Provinzialismus in der SPD

Provinz siegt!

War Beck zu provinziell und musste er deshalb gehen? Nein, denn dann müsste man die ganze SPD auflösen.
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Kurt Beck als Kanzler? Da lachen ja die Hühner. Die Medien waren sich von Anfang an schnell einig, welche Rolle sie dem ehemaligen Parteivorsitzenden zuschreiben wollten: Das pfälzische Land­ei, der gemütliche Provinzler, dem das Welt- und damit Staatsmännische fehlt, der Berlin, sprich die große Politik, nicht versteht. Und mit seiner Wohlstandswampe und dem putzigen Mecki bedient er das Klischee ja auch. Wobei es sich sicherlich nicht nur um ein Klischee handelt. Nach allem, was man von Beck zu hören bekam, ist er tatsächlich so – oder so ähnlich.
Doch alles das sagte man über Helmut Kohl auch, bevor er dann – eher zufällig – Bundeskanzler wurde. Neben »Klein Erna« und den Ostfriesen war »Birne« Kohl eine der erfolgreichsten Witzfiguren Deutschlands und die meisten Pointen kreisten um seine pfälzische Provinzialität, um nicht zu sagen: Einfalt. Es mag wiederum nur einem his­torischen Zufall geschuldet sein, nämlich dass die Mauer in seiner Amtszeit fiel, aber dennoch wurde Kohl zu einem Über-Kanzler, dessen Herrschaft sagenhafte 16 Jahre währte, eine Ära. Heute lacht niemand mehr über Kohl. Provinzialität und Machtinstinkt schließen sich eben nicht aus, auch Einfältigkeit und Kanzlertum nicht.
Nun hat die SPD den dicken Beck weggemobbt, doch wer bildet die neue Parteispitze? Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier. Können sie das Provinzlergewurschtel-Image der SPD abstreifen? Qua Herkunft sicher nicht. Sie bei­de stammen aus einer spärlich besiedelten Region, in der sich schon vor 2000 Jahren die Barbaren gegen die vordringende Zivilisation stemmten (wovon noch heute das Hermannsdenkmal zeugt). Zwischen Steinmeiers Geburtsort Detmold und Münteferings Arnsberg liegen der Teutoburger Wald und nur eine so genannte Stadt, von der man schon mal gerüchteweise gehört haben könnte: Paderborn. Paderborn! Das Sauerland, Lippe und Ostwestfalen gelten dem mondänen Rheinländer, der sich von der Zwangsvereinigung mit Westfalen und Lippe noch heute gedemütigt fühlt, als karge, quasi unbewohnbare Bergregionen, in denen es immer regnet und deren urige Einwohnerschaft ein Mitteilungsbedürfnis hat wie eine Schrankwand. Ähnlich schlecht angesehen ist bei den Rheinländern nur noch die Eifel – die Heimat von Andrea Nahles.
Man kann es also drehen und wenden wie man will: Die SPD hat nur Personal aus der Provinz. Doch wie schon am Beispiel Kohl beschrieben, muss das nicht heißen, dass man damit nicht auch Erfolg haben kann. Angela Merkels Kindheit in einem Pfarrhaus im nordbrandenburgischen Dörflein Quitzow stand ihr ebenfalls nicht im Weg auf dem Weg nach oben. Man kann ihr nur deshalb das Lokalkolorit nicht nachweisen, weil von der Lokalität, aus der sie kommt, niemand etwas weiß, außer dass sie »irgendwie im Osten« liegt. Und Ex-Kanzler Gerhard Schröder stammt aus Westfalen-Lippe, genaugenommen aus einem Kaff bei Detmold, eben dort, wo zufälligerweise auch Steinmeier herkommt. Jener Steinmeier, der Büroleiter des Ministerpräsidenten Schröder und dann Kanzleramtschef des Kanz­lers Schröder war und nun Schröders Nachfolger als SPD-Kanzler werden soll. Wenn das nicht nach Provinz und germanisch-ländlicher Inzucht klingt! Doch die Medien haben Steinmeier eine an­dere Rolle als Beck zugeschrieben. Nicht die des Provinzlers, sondern des Staatsmanns mit weißem Haar. Den Volkstümler lassen sie durch den Sauerländer Müntefering darstellen.
Überlegen wir einmal, welcher deutsche Kanzler kein Provinz-Ei war. Adenauer kam zwar aus Bonn und als Rheinländer war er natürlicherweise Kosmopolit, allerdings muss dem Rest der Republik ein im kölschen Dialekt von der Kanzel singender Politiker doch als Lokalvogel gegolten haben. Willy Brandt stand selbstverständlich über den Dingen. Als zurückgekehrter Exilant konnte er ja gar kein Provinzheini sein, ein echter Deut­scher wurde er, in den Augen der echten Deutschen, aber auch nie. Definitiv ein echter Deutscher und zugleich ein Mann von Welt ist Helmut Schmidt. Als Hamburger ist er sozusagen Bürger und Staatsmann von Geburt, und bis heute ist er eigentlich der einzige Kanzler der Deutschen geblieben, der diesen Namen verdient hat.
Hat die SPD noch eine Politikerin, noch einen Politiker von Schmidtschem Format? Nein. Denn Klaus Wowereit war nicht bei der Wehrmacht, hat als Westberliner noch nicht einmal gedient. Aber er kommt aus Berlin! Er weiß, wie man einen »Hemingway« mixt, ist charmant, kann tanzen, er ist schwul und kann Englisch. Er ist ein Mann von Welt, ein Staatsmann ist er nicht.
Doch darauf kommt es, siehe oben, bei der Kanzlerwahl auch nicht an. Denn die Deutschen kommen ja im Allgemeinen alle aus der Provinz, auch die, die jetzt in Berlin mit ihrem Latte Macchiato in der Hand an ihrem Laptop sitzen. Da Bayern nicht mehrheitsfähig sind, Pfälzer zu trottelig, Sachsen kein Deutsch sprechen (und die Schwaben lieber heimlich im Hintergrund das Land regieren), bleibt als ur-deutscher Kanzler-Kompromiss nur ein Delegierter der germanischen Stämme. Wenn es Steinmeier nicht schafft, dann muss eben Papa Schröder wieder ran.