Serie über Serien: »Star Trek«

Unser Tele-Ethik-Seminar

Serie über Serien. Die Geschichte wird den Namen Enterprise nicht vergessen.

Der Weltraum – unendliche Weiten … « Mit diesen magischen Worten beginnt die wichtigste ­Science-Fiction-Serie der Ge­schich­te. »Star Trek – Raumschiff Enterprise« war schon PC, bevor es PC überhaupt gab, und computerisiert, bevor es PCs gab. Wie aber ist es möglich, dass eine Serie, die ihrer Zeit einst so weit voraus war, heute der Inbegriff der Altbackenheit ist?
Der Held der Original Serie ist Captain James T. Kirk, ein smarter Vollblut-Amerikaner. Zwischen 1966 und 1969, zwischen Kaltem und Viet­nam-Krieg, Martin Luther King Jr. und Nixon, kommandiert er eine Multikulti-Truppe aus Russen, Schwarzen, Asiaten, Außerirdischen und Frauen in Führungspositionen über die amerikanischen Bildschirme. Die Mutter aller Space-Soaps zeigt, dass es in der Science Fiction nicht um die Probleme der Zukunft, sondern die der Gegenwart geht. Nebenbei schreibt die Serie Fernsehgeschichte, als der weiße Captain Kirk die schwarze Lieutenant Uhura knutscht. Der TV-Kuss war in den USA seinerzeit ein echter Medienskandal, und tatsächlich wollten einige TV-Stationen die Serie nicht länger ausstrahlen.
Im Herzen berührt hat uns als kleine Jungs aber vor allem die anrührende Männerfreundschaft zwischen Captain Kirk, Mr. Spock und Dr. Leonard »Pille« McCoy, die in einem höchst gelungenen Dialog aus dem ersten »Star-Trek«-Kinofilm auf den Punkt gebracht wird: »Spock!« – »Jim!« – »Pille!« – »Spock!« Die drei Weltraum­helden personifizieren die Qualitäten eines humanen, liberalen US-Amerika: rationales Urteilsvermögen, humanistisches Gewissen und Unternehmergeist. Wir BRD-Kinder sahen dem Raumschiff Enterprise beim Erstkontakt in den Achtzigern sein fortgeschrittenes Alter zwar durchaus an, doch beeindrucken konnte uns die Serie trotzdem.
1989 kam »unsere« Serie mit »unserer« Enter­prise ins deutsche Fernsehen: »Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert« (»The Next Generation« oder kurz: »TNG«). Ein neues Raumschiff, eine neue Crew und ein neuer, unglaublich aufgeklärter und politisch korrekter Captain. Jean-Luc Picard ist ein unaufdringlich charmanter Franzose, der sein kahles Haupt mit Würde trägt. Im Laufe von sieben Jahren lernten wir ihn als moralisches Über-Ich und Vaterfigur schätzen. Nicht weniger faszinierte uns der Androide »Data« mit seinen Träumen vom Menschsein. Wie vor ihm schon Mr Spock gibt er immer wieder Anlass zu verzwickten Spekulationen darüber, was das Menschsein denn nun im Innersten ausmacht – Emotionen, Moralempfinden, Neugier, der Wille, sich weiterzuentwickeln?
Bei »TNG« folgt zaghafte Imperialismuskritik auf Drogenallegorie auf Toleranzlehrstunde auf Aufklärungsfabel, alles immer so metaphorisch, dass sich niemand angegriffen fühlen kann. Fast schon subversiv zu nennen ist jedenfalls das utopische Bild, das die Serie von der Zukunftsgesellschaft zeichnet: Geld, Hunger und Krieg sind zusammen mit dem Kapitalismus endlich abgeschafft, die Menschheit ist zur globalen Gesellschaft herangewachsen. Bei der Besiedlung des Weltalls geht man vorbildlich nach den Prinzipien der friedlichen Koexistenz und ökologischen Nachhaltigkeit vor.
Im Mai 1994 verabschiedete sich »TNG« dann zu unserem Leidwesen: Das unterhaltsamste und längste Tele-Ethik-Seminar, das es je gab, war zuende. Es folgte »Deep Space Nine« (kurz »DS9«), die umstrittenste und beste, weil moralisch ambivalenteste unter den »Star-Trek«-Serien. Hier wird es unhygienisch: Kein steriles Sozialisten-Raumschiff rast mit Warpgeschwindigkeit durch die unendlichen Weiten des Weltalls. Statt­dessen hängt die Crew auf einer Raum­station in der Umlaufbahn des Planeten Bajor fest und plagt sich mit politischen Intrigen, Korruption und Familien- und Beziehungsstreitigkeiten. Captain Benjamin Sisko und seine Crew arbeiten hier gewissermaßen als internationale Friedenstruppe im Auftrag der Fö­de­ra­tion der Vereinten Planeten – Bajor ist nämlich gerade erst seine faschistoiden Alien-Besatzer vom Planeten Cardassia losgeworden und schwer schutzbedürftig. Nun torpedieren cardas­sianische Revanchisten und bajoranische Freiheitskämpfer-Querstrich-Terroristen die paternalistischen Vermittlungsbemühungen der Föderation. Auf dem Planeten selbst zankt sich die klerikale Führung untereinander, und irgend­wo draußen im Dunkel des Alls lauert noch die Invasionsflotte eines fremdartigen Imperiums. In diesem Chaos konnten die Fans trefflich da­rüber streiten, was genau das Verhältnis zwischen den herzallerliebsten, religiösen Bajoranern und den militaristisch-totalitären cardassianischen Ex-Besatzern wahl­weise mit dem zwischen China und Tibet, Israel und Palästina oder Nazis und Juden zu tun hat (kleiner Lösungstipp: alle aufgeführten Antworten sind falsch).
Da eine Raumsta­tion, anders als ein Raumschiff, nicht dauernd umherfliegt und spannende neue Welten entdeckt, konzentriert sich die Serie mehr auf die Beziehungen der Figuren untereinander. Zudem verband »DS9« als erste Star-Trek-Serie die einzelnen Folgen zu einer einheitlichen Geschichte mit einer Vielzahl an regelmäßig wiederkehrenden Neben­figuren. Zu den interessantesten Figuren gehört gar einer der hässlichen, großohrigen, man­chesterkapitalistischen und patriarchalen Ferengi-Aliens. Manche werfen »Star Trek« vor, mit den Ferengi antisemitische Stereotype zu bedienen. Wenn an dem Vorwurf was dran ist, dann hat »DS9« umgekehrt die wohl skurrilste Form des Philosemitismus entwickelt: Die Geld­gnome werden hier einfach zu den Helden. Der »Star-Trek«-Multikulturalismus macht’s möglich!
Insgesamt war »DS9« dadurch spannender, komplexer und oft lustiger als »TNG«. Aber den­noch konnte die Serie nie die gleiche optimistische Magie entfalten wie »TNG«.
Die Kinofilme und die Nachfolgeserien, »Raum­schiff Voyager« sowie die schlicht betitelte »Enter­prise«, waren dann der große Absturz: abgesehen von ein paar Zufallstreffern lediglich aufgewärmte »TNG«-Kost. Das wäre gar nicht so schlimm, hätte die evolutionäre Entwicklung des SF-Fernsehens »Star Trek« derweil nicht um Lichtjahre überholt. Während »Star Trek« brav die immergleichen Multikulti-Botschafte herunterbetete, schliefen schließlich auch die letzten Fans vorm Fernseher ein – und schalteten ab. Das ändert trotzdem nichts daran, dass die ersten drei »Star-Trek«-Serien Wegbereiter für so ziemlich alles waren, was wir heute an unseren SF-Serien lieben. Um es mit einem ­Zitat aus »TNG« zu sagen: »Die Geschichte wird den Namen Enterprise nicht ver­gessen.«