohndiskriminierung, egal ob der Betroffene davon weiß oder nicht. Die Richterin Ruth Bader Ginsberg, die der Minderheit angehörte, sprach von einer »wahnwitzigen Begründung«. Die Chance, erfolgreich gegen Lohndiskriminierung zu prozessieren, ist deutlich geringer geworden.
Seither behindern die Republikaner alle Versuche der Demokraten, dieses Urteil des Obersten Gerichts zu korrigieren. Sowohl der »Lilly Ledbetter Fair Pay Act« als auch der »Pay Equity Act« werden von den republikanischen Senatoren, unter ihnen Präsidentschaftskandidat und Senator John McCain, durch den so genannten Filibuster, eine organisierte Verzögerungstaktik, verhindert. Auch Präsident Bush stellt sich quer. »Wir können es uns nicht leisten«, sagte Ledbetter in ihrer Rede, »weiterhin die gleichen Stimmen gegen die gleichen Rechte für Frauen an der Macht zu haben. Meine Klage ist gescheitert. Ich werde nie den Lohn erhalten, den ich verdient habe. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist ein fundamentales amerikanisches Prinzip. Wenn wir alle zusammen­arbeiten, dann werden wir den Wandel, den wir brauchen, erreichen.«
Größere Aufmerksamkeit wurde der Rede Hillary Clintons zuteil. Obamas Wahlkampfteam muss befürchten, dass ihre Wahlkampfhelfer gar nicht oder weniger engagiert für den Sieger der Vorwahlen arbeiten und viele ihrer Anhänger McCain wählen oder am 4. November zu Hause bleiben. Auch eine nur lauwarme Rede wäre sicherlich für Obama verheerend gewesen. Doch Hillary Clinton sprach professionell wie immer. »Ob sie für mich oder für Barack gestimmt haben, jetzt ist die Zeit, uns als Partei zu vereinigen«, sagte sie gleich zu Beginn ihrer Rede. »Wir sind in demselben Team, und keiner von uns kann auf der Ersatzbank bleiben.« Für eine Gesundheits­vorsorge für alle, die Rechte der Frauen »zu Hause und in aller Welt« und die Vereinbarkeit von Eltern­schaft und Beruf kämpfe auch Obama.

Mit noch größerer Nervosität wurde die Ansprache des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton erwartet, dem persönliche Vorbehalte gegen Obama nachgesagt werden. Bill Clinton hat das bestritten. Kaum bestreitbar ist seine Eitelkeit. Die Organisatoren der Convention sorgten dafür, dass die Zuhörer dem zuweilen übellaunigen ehemaligen Präsidenten mit einem gut vierminütigen Applaus schmeichelten. Clinton feierte sich dann für seine Erfolge in den neunziger Jahren, anschließend pries Obama den unter Clinton gewachsenen Wohl­stand. Man mag darüber streiten, was den Leistungen des Präsidenten und was einer besseren Wirtschaftslage zuzuschreiben ist, doch zweifellos ging es den meisten Amerikanern damals besser als heute.
Obamas Wahlkampfteam unter David Plouffe und dem Vorsitzenden der Demokraten, Howard Dean, konnte mit seinen Leistungen zufrieden sein. Allerdings hat der Kandidat, dessen Sieg zeitweise fast sicher schien, etwas an Popularität verloren. Die ersten Umfragen nach dem Ende der Convention ergeben noch kein klares Bild, derzeit scheint die Zahl der Amerikaner, die nach acht Jahren genug haben, für einen Wahlsieg nicht auszureichen.