Sommerinterviews mit führenden Politikern

Wenn die Kuhglocken tosen

Auch im Sommer wird Politik gemacht, und zwar im Fernsehen. Ein Rückblick auf die Sommerinterviews mit führenden Politikern.

Man gönnt deutschen Politikern durchaus etwas Urlaub. Aber daraus wird nichts – denn vor dem bzw. im Urlaub hat das ZDF das Sommerinterview angesetzt. Und das bedeutet, dass sich z.B. die Parteivorsitzenden mitten im Urlaub plötzlich Peter Hahne oder Peter Frey gegenübersehen. Der gewöhnliche deutsche Urlauber, der schon wegen einer Kakerlake im Hotelzimmer die Gerichte anruft, würde bei einem derartigen Befall sofort die Reiserücktrittsversicherung bemühen, der Spitzenpolitiker aber muss grinsen. Ja, sie haben es sich selbst so ausgesucht, aber leicht ist die Aufgabe in solchen Momenten nicht, das kann man ja ruhig mal eingestehen.

Manchmal hat es aber auch der deutsche Fernsehgucker nicht leicht. Angewidert schaut er hin­über in die USA, gerade zurzeit, zu den Nominierungsparteitagen, und beklagt den Showcharakter, das Pathos, die melodramatische Musik. Und dann das: Der CSU-Parteivorsitzende Erwin Huber zeigt sich in einem Kuhstall im Oberbayrischen oder Fränkischen oder Mittelbayrischen – wer weiß das schon so genau? Er setzt sich auf einen Strohballen, um dieselben Phrasen, die er das ganze Jahr über von sich gibt, nun noch einmal am Stück, ohne Unterbrechung und ohne Anzug aufzusagen. Besser wird es dadurch nicht. Da wünscht man sich ein engagiertes »Change!« sehn­lichst herbei. Und je unbeholfener Huber auf seinem Heuhaufen herumrutscht, desto klarer ist die Erkenntnis: »No, he can’t!« Selbst John McCain wirkt gegen Hubers derart mumifizierten Charme wie aus dem Jungbrunnen geschüttet.
Und der Bundespräsident Horst Köhler? Der steht von Kuhglocken umtost auf irgendeiner Alm im Niederbayrischen oder Mittelalpinen oder Oberfränkischen. Peter Hahne sieht ihn mit großen Augen an und fragt, ob Köhler als Staats­oberhaupt in manchen Situationen denn auch bete. Ja, beispielsweise während der Geiselnahme in Beslan, verkündet Köhler, da habe er gebetet, und das habe ihm sehr geholfen. Den Kindern dort, wie man weiß, leider nicht. Warum er gerade Beslan erwähnt, vier Jahre später, ohne jeden erkennbaren Anlass? Das wäre das mit Abstand Interessanteste gewesen, was man mal hätte fragen können, das Einzige, was nicht schon im Vorhinein recht klar war. Vermutlich erschrickt Peter Hahne aber gerade deshalb sehr. Also guckt er kurz nachdenklich, macht »hmm, hmm« und sagt, Stoßgebete könne Köhler vielleicht auch in den nächsten Monaten gebrauchen, wenn Gesine Schwan gegen ihn antrete. Das kommt einem Massaker tschetschenischer Terroristen ja auch ziemlich nahe. Da wenden sich sogar die bayerischen Kühe ab.
Oder nehmen wir Guido Westerwelle: Er steht im Mittelfränkischen oder Unterbayrischen oder Alpenvorländischen im strömenden Regen sinnlos an einem See herum, wohl weil halt bald Landtagswahlen in Bayern sind. Dabei hat er sich im Jahr zuvor lieber auf Mallorca besuchen lassen. Unter seinem Schirm lugt er hervor, preist das eigentlich so schöne Wetter der Region an und behauptet, dass er liebend gern in bayerischen Bierzelten »mit den Menschen spricht«, »gerade als Rheinländer«. Oder nehmen wir Kurt Beck: Der Mann hat einfach selbst im Detail ein unfehlbares Gespür für die größtmögliche Ungeschicklichkeit und lässt sich treffsicher vor einem vermutlich aus dem Mesozoikum stammenden, umgestürzten Baum irgendwo in der Pfalz abhorchen.

Was machen die denn da? Und warum? Und wo sind die da? Auch Peter Hahne will es wissen: »Herr Huber, die Leute werden sich fragen: Wo sind die denn da?« Sie sind mitten in einem Kuhstall, das ist leicht zu erkennen. Peter Hahne sagt zu Huber: »Für Sie ist das kein ungewohnter Ort.« Im Falle eines Schweinestalls wäre das lustiger gewesen. Huber antwortet: »Ja, ich war die ersten Jahre meines Lebens auf einem kleinen Bauernhof, und der Rhythmus der Jahreszeiten und auch das Kirchenjahr prägen immer noch mein Leben.« Das Kirchenjahr also. Wegen des Kirchenjahrs verbringt er den Sommer im Stall. Um die Krippe vorzubereiten?
Und was haben die bloß alle mit ihren Kühen? Wollen sie so ihre Verbundenheit mit dem kleinen Mann zum Ausdruck bringen, der sich ja am liebsten fortwährend als »Melkkuh« sieht? Reinhard Bütikofer lässt sich in Irland besuchen, da gibt es auch viele Kühe, dort auf »der grünen Insel«, ein beziehungsreiches, pfiffiges Wortspiel, das gleich in den ersten vier Minuten des Interviews drei Mal fällt. Dann döst der Zuschauer weg. Nächstes Mal bitte: Bütikofer im Dschungel des Amazonasgebiets.
Gregor Gysi immerhin traut sich bis nach Südfrankreich – vermutlich hat er Nachholbedarf, in der DDR war der Radius der Sommerreisen ja etwas begrenzt. Im Einspielfilmchen zum Interview sieht man, wie er durch Bordeaux schlendert und ganz zufällig eine deutsche Touristin trifft, die ihn verblüfft anschaut. Vermutlich hat sie die Kameras und den großen ZDF-Sommerinterview-Bus einfach übersehen. Ganz natürlich fragt sie: »Ach, Herr Gysi, was machen Sie denn hier?« Gysi erwidert strahlend: »Urlaub. Der Bundestag ist ja noch nicht umgezogen hierher.« Ein Hammerspruch! Beide lachen ausgelassen.
So sind sie eben, die Politiker: eigentlich völlig lustige, entspannte Gesellen. Dank der ZDF-Sommerinterviews wird man jedes Jahr daran erinnert. Wer die Interviews im Fernsehen verpasst hat, kann sie sich auf der Homepage des ZDF ansehen. Aber aufgepasst! Es kann durchaus vorkommen, dass man z.B. das Mallorca-Interview mit Guido Westerwelle von 2007 erwischt, diesen Fehlgriff aber während des gesamten viertelstündigen Gesprächs nicht bemerkt, weil es so brandaktuell zugeht in dem Interview.
Nur Angela Merkel macht es einigermaßen richtig. Unter dem Vorwand der Georgien-Krise will sie sich nicht in Brandenburg besuchen lassen. Stattdessen sitzt sie in einem Besprechungszimmer im Bundeskanzleramt in normaler Dienst­kleidung. Sie ist nicht verkrampft auf sommerlich-lässig getrimmt, sie wälzt sich nicht in Heuballen, stolpert über keine Kuhweide und hält keine kleinen roten Fische auf einem französischen Markt in die Kamera. Fast könnte man meinen, es handele sich um ein normales Interview. Das ist beruhigend. Und draußen ist es ja auch schon etwas herbstlich geworden. »Ich will immer so viel erleben / und verschlafe doch nur die Zeit«, sangen Element of Crime einst, »und kaum, dass ich einmal nicht müde bin / ist der Sommer schon wieder vorbei«. Und damit auch die Sommer­interviews. Was für ein Glück.