John MacCain und Sarah Palin kämpfen um neue Wählergruppen

Ein Barrakuda aus kalten Gewässern

Das wichtigste Stichwort McCains bei der Convention der Republikaner war »kämpfen«. Helfen beim Kampf um neue Wähler­gruppen soll ihm die konservative Gouverneurin Palin.

Sein fortgeschrittenes Alter ist ohnehin ein Problem für John McCain, nun wird er auch noch mit einem kompromittierenden Foto von seiner Geburtstagsfeier am 29. August 2005 konfrontiert. Es zeigt ihn frohgemut Arm in Arm mit George W. Bush, eine Geburtstagstorte haltend. Unerfreu­licher noch als die dokumentierte Nähe zu dem unbeliebten Präsidenten ist das Datum. Denn an jenem Tag wurde New Orleans infolge des Hurrikans Katrina überflutet.
Dass die Katastrophenhilfe damals nur schleppend in Gang kam, trug zu Bushs Popularitätsverlust bei. Während des ersten Tages der Conven­tion tobte der Hurrikan Gustav, und um keine schlechten Erinnerungen zu wecken, wurde das Programm auf Formalitäten und Kurzauftritte der Ehefrauen von Bush und McCain beschränkt. Bush sagte seine persönliche Teilnahme ab, er war nur in einer Videobotschaft zu sehen.
An den folgenden drei Tagen legten die Repu­blikaner ihre Zurückhaltung ab. Der Gegner wurde verhöhnt und verspottet, die Redner eröffneten den cultural war, die offensive Propagierung konservativer Werte, für den Wahlkampf und priesen ihren Patriotismus. Über die Außenpolitik und die wirtschaftlichen Probleme des Landes wurde kaum gesprochen, vom Krieg im Irak und in Afghanistan noch weniger.

»Bei dieser Wahl geht es nicht um Inhalte«, erläu­terte McCains Wahlkampfmanager Rick Davis die Strategie der Republikaner. »Bei dieser Wahl geht es darum, wie die Wähler die Kandidaten se­hen.« McCains Stichwort war fight, er sprach ausführlich über seine Zeit als Kriegsgefangener in Vietnam und über seine Grundwerte als Patriot und Kämpfer. 26 Mal gebrauchte er das Wort »kämp­fen«: für die Ideale und Interessen der USA, für die Prinzipien der Freiheit, um jeden ein­zelnen Wähler, für die Zukunft der Nation etc.
Kämpferisch gab sich auch Sarah Palin. Dass McCain erst kurz vor der Convention die zuvor kaum bekannte republikanische Gouverneurin des Bundesstaats Alaska als Vizepräsidentin nominiert hatte, sorgte für großes Medieninteresse und kontroverse Debatten. Die plötzliche Aufmerksamkeit scheint gewollt gewesen zu sein. Pa­lin soll Wählergruppen gewinnen, die sich für McCain nicht begeistern können. Sie vertritt strikt rechtskonservative christliche Werte, betrachtet sich aber auch als Feministin. Sie soll das ländliche Amerika repräsentieren und rechtslibertären Strömungen den Anschluss an McCains Kam­pagne erleichtern.
Als Basketballspielerin in der Schulmannschaft nannte man sie einst »Sarah Barracuda«. Auch Barack Obama ist Basketballer, gilt im Gegensatz zu ihr jedoch eher als ein Finessespieler. In ihrer Rede vor der Convention griff sie den Kandidaten der Demokraten scharf an. Sie ergänzte die republikanischen Standardvorwürfe, Obama sei zu elitär und abgehoben, um neue Varianten.
So sagte die 44jährige Nachwuchspolitikerin, dass ihre vormalige Arbeit als Bürgermeisterin einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Anchorage, der größten Stadt Alaskas, der Arbeit Obamas in den Armenvierteln Chicagos während der achtziger Jahre ähnele. Doch im Gegensatz zum community organizer übernehme ein Bürgermeister einer Kleinstadt »reale Verantwortung«.
Der Versuch, Obama als verträumten Sozialarbeiter darzustellen, ist auch ein Angriff auf ein wichtiges Aktionsfeld linker Politik in den urbanen Zentren der USA. Mit solchen Kommentaren versucht Palin offenbar, den Stadt-Land-Gegensatz zu politisieren. Das könnte jene Amerikaner ansprechen, die die Großstädte als Sündenpfuhl betrachten und eine Kandidatin vorziehen, die weiß, wie man Rentiere erlegt. Die größte Chance McCains und Palins auf einen Wahlsieg liegt darin, genügend Stimmen in den ländlichen Gebieten bestimmter battleground states wie Ohio, Michigan und Pennsylvania zu gewinnen.
Palin gehört der Gruppe »Feminists for Life« an, einem nationalen Zusammenschluss von Frauen, die zwar für eine Modernisierung der Geschlechterverhältnisse im öffentlichen Leben und im Beruf eintreten, aber ein konservatives Frauen- und Familienbild propagieren. Palin befürwortet ein striktes Abtreibungsverbot, auch in Fällen einer durch Inzest oder Vergewaltigung verursachten Schwangerschaft.

Über Abtreibung sprach Palin bei der Convention nicht, sie stellte jedoch klar, dass sie als Frau und konservative Feministin um Stimmen kämp­fen wird, die Hillary Clinton bekommen hätte. Den neuesten Umfragen zufolge scheint diese Stra­tegie für den kommenden Wahlkampf nicht gerade vielversprechend zu sein. Doch sofern die Re­publikaner auch nach der Wahl im November ein moderneres konservatives Frauenbild propagieren, könnte die Kandidatur Palins die po­litische Lage erheblich verändern, selbst wenn McCain verliert.
Palin setzte sich im Jahr 2006 in den Vorwahlen gegen den unbeliebten Gouverneur Frank Mur­kowski durch. Dass sie sich nun zu einer Kandi­da­tin stilisiert, die, ähnlich McCains Image als mave­rick (Außenseiter), mit dem Establishment in Washington nichts zu tun hat, ist allerdings nicht ganz gerechtfertigt. Maßgeblich unterstützt wurde sie von einem Erzrivalen Murkowskis, dem republikanischen Senator Ted Stevens. Der 84jähri­ge Stevens wurde im Juli nach einer langen Untersuchung wegen Korruption angeklagt, er ist die Verkörperung des Establishments schlecht­hin.
Stevens weilt seit 54 Jahren in Washington, vor dem Einzug in den Senat war er Abgeordneter und Ministeriumsmitarbeiter. Er betont oft, dass er in Washington war, bevor es den Bundesstaat Alaska gab, der erst 1958 gegründet wurde. Inzwischen sind jegliche Hinweise auf die Zusammenarbeit beider Politiker von Palins Webseite verschwunden, doch noch kurz vor der Anklageerhebung gegen Stevens besprachen beide öffentlich die Ölförderungspolitik. Denn beide wollen die Ölreserven in Alaska ausbeuten. McCain, der in den Gewässern vor Florida Öl fördern will, sich jedoch bislang gegen ähnliche Pläne in Alaska aussprach, scheint sich der Position Palins an­zuschließen. Für viele einflussreiche Republikaner vom Wirtschaftsflügel der Partei erscheint die Nominierung Palins deshalb als ein Segen.
Hätten Obama oder Joe Biden, der demokratische Kandidat für die Vizepräsidentschaft, jemals einer separatistischen Partei angehört, würden es die Republikaner gewiss nicht versäumen, dies als Beweis für mangelnden Patriotismus zu bezeichnen. Palin, in dieser Frage tatsächlich früher eine Gegnerin des Establishments, gehörte in den neunziger Jahren der Alaska Independence Party (AIP) an. Die rechtslibertäre Separatistenpartei befürwortet ein Referendum über die Unabhängigkeit Alaskas und stellte Anfang der neun­ziger Jahre zeitweise gar den Gouverneur des Bundesstaats. Derzeit ist die Partei eher unbedeutend.
Berichten zufolge verließ Palin die Partei Anfang des Jahrtausends, nutzte aber die alten Seilschaften bei ihrer Kandidatur für das Gouver­neurs­amt. Weiterhin betont sie die Interessen Alaskas etwa beim Ausbau der Ölförderung, wie es auch die AIP tat. Denn das Öl im nördlichen Alaska gehört dem Bundesstaat, doch die Nutzungsrechte für die Erdoberfläche besitzt die Regierung in Washington. Ginge es allein nach den politischen Interessen Alaskas, gäbe es nicht die Blockade im Kongress, wären die Bohrtürme wohl schon längst gebaut worden.

Palins separatistische Vergangenheit könnte für die Republikaner sogar nützlich sein. Denn die antiföderale und tendenziell antistaatliche Haltung der Anhänger der AIP wird von vielen Re­publikanern und anderen amerikanischen Rechten geteilt. Deutlich wurde dies bei der Kandidatur des radikal rechtsliberalen Kongressabgeordneten Ron Paul aus Texas für die Vorwahlen Anfang des Jahres. Paul unterlag, doch ein harter Kern von Anhängern bescherte ihm zweistellige Ergebnisse, selbst als McCains Sieg feststand. Sei­ne Forderungen nach Freiheit von staatlichen Zwängen, der Entmachtung der föderalen Regierung, der Lösung von internationalen Verpflichtungen, einem Abbau der Reste des Sozialstaats und einer Beendigung der Geldvermehrungspolitik der US-Notenbank sind bei vielen Amerikanern populär.
Unter Bush hat die Republikanische Partei die Interessen der Libertarians nicht berücksichtigt. Sie sind wütend auf die eigene Partei, und unter der Obhut Pauls fanden sie wieder zusammen. Weil Paul nicht einmal als Redner zur Conven­tion eingeladen wurde, veranstaltete er eine eintägige Convention in der Nachbarschaft. Dort rief er zur »politischen Revolution« auf: »Wir sind hier, um eine Botschaft zu senden, nicht nur an die Republikanische Partei, nicht nur an die Politiker an der Macht, sondern an das ganze Land und vielleicht auch die ganze Welt: Die Machthaber sind überzeugt, dass sie ohne Widerstand die Kontrolle behalten können. Nun, sie liegen falsch. Wir werden sie an allen Fronten bekämpfen.«
Einen Wahlaufruf für McCain kann man das schwerlich nennen, und die Libertarian Party hat den ehemaligen republikanischen Abgeordneten Bob Barr als Präsidentschaftskandidaten aufgestellt. Palin, die einer rechtslibertären Partei angehörte und zu den Republikanern übertrat, könnte viele Wähler zurückgewinnen, die gun control für eine Einschränkung der Bürgerrechte und community organizing für nutzlosen Unfug halten.
Nach dem Abschluss der Conventions ist die Strategie beider Parteien klar. Die Demokraten sagen enough, verweisen auf die dürftige Bilanz Bushs und sprechen über sozialpolitische Themen. Die Republikaner ignorieren Bush so weit wie möglich, versprechen keine tiefgreifenden Veränderungen und betonen ihren Patriotismus ebenso wie die konservativen Werte. Ob Palin die für McCain schwer erreichbaren Wählergruppen gewinnen kann, ist unklar. Doch die Wahl gewinnt nicht, wer landesweit die meisten Stimmen erhält. Entscheidend ist die Zahl der nach den Ergebnissen in den Bundesstaaten bestimmten Wahlmänner. Geringfügige Veränderungen in battleground states können daher weitreichende Folgen haben.