Südossetien und die deutsche Außenpolitik

Mit Streichholz und Feuerlöscher

Die Anerkennung Südossetiens und Abcha­siens durch Russland bereitet der Bundesregierung große Schwierigkeiten: Wie lange noch wird die deutsche Außenpolitik »zwi­schen Härte und Beruhigung« schwanken können?

Es sei »absolut nicht akzeptabel«, dass Russland die von Georgien abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien völkerrechtlich anerkannt habe, sagte die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der vergangenen Woche während ihres Besuchs im estnischen Tallinn. Zudem stellte sie Georgien die Mitgliedschaft in der Nato in Aussicht. Der Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hin­gegen warnte einmal mehr vor einer weiteren Eskalation des Konflikts und betonte Deutschlands Verpflichtung, alles zu tun, um »die Lage zu beruhigen«.

Die Äußerungen der Kanzlerin und ihres Stellver­treters verweisen auf ein grundlegendes Dilemma der deutschen Außenpolitik: Auf der einen Seite steht der Wunsch, sich von russischen Energielieferungen unabhängig zu machen, auf der anderen stehen die Profitinteressen deutscher Konzerne in Russland. Um nachzuvollziehen, wa­rum sich Deutschland im Georgien-Konflikt »zwi­schen Härte und Beruhigung« bewegt (Frankfurter Allgemeine Zeitung), ist es notwendig, beide Seiten genauer zu betrachten.
In der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, dem militärpolitischen Think-Tank des Bundes, befasst man sich schon seit längerem mit der Frage der »Energiesicherheit« in Deutschland, die als »ressortübergreifende Herausforderung« betrachtet wird. Ziel ist es, sich auf alle Eventuali­täten vorzubereiten, so auch auf folgendes Sze­na­rio, das einer neuen hauseigenen Studie zu ent­nehmen ist: »Im Bereich der Politik bilden China und Russland eine strategische Energieallianz. China deckt erhebliche Teile seines Energiebedarfs aus Russland mit der Folge, dass russische Energierohstoffe dem Weltmarkt zu einem Großteil entzogen werden; China vervollständigt seine Energieversorgung durch geschickte Vertrags­gestaltung mit Rohstofflieferanten in Afrika mit der Wirkung, dass Afrika dem Rest der Welt seine Rohstoffe nur in sehr begrenztem Maß zur Verfügung stellt.«
Wie Rudolf Adam, der bis zum April dieses Jahres der Präsident der Bundesakademie war, im Januar 2007 in einer Rede vor Industriellen ausführte, sei es in Anbetracht dieser Feststellungen notwendig, sich »viel stärker als bisher (…) um die Verteilerstrategie von Erdöl und Erdgas zu kümmern«. Insbesondere Pipelinetrassen seien von »strategischer Bedeutung«. Als Beispiele benannte Adam die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline, die die Ölfelder Aserbaidschans über Georgien mit der Türkei verbindet und nun in unmittelbarer Nähe russischer Stellungen liegt, und die geplante Nabucco-Pipeline, die die »direkte Anbindung Europas an die Felder des Mittleren Ostens« gewährleisten soll, denn beide böten »eine Alternative zum russischen Verteilermonopol«.

Die erklärte Absicht, die Energieversorgung Deutschlands hinsichtlich der Bezugsquellen und Transitstrecken zu »diversifizieren«, wie es die Bundesakademie ausdrückt, liefert eine Erklärung für die mittlerweile gegen Russland zur Schau getragene »Härte« Berlins, die sich nicht nur in verbalen Attacken, sondern auch in militärischen Drohgebärden zeigt. Zwar war das zurzeit im Schwarzen Meer unter Beteiligung deutscher Kriegsschiffe stattfindende Nato-Manöver schon seit längerem geplant und terminlich festgelegt, es hätte allerdings aus diplomatischen Erwägungen abgesagt oder verschoben werden können. Die russische Regierung hat das Zeichen verstanden: Agenturmeldungen zufolge bezeichnete der russische Außenminister Sergej Lawrow die Seeübung als »Kanonenboot-Diplomatie«. Dmitri Rogosin, der ständige russische Vertreter bei der Nato, verglich die Spannungen zwischen seinem Land und dem Westen gar mit der Lage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili mit dem Attentäter von Sarajewo: »Insgesamt erinnert mich die gegenwärtige Atmosphäre an die Situation in Europa im Jahr 1914, als ein Terrorist den Zusammenstoß der Weltmächte auslöste.«
Woher aber rührt nun der Wunsch nach »Beruhigung« des Georgien-Konflikts, der Außenminister Steinmeier Spiegel online zufolge von einer der »größten Krisen« seit dem Ende des Kalten Krieges sprechen ließ und davon, dass seiner Auf­fassung nach zurzeit mehr »Menschen mit den Streichhölzern« unterwegs seien als solche, die bereit seien, »die Feuerlöscher zu tragen«? Eine mögliche Antwort gibt die Wirtschaftswoche: Die Kosten eines weit reichenden Konflikts mit Russland wären immens.
Wie das Blatt berichtet, hofft die Deutsche Bank darauf, zum Partner der staatlich kontrollierten Sberbank zu werden – die größte Bank auf dem russischen Finanzmarkt mit ihren über 20 000 Filialen sei »ein schwerfälliger, aber von der inter­nationalen Finanzkrise unberührter Riese«, heißt es. Der Energiekonzern Eon, so geht aus dem Bericht hervor, wolle wie sein Konkurrent, das BASF-Tochterunternehmen Wintershall, an der Ausbeutung russischer Energiequellen teilhaben. Bereits seit Jahren werde mit dem Staatsunternehmen Gazprom über eine Beteiligung an dem sibirischen Gasfeld Juschno Russkoje ver­handelt. Daimler wiederum will der Wirtschaftswoche zufolge Anteile von Kamaz erwerben, dem russischen Marktführer auf dem Gebiet der Lkw-Herstellung, um dessen landesweites Vertriebsnetz für seine Produkte zu nutzen. Die Deutsche Bahn AG strebt eine wechselseitige Beteiligung mit der staatlichen russischen Bahngesellschaft RZD an, die Unternehmen arbeiten ohnehin schon seit längerem zusammen. Der europäische Rüstungskonzern EADS schließlich habe »noch in friedlichen Zeiten« seinen zehnprozentigen An­teil an dem russischen Kampfflugzeugbauunternehmen Irkut verkauft, um sich am derzeit aus der Zusammenfassung aller wichtigen russischen Flugzeughersteller entstehenden OAK-Konzern zu beteiligen. Diese höchst profitträchtigen Vorhaben drohen nun zu scheitern.

Zudem verfügt Russland über ein weiteres Druck­mittel, auf das es zurückgreifen kann, sollte sich der Konflikt weiter zuspitzen: die Sicherung des Nachschubs für die westlichen Truppen in Afgha­nistan. Wie die russische Nachrichten­agentur Ria Novosti am 26. August unter Berufung auf die britische Times meldete, schloss der russische Bot­schafter in Afghanistan, Samir Kabulow, nicht aus, »dass Russland seinen Luftraum für Nato-Flugzeuge sperren sowie die Vereinbarungen über Nato-Stützpunkte in ehemaligen Sowjetrepubliken revidieren könne«.
In den USA scheinen derartige Warnungen indes keinen großen Eindruck zu hinterlassen. Die US-Außenministerin Condoleezza Rice bezeich­nete die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens Agenturmeldungen zufolge als »tot geborenes Kind« und forderte die Bundesregierung auf, ihren Widerstand gegen die Mitgliedschaft Georgiens in der Nato aufzugeben. Spiegel online zufolge wies sie darauf hin, dass auch Westdeutsch­land trotz des seinerzeit »ungelösten territorialen Konflikts« mit der DDR in die Nato aufgenommen worden sei, woran man sich erinnern möge, wenn man über die »territorialen Probleme« Georgiens spreche.
Noch deutlicher wurde Robert Kagan, der Berater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain. In einem Gastkommen­tar für das Handelsblatt verglich er das Vorgehen Russ­lands in Georgien mit der so genannten Sudetenkrise 1938, als Nazi-Deutschland unter Androhung militärischer Gewalt die mehrheitlich von Deutsch­stämmigen bewohnten Randgebiete der Tschechoslowakei annektierte. Der »Krieg gegen Georgien«, schrieb Kagan, sei Teil einer »gro­ßen Strategie«, die darauf ziele, nicht nur Geor­gien, sondern auch die Ukraine »unter russische Kontrolle« zu bringen und für die Länder entlang der russischen Grenze einen »eingeschränkten Sicherheitsstatus« durchzusetzen. Ob eine »zwischen Härte und Beruhigung« schwankende deutsche Außenpolitik angesichts der Entwicklungen aufrechtzuerhalten sein wird, ist fraglich.