Die Vorwürfe gegen Frankreich wegen der Beteiligung am Genozid in Ruanda

Klage gegen Klage

Die Ankündigung der Regierung Ruandas, französische Politiker und Militärs wegen der Beteiligung am Genozid zu verurteilen, dient möglicherweise der Vorbereitung eines Deals mit Frankreich.

Der Vorwurf an die Adresse der bürgerlichen Justizorgane, eine »Klassen-« respektive »Rassenjustiz« zu betreiben, die je nach Einkommen oder Hautfarbe mit zweierlei Maß messe, ist so alt wie die linke Gesellschaftskritik. Aber gilt er auch für die internationale Justiz? Dass sie nicht ohne eine Berücksichtigung der internationalen Kräfteverhältnisse und der jeweiligen Machtposition einzelner Staaten in der planetaren Hackordnung auskommt, ist ebenfalls ein Klassiker. Ob allerdings auch direkt oder indirekt die Hautfarbe von Angeklagten eine Rolle spielen könnte, bleibt umstritten.
In Ruandas Hauptstadt Kigali wagt man nun die Probe aufs Exempel. Seit Wochen sorgt der Untersuchungsbericht einer Kommission unter Vorsitz des früheren Justizministers Jean de Dieu Mucyo, der am 5. August in Kigali veröffentlicht worden ist, für Wirbel. Er hat die französische Beteiligung am Genozid an den ruandischen Tutsi 1994 zum Gegenstand.
Neu ist vor allem, dass Ruanda nun erstmals angekündigt hat, Strafverfahren gegen hochrangige französische Politiker und Militärs wegen ihrer damaligen Rolle einzuleiten. Das ostafrikanische Land hat sich Gesetze gegeben, mit denen es seiner Justiz eine »universelle Kompetenz« zuspricht. Das bedeutet, dass auch Staatsbürger anderer Nationen in Ruanda vor Gericht gestellt und verurteilt werden können, sofern sie an einem Genozid beteiligt waren. Kigali kündigt an, internationale Haftbefehle gegen die betreffenden französischen Militärs und Politiker auszustellen und bei Interpol einzureichen. Ob sie dann allerdings auch vollstreckt werden und internationale Behörden tatsächlich weiße Franzosen an eine afrikanische Justiz überstellen, ist höchst zweifelhaft. Der Fall könnte dazu geeignet sein, die vermeintliche Unparteilichkeit internationaler Polizei- oder Justizinstitutionen auf die Probe zu stellen.
Doch dazu wird es wohl kaum kommen, denn den ruandischen Regierungspolitikern scheint es eher darum zu gehen, einen politisch-diplomatischen »Deal« in die Wege zu leiten. Präsident Paul Kagame hatte bereits im Vorfeld angekündigt, dass er den seit November vorigen Jahres vorliegenden Untersuchungsbericht mitsamt der Überstellungs- und Haftbefehle veröffentlichen werde, falls die in Europa gegen ihn anhängigen Klagen nicht fallen gelassen würden. Dabei geht es insbesondere um das Verfahren, das der frühere »Antiterrorrichter« Jean-Louis Bruguière 2006 gegen ihn eingeleitet hat. Dieser warf dem damaligen Rebellenchef Kagame – und nicht dem mit Paris befreundeten früheren Regime – vor, er sei der Auslöser für den Völkermord gewesen. Doch Bruguière selbst spielt seit seinem gescheiterten Versuch im Jahr 2007, Parlamentsabgeordneter zu werden, und nachdem er sein Richteramt aufgeben musste, keine große Rolle mehr in Frankreich.
Eventuell lässt sich nun also mit Paris darüber verhandeln, ob der absurde Vorwurf gegen Kagame fallen gelassen wird. Dies erhofft sich jedenfalls die politische Führung in Kigali. Seitdem Jacques Chirac im Vorjahr durch Nicolas Sarkozy abgelöst wurde und eine neue Politikergeneration die Ministersessel besetzt, gibt es denn auch einige zaghafte Ansätze für eine erneute Annäherung zwischen Paris und Kigali.